Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

scheinung treten. Der Gottesdienst wird sich naturgemäß als eine fortlaufende
künstlerische, symbolische und oratorische Vergegenwärtigung der einzelnen Mo¬
mente des Sündenfalles und der Erlösung darstellen, um den Menschen in
fortwährender Gewißheit über jene Vorgänge zu erhalten. 'Das Bedeutende
wird zum Feste werden, als das Bedeutendste wird der Opfertod Christi, der
Angelpunkt des Ganzen, sich herausheben und mit allem Nachdruck aus die
Sinne des Menschen einzudringen versuchen. Auf dessen Seite aber wird nichts
als die Anschauung, die Anbetung, die Unterwerfung sein. Ganz naturgemäß
werden die Verwalter des überlieferten Mysteriums den Laien in strenger
Sonderung gegenübertreten, denn bei dem noch ganz objectiven Charakter des
Christenthumes leiht das Gefühl, das sich selber noch nicht erfaßt, dem Priester
ganz von selbst eine absolute Sicherheit über die transcendenter Dinge.

Hier haben wir die geistigen Elemente des romanischen Stils. Die feierlich¬
stimmende Ahnung von etwas Großem, Ergreisendem, das ins Menschenleben
treten soll -- wie die alte Basilika sie hervorrief -- hat sich erfüllt. Der Geist
hat nicht geruht, bis er das Schauspiel selbst vor seine Sinne hingestellt ge¬
sehen. Und nun ist es da mit seiner überwältigenden Pracht und Großartigkeit.
Unwiderstehlich fesselt es die Blicke auf sich, und der Mensch wird beruhigt,
indem er es anschaut. Es zieht den Geist aus seiner Enge heraus, aber nicht
ins Schrankenlose, es bringt ihn zu sich selbst zurück, aber erspart ihm das
Gefühl der Verzweiflung an sich selber. Uebersetzt das in die Sprache der
Architektur und ihr habt den romanischen Dom. Die Kreuzesform des Baues,
der Priesterchor, aus dem das Heilige und Heiligste sich zeigt, hoch erhaben
über dem Standorte der Laien, die massigen Mauern mit ihren kleinen Fenstern,
die in ihrer einfachen Zweckmäßigkeit beruhigend auf das Gemüth wirken, der
Rundbogen und das Rundgewvlbe, welche die Seele sanft anregen, aber bei
sich lassen, freundlicher Zierrath endlich, der den Andächtigen mit stillem Be¬
hagen erfüllt -- das sind die wesentlichen Elemente des romanischen Stils, der
in hohem Maße die Kraft besitzt, den Geist zu gelassenen Hinnehmen des
Göttlichen zu stimmen.

Wir wissen, daß der Geist nicht immer in dieser passiven Ruhe verharrte.
Er hatte bis jetzt weder Ja noch Nein zu dem Inhalte des christlichen Glaubens
gesagt, er war noch ganz darin gefangen und verloren, seiner selbst noch nicht
bewußt. Es kam nun die Zeit, daß er sich auf sich selbst zu stellen versuchte,
indem er seine ausdrückliche Zustimmung zur Lehre der Kirche abgab. Eine
Zustimmung zwar, bei der die Gefahr des Widerspruchs noch ausgeschlossen
blieb. Mit Entzücken entdeckte man nun, daß auch der Verstand jene Thatsachen,
die der Geist im Großen und Ganzen sich hatte gefallen lassen, sich in allen
ihren einzelnen Momenten begrifflich aneignen könne. Es handelte sich nicht
darum zu bestimmen, was zu glauben sei -- denn dies war durch die Arbeit


scheinung treten. Der Gottesdienst wird sich naturgemäß als eine fortlaufende
künstlerische, symbolische und oratorische Vergegenwärtigung der einzelnen Mo¬
mente des Sündenfalles und der Erlösung darstellen, um den Menschen in
fortwährender Gewißheit über jene Vorgänge zu erhalten. 'Das Bedeutende
wird zum Feste werden, als das Bedeutendste wird der Opfertod Christi, der
Angelpunkt des Ganzen, sich herausheben und mit allem Nachdruck aus die
Sinne des Menschen einzudringen versuchen. Auf dessen Seite aber wird nichts
als die Anschauung, die Anbetung, die Unterwerfung sein. Ganz naturgemäß
werden die Verwalter des überlieferten Mysteriums den Laien in strenger
Sonderung gegenübertreten, denn bei dem noch ganz objectiven Charakter des
Christenthumes leiht das Gefühl, das sich selber noch nicht erfaßt, dem Priester
ganz von selbst eine absolute Sicherheit über die transcendenter Dinge.

Hier haben wir die geistigen Elemente des romanischen Stils. Die feierlich¬
stimmende Ahnung von etwas Großem, Ergreisendem, das ins Menschenleben
treten soll — wie die alte Basilika sie hervorrief — hat sich erfüllt. Der Geist
hat nicht geruht, bis er das Schauspiel selbst vor seine Sinne hingestellt ge¬
sehen. Und nun ist es da mit seiner überwältigenden Pracht und Großartigkeit.
Unwiderstehlich fesselt es die Blicke auf sich, und der Mensch wird beruhigt,
indem er es anschaut. Es zieht den Geist aus seiner Enge heraus, aber nicht
ins Schrankenlose, es bringt ihn zu sich selbst zurück, aber erspart ihm das
Gefühl der Verzweiflung an sich selber. Uebersetzt das in die Sprache der
Architektur und ihr habt den romanischen Dom. Die Kreuzesform des Baues,
der Priesterchor, aus dem das Heilige und Heiligste sich zeigt, hoch erhaben
über dem Standorte der Laien, die massigen Mauern mit ihren kleinen Fenstern,
die in ihrer einfachen Zweckmäßigkeit beruhigend auf das Gemüth wirken, der
Rundbogen und das Rundgewvlbe, welche die Seele sanft anregen, aber bei
sich lassen, freundlicher Zierrath endlich, der den Andächtigen mit stillem Be¬
hagen erfüllt — das sind die wesentlichen Elemente des romanischen Stils, der
in hohem Maße die Kraft besitzt, den Geist zu gelassenen Hinnehmen des
Göttlichen zu stimmen.

