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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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erklärlich; aber ist sie uns, die wir an saubere Scheidung der verschiedenen
Gebiete des Lebens und der Kunst gewöhnt sind, ästhetisch erträglich? Wir
würden uns lediglich auf die Wirkung des vollendeten Werkes berufen können,
der auch unser Kritiker sich keineswegs entziehen will; aber die Zulässigkeit der
Vermischung wird sich auch begründen lassen. Jedenfalls nämlich findet ein
anderes Verhältniß statt zwischen Architektur und Skulptur, wie zwischen dieser,
der Malerei und der Poesie, deren Scheidung Lessing mit sicherer Hand voll¬
zogen hat. Mittel und Vortragsweise jener beiden Künste sind wesentlich gleich¬
artig, und es berühren sich auch, indem die Architektur doch nur das ihr von
der Natur gegebene Motiv der Grotte und des Walddaches weiter entwickelt,
die Gebiete ihrer Objecte. Freilich dient die Architektur immer dem Bedürfniß,
und sie vermag nie einen in sich geschlossenen Gesammteindruck hervorzubringen,
da ihre Werke stets ein Inneres und ein Aeußeres haben, von denen doch
wieder keines ganz selbständig ist. Da indessen, wo das Bedürfniß der höchsten
Lebenssphäre angehört und als ästhetisch-symbolischer Trieb auftritt, wird auch
die Stätte, die ihm dienen soll, zum freien Kunstwerk sich gestalten.

Aber- man sollte nicht entschuldigen zu wollen scheinen, was nun einmal
trotz allem von so unleugbar gewaltiger Wirkung ist. Wir haben auch oben
schon angedeutet, daß gerade das Ergreifende des gothischen Baues in seinen
Plastischen Momenten liege, und daß eben in diesen sein Zauber sich vollende.
Hier wollen wirs allgemeiner wenden und fragen, ob nicht die Baukunst über¬
haupt, wenn sie ein wirklich freies Kunstwerk schaffen, d. h. den Schein deS
Lebens hervorrufen will, über ihre eigensten Mittel hinausgehen und ihre
eigenen Gesetze zu verdecken suchen müsse. Diese Gesetze jedenfalls, ergeben
sich nur aus den Nöthigungen der gemeinen Zweckmäßigkeit und haben an sich
mit der Kunst nichts gemein. Immer hat die Architektur -- von ihren niedrigen
Aufgaben abgesehen -- einen gegebenen Raum gegen Außen durch Wand
und Dach abzuschließen. Da giebts immer Last und Kraft in ein richtiges
Verhältniß zu setzen. Sie kann sich darauf beschränken, uns die Angemessen-
heit dieses Verhältnisses deutlich sehen zu lassen, und dann wirkt sie beruhigend
oder läßt uns gleichgiltig; sie kann durch zweckmäßige Einteilung der Räume
und entsprechende Gliederung der Flächen das angenehme Gefühl in uns her-
vorrufen, welches immer das Proportionale und Symmetrische neben dem Zu¬
fälligen und Formlosen hervorbringt; sie kann durch Anwendung großer Pro¬
portionen bedeutend wirken; sie kann endlich durch Ornamente unterhalten:
aber sie kann, so lange sie offen unter der Herrschaft ihrer Gesetze steht, nie
verhindern, daß immer wieder die äußere Nothwendigkeit in die Sinne schlägt
und uns so kühl macht, wie einfach nothwendige Dinge zu thun Pflegen. Wir
lassen uns ihre Werke gefallen, aber wir genießen sie nicht. Die Griechen er¬
kannten dies wohl, und wir sehen ihre Architektur in einem ähnlichen Bund-


erklärlich; aber ist sie uns, die wir an saubere Scheidung der verschiedenen
Gebiete des Lebens und der Kunst gewöhnt sind, ästhetisch erträglich? Wir
würden uns lediglich auf die Wirkung des vollendeten Werkes berufen können,
der auch unser Kritiker sich keineswegs entziehen will; aber die Zulässigkeit der
Vermischung wird sich auch begründen lassen. Jedenfalls nämlich findet ein
anderes Verhältniß statt zwischen Architektur und Skulptur, wie zwischen dieser,
der Malerei und der Poesie, deren Scheidung Lessing mit sicherer Hand voll¬
zogen hat. Mittel und Vortragsweise jener beiden Künste sind wesentlich gleich¬
artig, und es berühren sich auch, indem die Architektur doch nur das ihr von
der Natur gegebene Motiv der Grotte und des Walddaches weiter entwickelt,
die Gebiete ihrer Objecte. Freilich dient die Architektur immer dem Bedürfniß,
und sie vermag nie einen in sich geschlossenen Gesammteindruck hervorzubringen,
da ihre Werke stets ein Inneres und ein Aeußeres haben, von denen doch
wieder keines ganz selbständig ist. Da indessen, wo das Bedürfniß der höchsten
Lebenssphäre angehört und als ästhetisch-symbolischer Trieb auftritt, wird auch
die Stätte, die ihm dienen soll, zum freien Kunstwerk sich gestalten.

Aber- man sollte nicht entschuldigen zu wollen scheinen, was nun einmal
trotz allem von so unleugbar gewaltiger Wirkung ist. Wir haben auch oben
schon angedeutet, daß gerade das Ergreifende des gothischen Baues in seinen
Plastischen Momenten liege, und daß eben in diesen sein Zauber sich vollende.
Hier wollen wirs allgemeiner wenden und fragen, ob nicht die Baukunst über¬
haupt, wenn sie ein wirklich freies Kunstwerk schaffen, d. h. den Schein deS
Lebens hervorrufen will, über ihre eigensten Mittel hinausgehen und ihre
eigenen Gesetze zu verdecken suchen müsse. Diese Gesetze jedenfalls, ergeben
sich nur aus den Nöthigungen der gemeinen Zweckmäßigkeit und haben an sich
mit der Kunst nichts gemein. Immer hat die Architektur — von ihren niedrigen
Aufgaben abgesehen — einen gegebenen Raum gegen Außen durch Wand
und Dach abzuschließen. Da giebts immer Last und Kraft in ein richtiges
Verhältniß zu setzen. Sie kann sich darauf beschränken, uns die Angemessen-
heit dieses Verhältnisses deutlich sehen zu lassen, und dann wirkt sie beruhigend
oder läßt uns gleichgiltig; sie kann durch zweckmäßige Einteilung der Räume
und entsprechende Gliederung der Flächen das angenehme Gefühl in uns her-
vorrufen, welches immer das Proportionale und Symmetrische neben dem Zu¬
fälligen und Formlosen hervorbringt; sie kann durch Anwendung großer Pro¬
portionen bedeutend wirken; sie kann endlich durch Ornamente unterhalten:
aber sie kann, so lange sie offen unter der Herrschaft ihrer Gesetze steht, nie
verhindern, daß immer wieder die äußere Nothwendigkeit in die Sinne schlägt
und uns so kühl macht, wie einfach nothwendige Dinge zu thun Pflegen. Wir
lassen uns ihre Werke gefallen, aber wir genießen sie nicht. Die Griechen er¬
kannten dies wohl, und wir sehen ihre Architektur in einem ähnlichen Bund-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/355>, abgerufen am 29.06.2024.