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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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modifieationen, auf eine Erneuerung der Vereinsverträge sowie eventuell auf eine
Wiederaufnahme der Verhandlungen mit Frankreich einzugehen.

Diese Depesche hatte wahr gesprochen, wenn sie Bayern das Recht zur
Ablehnung des Vertrags mit Frankreich vindicirte. Sie übersah aber oder
wollte übersehen, daß Preußen andrerseits auch ein werthvolles Recht, nämlich
das Recht hatte, den Verein mit eigensinnigen Bundesgenossen nach Ablauf der
Vertragsperiode aufzugeben, und daß es durch Kündigung des Vertrags sehr
viel weniger Gefahr lief, seinen Interessen zu schaden als jene den ihren.

Inzwischen hatten sich die Volksvertretungen in der Mehrzahl der Zoll¬
vereinsstaaten zu Gunsten des Handelsvertrags mit Frankreich ausgesprochen,
und auch in der Bevölkerung derselben nahm die Agitation zu Gunsten des
Vertrags täglich zu. Auf dem zweiten deutschen Handelstage, der im October
1862 zu München stattfand, unterlagen die Gegner des Vertrags und zwar,
wenn man von der Minorität die zahlreichen östreichischen Stimmen abrechnete,
gegen eine sehr bedeutende Majorität. Die dissentirenden Regierungen sahen
sich im eigenen Lande durch die Vertreter der Fabrik- und Handelsinteressen,
sowie durch die gegen Wiederaufrichtung der Zollschranken innerhalb Deutsch¬
lands sich auflehnende Volksstimmung mehr und mehr bedrängt. Sie hätten
ihren Widerstand wohl schon damals aufgegeben, wenn sie nicht gehofft hätten,
Preußen durch denselben noch einschüchtern zu können. Jedenfalls traten die
schutzzöllnerischen Bedenken, mit denen sie zu Anfang vorzüglich ins Feld gerückt
waren, jetzt in den Hintergrund, und man suchte nun die Hauptbasis der
Opposition in dem Vertragsverhältniß zu Oestreich.

"Diese Basis," sagt unser Bericht, "hatte freilich Preußen durch Abschluß
des Vertrags vom 19. Februar 1853 selbst geschaffen. Indem die Einleitung
diesen Vertrag als einen "zur Anbahnung der allgemeinen deutschen Zollcinigung"
geschlossenen charakterisirte, und indem der Artikel 25 stipulirte, daß im Jahre
1860 Commissäre zusammentreten sollten, um über die Zolleinigung zwischen den
beiden contrahirenden Theilen, oder über weitergehende Verkehrscrlcichterungcn
und möglichste Annäherung und Gleichstellung der beiderseitigen Tarife zu unter¬
handeln, war für Oestreich ein willkommener Anhaltspunkt gewonnen, um sich
in die inneren Angelegenheiten des Zollvereins zu mischen, und für die dem
Handelsvertrage widerstrebenden Regierungen im Zollverein ein sogenannter
Rechtsboden, auf den sie sich zurückzogen, als die Stütze welche ihr Widerstand
anfangs in den Schutzzollinteressen fand, gebrochen war. Die Zolleinigungs-
clausel allein war es. auf welche gestützt der Widerstand gegen die von der
öffentlichen Meinung und den Interessenten als nothwendig und heilsam an¬
erkannte Maßregel des mit einer durchgreifenden Tarifreform verbundenen Ein¬
tritts in das System der westeuropäischen Verträge noch zwei Jahre lang fort¬
geführt werden konnte."


modifieationen, auf eine Erneuerung der Vereinsverträge sowie eventuell auf eine
Wiederaufnahme der Verhandlungen mit Frankreich einzugehen.

Diese Depesche hatte wahr gesprochen, wenn sie Bayern das Recht zur
Ablehnung des Vertrags mit Frankreich vindicirte. Sie übersah aber oder
wollte übersehen, daß Preußen andrerseits auch ein werthvolles Recht, nämlich
das Recht hatte, den Verein mit eigensinnigen Bundesgenossen nach Ablauf der
Vertragsperiode aufzugeben, und daß es durch Kündigung des Vertrags sehr
viel weniger Gefahr lief, seinen Interessen zu schaden als jene den ihren.

Inzwischen hatten sich die Volksvertretungen in der Mehrzahl der Zoll¬
vereinsstaaten zu Gunsten des Handelsvertrags mit Frankreich ausgesprochen,
und auch in der Bevölkerung derselben nahm die Agitation zu Gunsten des
Vertrags täglich zu. Auf dem zweiten deutschen Handelstage, der im October
1862 zu München stattfand, unterlagen die Gegner des Vertrags und zwar,
wenn man von der Minorität die zahlreichen östreichischen Stimmen abrechnete,
gegen eine sehr bedeutende Majorität. Die dissentirenden Regierungen sahen
sich im eigenen Lande durch die Vertreter der Fabrik- und Handelsinteressen,
sowie durch die gegen Wiederaufrichtung der Zollschranken innerhalb Deutsch¬
lands sich auflehnende Volksstimmung mehr und mehr bedrängt. Sie hätten
ihren Widerstand wohl schon damals aufgegeben, wenn sie nicht gehofft hätten,
Preußen durch denselben noch einschüchtern zu können. Jedenfalls traten die
schutzzöllnerischen Bedenken, mit denen sie zu Anfang vorzüglich ins Feld gerückt
waren, jetzt in den Hintergrund, und man suchte nun die Hauptbasis der
Opposition in dem Vertragsverhältniß zu Oestreich.

„Diese Basis," sagt unser Bericht, „hatte freilich Preußen durch Abschluß
des Vertrags vom 19. Februar 1853 selbst geschaffen. Indem die Einleitung
diesen Vertrag als einen „zur Anbahnung der allgemeinen deutschen Zollcinigung"
geschlossenen charakterisirte, und indem der Artikel 25 stipulirte, daß im Jahre
1860 Commissäre zusammentreten sollten, um über die Zolleinigung zwischen den
beiden contrahirenden Theilen, oder über weitergehende Verkehrscrlcichterungcn
und möglichste Annäherung und Gleichstellung der beiderseitigen Tarife zu unter¬
handeln, war für Oestreich ein willkommener Anhaltspunkt gewonnen, um sich
in die inneren Angelegenheiten des Zollvereins zu mischen, und für die dem
Handelsvertrage widerstrebenden Regierungen im Zollverein ein sogenannter
Rechtsboden, auf den sie sich zurückzogen, als die Stütze welche ihr Widerstand
anfangs in den Schutzzollinteressen fand, gebrochen war. Die Zolleinigungs-
clausel allein war es. auf welche gestützt der Widerstand gegen die von der
öffentlichen Meinung und den Interessenten als nothwendig und heilsam an¬
erkannte Maßregel des mit einer durchgreifenden Tarifreform verbundenen Ein¬
tritts in das System der westeuropäischen Verträge noch zwei Jahre lang fort¬
geführt werden konnte."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/388>, abgerufen am 28.09.2024.