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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Erde vor dem umschleierten Auge in eine abschreckende Wüste, die freundlichsten
Bilder der Natur erstarren zu düstrer Melancholie, die Menschenstimme, sonst
so wohlklingend, verletzt mißtönend das Gehör, das Gesicht, das man sonst
liebt und verehrt, schreckt feindselig zurück, und über alles Leben der Erde geht
ein schwüler, versengender Hauch.

Endlich -- endlich hielt der Zug vor Se. Francisco. Die zerfallene Hütte
eines hier verschollenen Einsiedlers bezeichnete diesen Stationspunkt, den meine
Pfadbrccher nach mir benannt hatten. Fast bewußtlos, wenigstens bis zum
Aeußersten theilnahmlos, sank ich in einen Winkel der Ruine auf ein halb-
verkohltes Bret, den einzigen Ueberrest der Hausgeräthe, nieder, umschwirrt
von wüsten Phantasien bis zum Anbruch des nächsten Tages.

Unerwarteterweise stießen Vor- und Nachtrab hier wieder zusammen;
jenem war das Wasser noch gefährlicher geworden als uns. Bereits hatten
seine ersten Thiere den Bach bei niedrigem Wasserstande durchschritten, als
plötzlich, bei heitrem, sonnigem Himmel ein donnerndes Getöse die herabstürzende
Fluth verkündet. Im Augenblick ist eines der eben hindurchschreitenden Thiere
erfaßt, niedergeworfen und fortgerissen. Gleich darauf saßt die Fluth das nach¬
folgende, auf das gerade das kleinste der Kinder gesetzt worden, und, bevor es
den Arieros möglich ist, rettend beizuspringen, verschwindet das Kind vor den
Augen der Mutter, die eben im Begriff steht, auf einem andern Thiere zu
folgen, in dem wüthenden Strudel. Jammernd läuft das arme Weib am Ufer
der entsetzlichen Sturzwelle nach, wahnsinnig genug, ihr den Raub entreißen
zu wollen.

Ein Theil des Zuges befand sich nun diesseits, ein Theils jenseits des
Flusses, und bevor nicht die Fluth gefallen, konnten sich beide Theile nicht mit
einander verbinden. Doch schon nach wenigen Stunden floß das Wasser wieder
so harmlos seinen Weg dahin, als ob es kein Blatt vom Stiele zu knicken
vermöchte; nur die zerzausten und unterwühlten Ufer erinnerten noch an seine
furchtbare Tücke. Die Fluth, welche uns, den Nachtrab, aufhielt, war wieder
einem andern Gipfel des Gebirges entsprungen.

Die Anstrengungen und Schrecken des vorigen Tages machten einen Rasttag
in Se. Francisco nothwendig, auch waren die Gewässer des noch vor uns liegen¬
den Weges noch bedrohlich angeschwollen,. Die allgemeine Willenslähmung
konnte jetzt auch K. nicht mehr entgehen, der jedes im Werden begriffne Ding
immer schon als vollendet und in den rosenrothesten Farben sah. Sehr bald
machte er die Erfahrung, daß, wie Schlachten leichter auf dem Papiere als
in der Wirklichkeit geschlagen werden, die Colonisation der wilden Erde leichter
mit dem Wort als in der That geschehen ist. K. aber war nicht der Mann,
beunruhigte und mißmuthige Gemüther zu besänftigen und zu erheitern, weil
er es nicht verstand, sich und seine Ansprüche den Verhältnissen anzubequemen.


Erde vor dem umschleierten Auge in eine abschreckende Wüste, die freundlichsten
Bilder der Natur erstarren zu düstrer Melancholie, die Menschenstimme, sonst
so wohlklingend, verletzt mißtönend das Gehör, das Gesicht, das man sonst
liebt und verehrt, schreckt feindselig zurück, und über alles Leben der Erde geht
ein schwüler, versengender Hauch.

Endlich — endlich hielt der Zug vor Se. Francisco. Die zerfallene Hütte
eines hier verschollenen Einsiedlers bezeichnete diesen Stationspunkt, den meine
Pfadbrccher nach mir benannt hatten. Fast bewußtlos, wenigstens bis zum
Aeußersten theilnahmlos, sank ich in einen Winkel der Ruine auf ein halb-
verkohltes Bret, den einzigen Ueberrest der Hausgeräthe, nieder, umschwirrt
von wüsten Phantasien bis zum Anbruch des nächsten Tages.

Unerwarteterweise stießen Vor- und Nachtrab hier wieder zusammen;
jenem war das Wasser noch gefährlicher geworden als uns. Bereits hatten
seine ersten Thiere den Bach bei niedrigem Wasserstande durchschritten, als
plötzlich, bei heitrem, sonnigem Himmel ein donnerndes Getöse die herabstürzende
Fluth verkündet. Im Augenblick ist eines der eben hindurchschreitenden Thiere
erfaßt, niedergeworfen und fortgerissen. Gleich darauf saßt die Fluth das nach¬
folgende, auf das gerade das kleinste der Kinder gesetzt worden, und, bevor es
den Arieros möglich ist, rettend beizuspringen, verschwindet das Kind vor den
Augen der Mutter, die eben im Begriff steht, auf einem andern Thiere zu
folgen, in dem wüthenden Strudel. Jammernd läuft das arme Weib am Ufer
der entsetzlichen Sturzwelle nach, wahnsinnig genug, ihr den Raub entreißen
zu wollen.

