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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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sämmtliche Mars, und totuurs,, die aufzutreiben, werden gefüllt, geleert
und wieder gefüllt aus der unerschöpflichen Milchader; es war ein Tag üppig¬
ster Schwelgerei über uns gekommen.

Ich wagte mich nur behutsam an diese Vaummilch; mir war noch keine
Gelegenheit geboten worden, ihre Bestandtheile und Eigenschaften genauer zu
untersuchen, und da die Mehrzahl der Baumsäfte dieser Art mehr oder weniger
giftig ist und meist scharf, bitter und widerlich riecht und schmeckt, -- so
konnte ich mein Mißtrauen selbst durch den allgemeine" Milchgenuß rings
um mich her nicht unterdrücken. Bereits früher hatte ich eine theilweise
Vergiftung durch vegetabilische Stoffe an mir erfahren, und wer sich ein¬
mal verbrannt hat, der pflegt sich ein zweites Mal vor dem Feuer in Acht zu
nehmen. Jedoch der Milchsaft des Qs.ig.etoäelläi'on -- xalo as vacg., wie ihn
der Kreole nennt -- steht fast einzig in seiner Art da, sein Genuß ist aro¬
matisch, sein Geschmack mild und der Kuhmilch ähnlich; mit Wasser vermengt
und mit etwas Zucker abgekocht, liefert er ein angenehmes und sättigendes Ge¬
tränk und vertritt, dem Kaffee zugesetzt, vollständig die Milch der Kuh. Auch
roh genossen ist diese Milch frei von jeder Strenge und Bitterkeit, nur ein ge¬
wisser vegetabilischer Geschmack haftet ihr an, und unangenehm ist der Klebe¬
stoff, der infolge ihres Kautschuckgchaltes auf Lippen und Zunge sich fest¬
setzt. Ihre Farbe ist die der in Wasser geschlemmten Kreide, ohne Zusatz von
Wasser ist sie zu fett, zu schwer und zu compact. Ein Baum liefert bei ein¬
maligem Anzapfen ebenso viel Milch wie die beste Milchkuh. Um den Saft zu
gewinnen, durchschneidet man die Rinde und fängt die herausquellende Flüssig¬
keit mit einem Blatte, Trichter oder irgendwelchem dünnschaligen Gefäße auf.
Nach Aussage der Eingeborenen ist die Baummilch nicht nur unschädlich, son¬
dern nährend und medicinal. und die Neger, die sie zur Zeit der Saftfülle
täglich genießen, sollen sichtlich an Korpulenz zunehmen. Von den Natur¬
kundigen der Karavane wurde mir der Genuß derselben als adstringirend gegen mein
anhaltendes Magenleiden empfohlen; ihr starker Kautschuckgehalt und die er¬
hitzende und wärmende Eigenschaft, die sie ohne Zweifel besitzt, erklären diese
Wirkung, und in der That beschwichtigte sie, roh und in geringer Quantität
genossen, für einige Tage die starken Ausleerungen.

Jedoch ward mir bald Gelegenheit zu Beobachtungen, welche der absoluten
Unschädlichkeit in dem menschlichen Körper widersprechen. K., der mir die Schaale
begierig aus der Hand nahm und vielleicht den Inhalt eines halben Maßes, ohne
auf meine Warnung zu achten, auf einmal leerte, ward alsbald von einer Art Betäu¬
bung oder Berauschung befallen; er entfärbte sich, wurde todtenbleich und begann am
ganzen Körper zu zittern. Bald war er kaum noch im Stande ein Glied zu
rühren, seine Sprache wurde zu einem unverständlichen Lallen, die Augen ver-
Lasten, und Puls und Athem waren kaum noch hörbar und fühlbar. Sein


sämmtliche Mars, und totuurs,, die aufzutreiben, werden gefüllt, geleert
und wieder gefüllt aus der unerschöpflichen Milchader; es war ein Tag üppig¬
ster Schwelgerei über uns gekommen.

Ich wagte mich nur behutsam an diese Vaummilch; mir war noch keine
Gelegenheit geboten worden, ihre Bestandtheile und Eigenschaften genauer zu
untersuchen, und da die Mehrzahl der Baumsäfte dieser Art mehr oder weniger
giftig ist und meist scharf, bitter und widerlich riecht und schmeckt, — so
konnte ich mein Mißtrauen selbst durch den allgemeine» Milchgenuß rings
um mich her nicht unterdrücken. Bereits früher hatte ich eine theilweise
Vergiftung durch vegetabilische Stoffe an mir erfahren, und wer sich ein¬
mal verbrannt hat, der pflegt sich ein zweites Mal vor dem Feuer in Acht zu
nehmen. Jedoch der Milchsaft des Qs.ig.etoäelläi'on — xalo as vacg., wie ihn
der Kreole nennt — steht fast einzig in seiner Art da, sein Genuß ist aro¬
matisch, sein Geschmack mild und der Kuhmilch ähnlich; mit Wasser vermengt
und mit etwas Zucker abgekocht, liefert er ein angenehmes und sättigendes Ge¬
tränk und vertritt, dem Kaffee zugesetzt, vollständig die Milch der Kuh. Auch
roh genossen ist diese Milch frei von jeder Strenge und Bitterkeit, nur ein ge¬
wisser vegetabilischer Geschmack haftet ihr an, und unangenehm ist der Klebe¬
stoff, der infolge ihres Kautschuckgchaltes auf Lippen und Zunge sich fest¬
setzt. Ihre Farbe ist die der in Wasser geschlemmten Kreide, ohne Zusatz von
Wasser ist sie zu fett, zu schwer und zu compact. Ein Baum liefert bei ein¬
maligem Anzapfen ebenso viel Milch wie die beste Milchkuh. Um den Saft zu
gewinnen, durchschneidet man die Rinde und fängt die herausquellende Flüssig¬
keit mit einem Blatte, Trichter oder irgendwelchem dünnschaligen Gefäße auf.
Nach Aussage der Eingeborenen ist die Baummilch nicht nur unschädlich, son¬
dern nährend und medicinal. und die Neger, die sie zur Zeit der Saftfülle
täglich genießen, sollen sichtlich an Korpulenz zunehmen. Von den Natur¬
kundigen der Karavane wurde mir der Genuß derselben als adstringirend gegen mein
anhaltendes Magenleiden empfohlen; ihr starker Kautschuckgehalt und die er¬
hitzende und wärmende Eigenschaft, die sie ohne Zweifel besitzt, erklären diese
Wirkung, und in der That beschwichtigte sie, roh und in geringer Quantität
genossen, für einige Tage die starken Ausleerungen.

