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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Das fast allgemeine Unbehagen brach denn auch bald in offnen Streit aus,
welchem Lockerung der Disciplin und Auflösung des Verbandes auf dem Fuße
folgte.

Der "Caimanzito", ein trefflicher und unermüdlicher Schuhe, hatte von
einer Manate Wildschweine, denen er vom frühen Morgen nachgeschlichen, vier
Stück erlegt, die er mit Hilfe seiner Kameraden an Ort und Stelle schaffte.
Hier erklärte er sie für sein Eigenthum und machte sich sofort mit seinen Ge¬
nossen daran, sie zu verzehren. K. jedoch legte Beschlag aus das Wild, da bei
den zusammenschmelzenden Mundvorräthen zu einer sparsamen Verwaltung der¬
selben aller Grund vorhanden war. Der Schütze stand in seinem Lohn und
Dienst, mithin, so judicirte er, gehöre ihm auch dessen Arbeit mit der Flinte.
Diese dem germanischen Geiste vielleicht entsprechenden Rechtsdeductivnen ge¬
wannen aber nicht den Beifall des Mulatten, und das Ende vom Liede war,
daß K. Besitzer der erlegten Schweine blieb, der "Caimanzito" aber sein Bündel
auf die Schulter nahm und sich von dem Gesetzgeber mit derartiger Ausfassung
über Rechte und' Pflichten des Arbeiters lossagte. Zu gleicher Zeit wurde
die Entdeckung gemacht, daß des Calmars Freundin Angelika die ihr anver¬
trauten Vorräthe wenig gewissenhaft verwaltete und um ihre gefeierte Person einen
Hof von Günstlingen hielt, der auf .Kosten der Unbegünstigten die gefülltesten Näpfe
und Schüsseln davontrug. K. wandte sich infolge dessen mit einem beredten
Sermon über die Tugend der Ehrlichkeit und Gerechtigkeit an Angelika, der
aber sehr übel aufgenommen wurde. Auch das schwarze "Engelchen" stieg von
dem Thrones seiner Macht über die Küche hernieder und kehrte in Begleitung
snnes geliebten Calmar der Musterwirtschaft K.s den Rücken. Das war.der
erste Abfall.

Beispiele ermuthigen und finden Nachahmung. Als am andern Tage unser
Nachtrab sich dem Lager der Salvacion näherte, begegnete uns die ganze
Familie, welche sich erst in der Ticadera der Caravane angeschlossen hatte;
der buntgefleckte Mann, "el tigre", in -landesüblichem Schritte mit der Flinte
auf der Schulter vorauf, das Weib mit ihrem ganzen Hausvcrmögen auf
dem Rücken und mit den Kindern an dem Rocke, -- alle stumm und mürrisch.
"Wohin des Wegs. Tiger?" -- "Nach Hause!" war die laronische Antwort. --
K- hatte wiederum in irgendeiner Sache gegen das kreolische Völkerrecht judicirt;
kurz und trotzig befahl der gefleckte Indianer Weib und Kindern, ihm zu folgen und
Zog wieder heimwärts nach dem kaum verlassenen, vielleicht noch unter der
Asche glimmenden Heerd, durch dasselbe Wasserbecken, das eben erst eines seiner
Kinder verschlungen hatte. Das war der zweite Abfall.

Die allgemeine Auflösung würde unaufhaltsam eingetreten sein, wenn
nicht der Lagerplatz der Salvacion bald erreicht worden wäre. Der mächtige
Einfluß der tropischen Naturkräfte auf das Menschengemüth äußerte sich an


44'

Das fast allgemeine Unbehagen brach denn auch bald in offnen Streit aus,
welchem Lockerung der Disciplin und Auflösung des Verbandes auf dem Fuße
folgte.

Der „Caimanzito", ein trefflicher und unermüdlicher Schuhe, hatte von
einer Manate Wildschweine, denen er vom frühen Morgen nachgeschlichen, vier
Stück erlegt, die er mit Hilfe seiner Kameraden an Ort und Stelle schaffte.
Hier erklärte er sie für sein Eigenthum und machte sich sofort mit seinen Ge¬
nossen daran, sie zu verzehren. K. jedoch legte Beschlag aus das Wild, da bei
den zusammenschmelzenden Mundvorräthen zu einer sparsamen Verwaltung der¬
selben aller Grund vorhanden war. Der Schütze stand in seinem Lohn und
Dienst, mithin, so judicirte er, gehöre ihm auch dessen Arbeit mit der Flinte.
Diese dem germanischen Geiste vielleicht entsprechenden Rechtsdeductivnen ge¬
wannen aber nicht den Beifall des Mulatten, und das Ende vom Liede war,
daß K. Besitzer der erlegten Schweine blieb, der „Caimanzito" aber sein Bündel
auf die Schulter nahm und sich von dem Gesetzgeber mit derartiger Ausfassung
über Rechte und' Pflichten des Arbeiters lossagte. Zu gleicher Zeit wurde
die Entdeckung gemacht, daß des Calmars Freundin Angelika die ihr anver¬
trauten Vorräthe wenig gewissenhaft verwaltete und um ihre gefeierte Person einen
Hof von Günstlingen hielt, der auf .Kosten der Unbegünstigten die gefülltesten Näpfe
und Schüsseln davontrug. K. wandte sich infolge dessen mit einem beredten
Sermon über die Tugend der Ehrlichkeit und Gerechtigkeit an Angelika, der
aber sehr übel aufgenommen wurde. Auch das schwarze „Engelchen" stieg von
dem Thrones seiner Macht über die Küche hernieder und kehrte in Begleitung
snnes geliebten Calmar der Musterwirtschaft K.s den Rücken. Das war.der
erste Abfall.