Ein Theil des Zuges befand sich nun diesseits, ein Theils jenseits des
Flusses, und bevor nicht die Fluth gefallen, konnten sich beide Theile nicht mit
einander verbinden. Doch schon nach wenigen Stunden floß das Wasser wieder
so harmlos seinen Weg dahin, als ob es kein Blatt vom Stiele zu knicken
vermöchte; nur die zerzausten und unterwühlten Ufer erinnerten noch an seine
furchtbare Tücke. Die Fluth, welche uns, den Nachtrab, aufhielt, war wieder
einem andern Gipfel des Gebirges entsprungen.

Die Anstrengungen und Schrecken des vorigen Tages machten einen Rasttag
in Se. Francisco nothwendig, auch waren die Gewässer des noch vor uns liegen¬
den Weges noch bedrohlich angeschwollen,. Die allgemeine Willenslähmung
konnte jetzt auch K. nicht mehr entgehen, der jedes im Werden begriffne Ding
immer schon als vollendet und in den rosenrothesten Farben sah. Sehr bald
machte er die Erfahrung, daß, wie Schlachten leichter auf dem Papiere als
in der Wirklichkeit geschlagen werden, die Colonisation der wilden Erde leichter
mit dem Wort als in der That geschehen ist. K. aber war nicht der Mann,
beunruhigte und mißmuthige Gemüther zu besänftigen und zu erheitern, weil
er es nicht verstand, sich und seine Ansprüche den Verhältnissen anzubequemen.


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[0368] Erde vor dem umschleierten Auge in eine abschreckende Wüste, die freundlichsten Bilder der Natur erstarren zu düstrer Melancholie, die Menschenstimme, sonst so wohlklingend, verletzt mißtönend das Gehör, das Gesicht, das man sonst liebt und verehrt, schreckt feindselig zurück, und über alles Leben der Erde geht ein schwüler, versengender Hauch. Endlich — endlich hielt der Zug vor Se. Francisco. Die zerfallene Hütte eines hier verschollenen Einsiedlers bezeichnete diesen Stationspunkt, den meine Pfadbrccher nach mir benannt hatten. Fast bewußtlos, wenigstens bis zum Aeußersten theilnahmlos, sank ich in einen Winkel der Ruine auf ein halb- verkohltes Bret, den einzigen Ueberrest der Hausgeräthe, nieder, umschwirrt von wüsten Phantasien bis zum Anbruch des nächsten Tages. Unerwarteterweise stießen Vor- und Nachtrab hier wieder zusammen; jenem war das Wasser noch gefährlicher geworden als uns. Bereits hatten seine ersten Thiere den Bach bei niedrigem Wasserstande durchschritten, als plötzlich, bei heitrem, sonnigem Himmel ein donnerndes Getöse die herabstürzende Fluth verkündet. Im Augenblick ist eines der eben hindurchschreitenden Thiere erfaßt, niedergeworfen und fortgerissen. Gleich darauf saßt die Fluth das nach¬ folgende, auf das gerade das kleinste der Kinder gesetzt worden, und, bevor es den Arieros möglich ist, rettend beizuspringen, verschwindet das Kind vor den Augen der Mutter, die eben im Begriff steht, auf einem andern Thiere zu folgen, in dem wüthenden Strudel. Jammernd läuft das arme Weib am Ufer der entsetzlichen Sturzwelle nach, wahnsinnig genug, ihr den Raub entreißen zu wollen. Ein Theil des Zuges befand sich nun diesseits, ein Theils jenseits des Flusses, und bevor nicht die Fluth gefallen, konnten sich beide Theile nicht mit einander verbinden. Doch schon nach wenigen Stunden floß das Wasser wieder so harmlos seinen Weg dahin, als ob es kein Blatt vom Stiele zu knicken vermöchte; nur die zerzausten und unterwühlten Ufer erinnerten noch an seine furchtbare Tücke. Die Fluth, welche uns, den Nachtrab, aufhielt, war wieder einem andern Gipfel des Gebirges entsprungen. Die Anstrengungen und Schrecken des vorigen Tages machten einen Rasttag in Se. Francisco nothwendig, auch waren die Gewässer des noch vor uns liegen¬ den Weges noch bedrohlich angeschwollen,. Die allgemeine Willenslähmung konnte jetzt auch K. nicht mehr entgehen, der jedes im Werden begriffne Ding immer schon als vollendet und in den rosenrothesten Farben sah. Sehr bald machte er die Erfahrung, daß, wie Schlachten leichter auf dem Papiere als in der Wirklichkeit geschlagen werden, die Colonisation der wilden Erde leichter mit dem Wort als in der That geschehen ist. K. aber war nicht der Mann, beunruhigte und mißmuthige Gemüther zu besänftigen und zu erheitern, weil er es nicht verstand, sich und seine Ansprüche den Verhältnissen anzubequemen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/368>, abgerufen am 29.06.2024.