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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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lebt in ihm auf, durch die er den Eindruck künstlerisch gestaltet, den die heilige
Geschichte von Christus und vom Jenseits auf ihn macht. Vor allem aber
durch die Mittel der vorwegschauenden und vorwegnehmenden Kunst spricht er
den positiven Inhalt seines Geistes aus. den er wissenschaftlich nur erst sehr
mangelhaft auszudrücken versteht. Aber die Kunst, in der That, beginnt.
Waren bisher die heiligen Gestalten wohl nachgebildet worden, so hatte man
doch nur Nachbilder von ganz typischen, starrem, conventionellen Charakter,
und diese nicht im Drang des Schaffens, sondern als Gegenstände der An¬
betung oder zur größeren Ehre des Dargestellten hervorgebracht. Jetzt vollzieht
sich in gewisser Weise ein Ähnlicher Fortschritt, wie er bei den Griechen von
der älteren, noch gefesselten ägyptisch anklingenden Kunst zu der des fünften
Jahrhunderts stattfand. Sticht zwar zu freier menschlicher Schönheit bringt es
das Mittelalter, eben weil seine Anschauungen transcendental sind, aber die
vordem starren und unbelebten Züge beleben sich, beginnen zu reden von der
Herrlichkeit der himmlischen Heimath und gewinnen eine Tiefe und Innigkeit
des Ausdrucks, die ebenso von der Art der romanischen Werke absticht, wie die freie
Schönheit der Niobiden von der typischen Weise der Aegineten. Hier wie dort
ein freies Selbstbekenntniß des Zeitalters in der angemessenen, classischen
Form. Endlich die Poesie! Nur mit einem Worte sei daran erinnert, daß die
Zeit, von der wir reden, die unserer großen Lyriker ist und diejenige, in welcher
unser Epos seine Gestalt erhält. Eine Zeit allgemeinen Schaffens und Arbeitens,
die Erde wie beschienen von aufcrweckender Frühlingssonne I

Wie aber mußte sich, im Besonderen, das religiöse Leben und die Existenz¬
weise der Kirche gestalten, so lange die Philosophie dem Glauben diente? Die
Wirkung dieses Verhältnisses war eine energische Steigerung aller Lebenskräfte
der Kirche. Der Geist fing an sich zu fühlen, und dies Gefühl seiner selbst
war zugleich Gefühl der Verwandtschaft mit dem angenommenen Glauben.
Was Wunder, daß er mit allem Nachdruck zu lautem Zeugniß sich emporrichtete
und, da die ganze christliche Lehre ihren Schwerpunkt im Jenseits; ihren Sinn
in den letzten Dingen hatte, das Himmlische im Gegensatze gegen das Irdische
mit lebendiger Ueberzeugung hervorhob, mit glühendem Verlangen ergriff! Mit
stärkster Betonung wird jetzt das Weltliche für werthlos erklärt und den An¬
sprüchen des Himmels oder jener Macht unterworfen, die ihn auf Erden ver¬
tritt. Droben ist die wahre Heimath des Menschen, empor die Herzen! Sichern
Glaube und Gehorsam zwar gegen die Höllenstrafen, so eröffnet, sich nun der
sinnlich ausschweifenden Natur die Aussicht auf das Fegfeuer. Aber der Mensch
besaß Erfindungsgabe genug, seinem abstracten Idealismus im Lauf der Zeit
so viel abzubrechen, daß Raum zum praktischen Leben übrigblieb. Mit der
aus dem System folgenden Forderung absoluter Unterwerfung der Natur war
nicht zu bestehen, eine innere Versöhnung des Göttlichen und Irdischen noch


lebt in ihm auf, durch die er den Eindruck künstlerisch gestaltet, den die heilige
Geschichte von Christus und vom Jenseits auf ihn macht. Vor allem aber
durch die Mittel der vorwegschauenden und vorwegnehmenden Kunst spricht er
den positiven Inhalt seines Geistes aus. den er wissenschaftlich nur erst sehr
mangelhaft auszudrücken versteht. Aber die Kunst, in der That, beginnt.
Waren bisher die heiligen Gestalten wohl nachgebildet worden, so hatte man
doch nur Nachbilder von ganz typischen, starrem, conventionellen Charakter,
und diese nicht im Drang des Schaffens, sondern als Gegenstände der An¬
betung oder zur größeren Ehre des Dargestellten hervorgebracht. Jetzt vollzieht
sich in gewisser Weise ein Ähnlicher Fortschritt, wie er bei den Griechen von
der älteren, noch gefesselten ägyptisch anklingenden Kunst zu der des fünften
Jahrhunderts stattfand. Sticht zwar zu freier menschlicher Schönheit bringt es
das Mittelalter, eben weil seine Anschauungen transcendental sind, aber die
vordem starren und unbelebten Züge beleben sich, beginnen zu reden von der
Herrlichkeit der himmlischen Heimath und gewinnen eine Tiefe und Innigkeit
des Ausdrucks, die ebenso von der Art der romanischen Werke absticht, wie die freie
Schönheit der Niobiden von der typischen Weise der Aegineten. Hier wie dort
ein freies Selbstbekenntniß des Zeitalters in der angemessenen, classischen
Form. Endlich die Poesie! Nur mit einem Worte sei daran erinnert, daß die
Zeit, von der wir reden, die unserer großen Lyriker ist und diejenige, in welcher
unser Epos seine Gestalt erhält. Eine Zeit allgemeinen Schaffens und Arbeitens,
die Erde wie beschienen von aufcrweckender Frühlingssonne I

Wie aber mußte sich, im Besonderen, das religiöse Leben und die Existenz¬
weise der Kirche gestalten, so lange die Philosophie dem Glauben diente? Die
Wirkung dieses Verhältnisses war eine energische Steigerung aller Lebenskräfte
der Kirche. Der Geist fing an sich zu fühlen, und dies Gefühl seiner selbst
war zugleich Gefühl der Verwandtschaft mit dem angenommenen Glauben.
Was Wunder, daß er mit allem Nachdruck zu lautem Zeugniß sich emporrichtete
und, da die ganze christliche Lehre ihren Schwerpunkt im Jenseits; ihren Sinn
in den letzten Dingen hatte, das Himmlische im Gegensatze gegen das Irdische
mit lebendiger Ueberzeugung hervorhob, mit glühendem Verlangen ergriff! Mit
stärkster Betonung wird jetzt das Weltliche für werthlos erklärt und den An¬
sprüchen des Himmels oder jener Macht unterworfen, die ihn auf Erden ver¬
tritt. Droben ist die wahre Heimath des Menschen, empor die Herzen! Sichern
Glaube und Gehorsam zwar gegen die Höllenstrafen, so eröffnet, sich nun der
sinnlich ausschweifenden Natur die Aussicht auf das Fegfeuer. Aber der Mensch
besaß Erfindungsgabe genug, seinem abstracten Idealismus im Lauf der Zeit
so viel abzubrechen, daß Raum zum praktischen Leben übrigblieb. Mit der
aus dem System folgenden Forderung absoluter Unterwerfung der Natur war
nicht zu bestehen, eine innere Versöhnung des Göttlichen und Irdischen noch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/350>, abgerufen am 29.06.2024.