Beispiele ermuthigen und finden Nachahmung. Als am andern Tage unser
Nachtrab sich dem Lager der Salvacion näherte, begegnete uns die ganze
Familie, welche sich erst in der Ticadera der Caravane angeschlossen hatte;
der buntgefleckte Mann, „el tigre", in -landesüblichem Schritte mit der Flinte
auf der Schulter vorauf, das Weib mit ihrem ganzen Hausvcrmögen auf
dem Rücken und mit den Kindern an dem Rocke, — alle stumm und mürrisch.
»Wohin des Wegs. Tiger?" — „Nach Hause!" war die laronische Antwort. —
K- hatte wiederum in irgendeiner Sache gegen das kreolische Völkerrecht judicirt;
kurz und trotzig befahl der gefleckte Indianer Weib und Kindern, ihm zu folgen und
Zog wieder heimwärts nach dem kaum verlassenen, vielleicht noch unter der
Asche glimmenden Heerd, durch dasselbe Wasserbecken, das eben erst eines seiner
Kinder verschlungen hatte. Das war der zweite Abfall.

Die allgemeine Auflösung würde unaufhaltsam eingetreten sein, wenn
nicht der Lagerplatz der Salvacion bald erreicht worden wäre. Der mächtige
Einfluß der tropischen Naturkräfte auf das Menschengemüth äußerte sich an


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[0369] Das fast allgemeine Unbehagen brach denn auch bald in offnen Streit aus, welchem Lockerung der Disciplin und Auflösung des Verbandes auf dem Fuße folgte. Der „Caimanzito", ein trefflicher und unermüdlicher Schuhe, hatte von einer Manate Wildschweine, denen er vom frühen Morgen nachgeschlichen, vier Stück erlegt, die er mit Hilfe seiner Kameraden an Ort und Stelle schaffte. Hier erklärte er sie für sein Eigenthum und machte sich sofort mit seinen Ge¬ nossen daran, sie zu verzehren. K. jedoch legte Beschlag aus das Wild, da bei den zusammenschmelzenden Mundvorräthen zu einer sparsamen Verwaltung der¬ selben aller Grund vorhanden war. Der Schütze stand in seinem Lohn und Dienst, mithin, so judicirte er, gehöre ihm auch dessen Arbeit mit der Flinte. Diese dem germanischen Geiste vielleicht entsprechenden Rechtsdeductivnen ge¬ wannen aber nicht den Beifall des Mulatten, und das Ende vom Liede war, daß K. Besitzer der erlegten Schweine blieb, der „Caimanzito" aber sein Bündel auf die Schulter nahm und sich von dem Gesetzgeber mit derartiger Ausfassung über Rechte und' Pflichten des Arbeiters lossagte. Zu gleicher Zeit wurde die Entdeckung gemacht, daß des Calmars Freundin Angelika die ihr anver¬ trauten Vorräthe wenig gewissenhaft verwaltete und um ihre gefeierte Person einen Hof von Günstlingen hielt, der auf .Kosten der Unbegünstigten die gefülltesten Näpfe und Schüsseln davontrug. K. wandte sich infolge dessen mit einem beredten Sermon über die Tugend der Ehrlichkeit und Gerechtigkeit an Angelika, der aber sehr übel aufgenommen wurde. Auch das schwarze „Engelchen" stieg von dem Thrones seiner Macht über die Küche hernieder und kehrte in Begleitung snnes geliebten Calmar der Musterwirtschaft K.s den Rücken. Das war.der erste Abfall. Beispiele ermuthigen und finden Nachahmung. Als am andern Tage unser Nachtrab sich dem Lager der Salvacion näherte, begegnete uns die ganze Familie, welche sich erst in der Ticadera der Caravane angeschlossen hatte; der buntgefleckte Mann, „el tigre", in -landesüblichem Schritte mit der Flinte auf der Schulter vorauf, das Weib mit ihrem ganzen Hausvcrmögen auf dem Rücken und mit den Kindern an dem Rocke, — alle stumm und mürrisch. »Wohin des Wegs. Tiger?" — „Nach Hause!" war die laronische Antwort. — K- hatte wiederum in irgendeiner Sache gegen das kreolische Völkerrecht judicirt; kurz und trotzig befahl der gefleckte Indianer Weib und Kindern, ihm zu folgen und Zog wieder heimwärts nach dem kaum verlassenen, vielleicht noch unter der Asche glimmenden Heerd, durch dasselbe Wasserbecken, das eben erst eines seiner Kinder verschlungen hatte. Das war der zweite Abfall. Die allgemeine Auflösung würde unaufhaltsam eingetreten sein, wenn nicht der Lagerplatz der Salvacion bald erreicht worden wäre. Der mächtige Einfluß der tropischen Naturkräfte auf das Menschengemüth äußerte sich an 44'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/369>, abgerufen am 29.06.2024.