Jedoch ward mir bald Gelegenheit zu Beobachtungen, welche der absoluten
Unschädlichkeit in dem menschlichen Körper widersprechen. K., der mir die Schaale
begierig aus der Hand nahm und vielleicht den Inhalt eines halben Maßes, ohne
auf meine Warnung zu achten, auf einmal leerte, ward alsbald von einer Art Betäu¬
bung oder Berauschung befallen; er entfärbte sich, wurde todtenbleich und begann am
ganzen Körper zu zittern. Bald war er kaum noch im Stande ein Glied zu
rühren, seine Sprache wurde zu einem unverständlichen Lallen, die Augen ver-
Lasten, und Puls und Athem waren kaum noch hörbar und fühlbar. Sein


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[0371] sämmtliche Mars, und totuurs,, die aufzutreiben, werden gefüllt, geleert und wieder gefüllt aus der unerschöpflichen Milchader; es war ein Tag üppig¬ ster Schwelgerei über uns gekommen. Ich wagte mich nur behutsam an diese Vaummilch; mir war noch keine Gelegenheit geboten worden, ihre Bestandtheile und Eigenschaften genauer zu untersuchen, und da die Mehrzahl der Baumsäfte dieser Art mehr oder weniger giftig ist und meist scharf, bitter und widerlich riecht und schmeckt, — so konnte ich mein Mißtrauen selbst durch den allgemeine» Milchgenuß rings um mich her nicht unterdrücken. Bereits früher hatte ich eine theilweise Vergiftung durch vegetabilische Stoffe an mir erfahren, und wer sich ein¬ mal verbrannt hat, der pflegt sich ein zweites Mal vor dem Feuer in Acht zu nehmen. Jedoch der Milchsaft des Qs.ig.etoäelläi'on — xalo as vacg., wie ihn der Kreole nennt — steht fast einzig in seiner Art da, sein Genuß ist aro¬ matisch, sein Geschmack mild und der Kuhmilch ähnlich; mit Wasser vermengt und mit etwas Zucker abgekocht, liefert er ein angenehmes und sättigendes Ge¬ tränk und vertritt, dem Kaffee zugesetzt, vollständig die Milch der Kuh. Auch roh genossen ist diese Milch frei von jeder Strenge und Bitterkeit, nur ein ge¬ wisser vegetabilischer Geschmack haftet ihr an, und unangenehm ist der Klebe¬ stoff, der infolge ihres Kautschuckgchaltes auf Lippen und Zunge sich fest¬ setzt. Ihre Farbe ist die der in Wasser geschlemmten Kreide, ohne Zusatz von Wasser ist sie zu fett, zu schwer und zu compact. Ein Baum liefert bei ein¬ maligem Anzapfen ebenso viel Milch wie die beste Milchkuh. Um den Saft zu gewinnen, durchschneidet man die Rinde und fängt die herausquellende Flüssig¬ keit mit einem Blatte, Trichter oder irgendwelchem dünnschaligen Gefäße auf. Nach Aussage der Eingeborenen ist die Baummilch nicht nur unschädlich, son¬ dern nährend und medicinal. und die Neger, die sie zur Zeit der Saftfülle täglich genießen, sollen sichtlich an Korpulenz zunehmen. Von den Natur¬ kundigen der Karavane wurde mir der Genuß derselben als adstringirend gegen mein anhaltendes Magenleiden empfohlen; ihr starker Kautschuckgehalt und die er¬ hitzende und wärmende Eigenschaft, die sie ohne Zweifel besitzt, erklären diese Wirkung, und in der That beschwichtigte sie, roh und in geringer Quantität genossen, für einige Tage die starken Ausleerungen. Jedoch ward mir bald Gelegenheit zu Beobachtungen, welche der absoluten Unschädlichkeit in dem menschlichen Körper widersprechen. K., der mir die Schaale begierig aus der Hand nahm und vielleicht den Inhalt eines halben Maßes, ohne auf meine Warnung zu achten, auf einmal leerte, ward alsbald von einer Art Betäu¬ bung oder Berauschung befallen; er entfärbte sich, wurde todtenbleich und begann am ganzen Körper zu zittern. Bald war er kaum noch im Stande ein Glied zu rühren, seine Sprache wurde zu einem unverständlichen Lallen, die Augen ver- Lasten, und Puls und Athem waren kaum noch hörbar und fühlbar. Sein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/371>, abgerufen am 29.06.2024.