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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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"Die Methode, nach welcher man kurz und rechtlick zu verfahren glaubt,
wenn man die Delinquenten vom Anfang des Verhörs an bis zu Ende, so oft
sie nämlich etwas, um das sie befragt werden, leugnen, brav zerprügeln läßt,
heißt man ein militärisches Verfahren. Gleichwie man aber eine solche Procedur
ein unchristlich Verhör nennen sollte, indem selbiges wider alle Religion,
Vernunft und wahre Menschenliebe läuft; also muß billig ein jeder Chef,
Commandeur und Auditeur einen gerechten Abscheu davor tragen und sich nicht
vorstellen, daß die leider allzuviel hierunter eingerissenen kriegsrechtlichen Ge¬
wohnheiten dergleichen Proceß zu rechtfertigen vermögend seien, sintemalen
unvernünftige Gewohnheiten nimmermehr Kraft Rechtens erlangen und in
Ewigkeit widerrechtlich bleiben.

Durch Decret von 1766 war das Prügeln und überhaupt gewaltsames Ver¬
fahren in Verhören sowohl in Militär- als Civilgerichten streng untersagt
worden; sollte hingegen unter besonderen Umständen eine derartige Züchtigung
ausnahmsweise als nöthig erachtet werden, so war hierüber erst beim Criminal-
collegium oder der vorgesetzten Justizbehörde anzufragen. Blieb ein Verdächtiger
beim Läugnen, selbst bei einem schweren Vergehen, wie Mord oder Todtschlag, so
sollte er aus einige Zeit in eine Festung gebracht und zu mäßiger Arbeit an¬
gehalten, nachdem aber wieder verhört werden.

Die Tortur war vorher da zulässig, wo auf das Vergehen der Tod oder
eine harte Leibesstrafe gesetzt war, z. B. die Karre, über achtzehnmal Gassenlaufen
und dergl. Die Zustände blieben mithin immer noch barbarisch genug. Als im
Jahre 1747 ein Unteroffizier vom Regiment Anhalt-Dessau wegen Tödtung an¬
geklagt war. wurde beim Generalauditorium um weitere VerHaltung angefragt.
Dieses entschied dahin, daß durch ein geschwornes Kriegsgericht erkannt werden
solle, welchergestalt Inquisit "anzugreifen" sei, daß er die Wahrheit eingestehe.
Dieses geschah, und das Gericht erkannte auf 400 Stockschläge, die der Ver¬
urteilte in drei Tagen erhalten sollte. Dieses Urtheil ging an den König
und wurde von ihm bestätigt. Ein anderer derartiger Fall kam bei dem in
Berlin stehenden meyerinkschen Regiments vor, wo dem Inculpaten 300 Stock¬
streiche ebenfalls in drei Tagen applicirt wurden. Dies war natürlich eine
Geißelung auf Leben und Tod und nur außergewöhnlich kräftige Constitutionen
vermochten eine solche Marter zu überwinden.

"In Fällen, darinnen Delinquenten die Strafe des Rades, sei es von oben
herab oder unten herauf zuerkannt worden, hat der Auditeur die Cabinets-
ordre an das Generalauditoriat vom 11. December a. 1747 und die Circular-
ordre an alle Regimenter vom 13. December zu erinnern, übrigens aber deren Ja-
Halt zu cachiren." So drückt sich eine Cabinetsordre aus; eine andere, von
1743 bestimmt: man solle nicht mehr mit Staupenschlag und Landesverweisung,
sondern dafür mit Karre und Zuchthaus strafe", weil sonst die Delinquenten


„Die Methode, nach welcher man kurz und rechtlick zu verfahren glaubt,
wenn man die Delinquenten vom Anfang des Verhörs an bis zu Ende, so oft
sie nämlich etwas, um das sie befragt werden, leugnen, brav zerprügeln läßt,
heißt man ein militärisches Verfahren. Gleichwie man aber eine solche Procedur
ein unchristlich Verhör nennen sollte, indem selbiges wider alle Religion,
Vernunft und wahre Menschenliebe läuft; also muß billig ein jeder Chef,
Commandeur und Auditeur einen gerechten Abscheu davor tragen und sich nicht
vorstellen, daß die leider allzuviel hierunter eingerissenen kriegsrechtlichen Ge¬
wohnheiten dergleichen Proceß zu rechtfertigen vermögend seien, sintemalen
unvernünftige Gewohnheiten nimmermehr Kraft Rechtens erlangen und in
Ewigkeit widerrechtlich bleiben.

Durch Decret von 1766 war das Prügeln und überhaupt gewaltsames Ver¬
fahren in Verhören sowohl in Militär- als Civilgerichten streng untersagt
worden; sollte hingegen unter besonderen Umständen eine derartige Züchtigung
ausnahmsweise als nöthig erachtet werden, so war hierüber erst beim Criminal-
collegium oder der vorgesetzten Justizbehörde anzufragen. Blieb ein Verdächtiger
beim Läugnen, selbst bei einem schweren Vergehen, wie Mord oder Todtschlag, so
sollte er aus einige Zeit in eine Festung gebracht und zu mäßiger Arbeit an¬
gehalten, nachdem aber wieder verhört werden.

Die Tortur war vorher da zulässig, wo auf das Vergehen der Tod oder
eine harte Leibesstrafe gesetzt war, z. B. die Karre, über achtzehnmal Gassenlaufen
und dergl. Die Zustände blieben mithin immer noch barbarisch genug. Als im
Jahre 1747 ein Unteroffizier vom Regiment Anhalt-Dessau wegen Tödtung an¬
geklagt war. wurde beim Generalauditorium um weitere VerHaltung angefragt.
Dieses entschied dahin, daß durch ein geschwornes Kriegsgericht erkannt werden
solle, welchergestalt Inquisit „anzugreifen" sei, daß er die Wahrheit eingestehe.
Dieses geschah, und das Gericht erkannte auf 400 Stockschläge, die der Ver¬
urteilte in drei Tagen erhalten sollte. Dieses Urtheil ging an den König
und wurde von ihm bestätigt. Ein anderer derartiger Fall kam bei dem in
Berlin stehenden meyerinkschen Regiments vor, wo dem Inculpaten 300 Stock¬
streiche ebenfalls in drei Tagen applicirt wurden. Dies war natürlich eine
Geißelung auf Leben und Tod und nur außergewöhnlich kräftige Constitutionen
vermochten eine solche Marter zu überwinden.

„In Fällen, darinnen Delinquenten die Strafe des Rades, sei es von oben
herab oder unten herauf zuerkannt worden, hat der Auditeur die Cabinets-
ordre an das Generalauditoriat vom 11. December a. 1747 und die Circular-
ordre an alle Regimenter vom 13. December zu erinnern, übrigens aber deren Ja-
Halt zu cachiren." So drückt sich eine Cabinetsordre aus; eine andere, von
1743 bestimmt: man solle nicht mehr mit Staupenschlag und Landesverweisung,
sondern dafür mit Karre und Zuchthaus strafe», weil sonst die Delinquenten


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[0360] „Die Methode, nach welcher man kurz und rechtlick zu verfahren glaubt, wenn man die Delinquenten vom Anfang des Verhörs an bis zu Ende, so oft sie nämlich etwas, um das sie befragt werden, leugnen, brav zerprügeln läßt, heißt man ein militärisches Verfahren. Gleichwie man aber eine solche Procedur ein unchristlich Verhör nennen sollte, indem selbiges wider alle Religion, Vernunft und wahre Menschenliebe läuft; also muß billig ein jeder Chef, Commandeur und Auditeur einen gerechten Abscheu davor tragen und sich nicht vorstellen, daß die leider allzuviel hierunter eingerissenen kriegsrechtlichen Ge¬ wohnheiten dergleichen Proceß zu rechtfertigen vermögend seien, sintemalen unvernünftige Gewohnheiten nimmermehr Kraft Rechtens erlangen und in Ewigkeit widerrechtlich bleiben. Durch Decret von 1766 war das Prügeln und überhaupt gewaltsames Ver¬ fahren in Verhören sowohl in Militär- als Civilgerichten streng untersagt worden; sollte hingegen unter besonderen Umständen eine derartige Züchtigung ausnahmsweise als nöthig erachtet werden, so war hierüber erst beim Criminal- collegium oder der vorgesetzten Justizbehörde anzufragen. Blieb ein Verdächtiger beim Läugnen, selbst bei einem schweren Vergehen, wie Mord oder Todtschlag, so sollte er aus einige Zeit in eine Festung gebracht und zu mäßiger Arbeit an¬ gehalten, nachdem aber wieder verhört werden. Die Tortur war vorher da zulässig, wo auf das Vergehen der Tod oder eine harte Leibesstrafe gesetzt war, z. B. die Karre, über achtzehnmal Gassenlaufen und dergl. Die Zustände blieben mithin immer noch barbarisch genug. Als im Jahre 1747 ein Unteroffizier vom Regiment Anhalt-Dessau wegen Tödtung an¬ geklagt war. wurde beim Generalauditorium um weitere VerHaltung angefragt. Dieses entschied dahin, daß durch ein geschwornes Kriegsgericht erkannt werden solle, welchergestalt Inquisit „anzugreifen" sei, daß er die Wahrheit eingestehe. Dieses geschah, und das Gericht erkannte auf 400 Stockschläge, die der Ver¬ urteilte in drei Tagen erhalten sollte. Dieses Urtheil ging an den König und wurde von ihm bestätigt. Ein anderer derartiger Fall kam bei dem in Berlin stehenden meyerinkschen Regiments vor, wo dem Inculpaten 300 Stock¬ streiche ebenfalls in drei Tagen applicirt wurden. Dies war natürlich eine Geißelung auf Leben und Tod und nur außergewöhnlich kräftige Constitutionen vermochten eine solche Marter zu überwinden. „In Fällen, darinnen Delinquenten die Strafe des Rades, sei es von oben herab oder unten herauf zuerkannt worden, hat der Auditeur die Cabinets- ordre an das Generalauditoriat vom 11. December a. 1747 und die Circular- ordre an alle Regimenter vom 13. December zu erinnern, übrigens aber deren Ja- Halt zu cachiren." So drückt sich eine Cabinetsordre aus; eine andere, von 1743 bestimmt: man solle nicht mehr mit Staupenschlag und Landesverweisung, sondern dafür mit Karre und Zuchthaus strafe», weil sonst die Delinquenten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/360>, abgerufen am 28.09.2024.