Wir wissen, daß der Geist nicht immer in dieser passiven Ruhe verharrte.
Er hatte bis jetzt weder Ja noch Nein zu dem Inhalte des christlichen Glaubens
gesagt, er war noch ganz darin gefangen und verloren, seiner selbst noch nicht
bewußt. Es kam nun die Zeit, daß er sich auf sich selbst zu stellen versuchte,
indem er seine ausdrückliche Zustimmung zur Lehre der Kirche abgab. Eine
Zustimmung zwar, bei der die Gefahr des Widerspruchs noch ausgeschlossen
blieb. Mit Entzücken entdeckte man nun, daß auch der Verstand jene Thatsachen,
die der Geist im Großen und Ganzen sich hatte gefallen lassen, sich in allen
ihren einzelnen Momenten begrifflich aneignen könne. Es handelte sich nicht
darum zu bestimmen, was zu glauben sei — denn dies war durch die Arbeit


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0348" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283145"/>
          <p xml:id="ID_1114" prev="#ID_1113"> scheinung treten. Der Gottesdienst wird sich naturgemäß als eine fortlaufende<lb/>
künstlerische, symbolische und oratorische Vergegenwärtigung der einzelnen Mo¬<lb/>
mente des Sündenfalles und der Erlösung darstellen, um den Menschen in<lb/>
fortwährender Gewißheit über jene Vorgänge zu erhalten. 'Das Bedeutende<lb/>
wird zum Feste werden, als das Bedeutendste wird der Opfertod Christi, der<lb/>
Angelpunkt des Ganzen, sich herausheben und mit allem Nachdruck aus die<lb/>
Sinne des Menschen einzudringen versuchen. Auf dessen Seite aber wird nichts<lb/>
als die Anschauung, die Anbetung, die Unterwerfung sein. Ganz naturgemäß<lb/>
werden die Verwalter des überlieferten Mysteriums den Laien in strenger<lb/>
Sonderung gegenübertreten, denn bei dem noch ganz objectiven Charakter des<lb/>
Christenthumes leiht das Gefühl, das sich selber noch nicht erfaßt, dem Priester<lb/>
ganz von selbst eine absolute Sicherheit über die transcendenter Dinge.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1115"> Hier haben wir die geistigen Elemente des romanischen Stils. Die feierlich¬<lb/>
stimmende Ahnung von etwas Großem, Ergreisendem, das ins Menschenleben<lb/>
treten soll &#x2014; wie die alte Basilika sie hervorrief &#x2014; hat sich erfüllt. Der Geist<lb/>
hat nicht geruht, bis er das Schauspiel selbst vor seine Sinne hingestellt ge¬<lb/>
sehen. Und nun ist es da mit seiner überwältigenden Pracht und Großartigkeit.<lb/>
Unwiderstehlich fesselt es die Blicke auf sich, und der Mensch wird beruhigt,<lb/>
indem er es anschaut. Es zieht den Geist aus seiner Enge heraus, aber nicht<lb/>
ins Schrankenlose, es bringt ihn zu sich selbst zurück, aber erspart ihm das<lb/>
Gefühl der Verzweiflung an sich selber. Uebersetzt das in die Sprache der<lb/>
Architektur und ihr habt den romanischen Dom. Die Kreuzesform des Baues,<lb/>
der Priesterchor, aus dem das Heilige und Heiligste sich zeigt, hoch erhaben<lb/>
über dem Standorte der Laien, die massigen Mauern mit ihren kleinen Fenstern,<lb/>
die in ihrer einfachen Zweckmäßigkeit beruhigend auf das Gemüth wirken, der<lb/>
Rundbogen und das Rundgewvlbe, welche die Seele sanft anregen, aber bei<lb/>
sich lassen, freundlicher Zierrath endlich, der den Andächtigen mit stillem Be¬<lb/>
hagen erfüllt &#x2014; das sind die wesentlichen Elemente des romanischen Stils, der<lb/>
in hohem Maße die Kraft besitzt, den Geist zu gelassenen Hinnehmen des<lb/>
Göttlichen zu stimmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1116" next="#ID_1117"> Wir wissen, daß der Geist nicht immer in dieser passiven Ruhe verharrte.<lb/>
Er hatte bis jetzt weder Ja noch Nein zu dem Inhalte des christlichen Glaubens<lb/>
gesagt, er war noch ganz darin gefangen und verloren, seiner selbst noch nicht<lb/>
bewußt. Es kam nun die Zeit, daß er sich auf sich selbst zu stellen versuchte,<lb/>
indem er seine ausdrückliche Zustimmung zur Lehre der Kirche abgab. Eine<lb/>
Zustimmung zwar, bei der die Gefahr des Widerspruchs noch ausgeschlossen<lb/>
blieb. Mit Entzücken entdeckte man nun, daß auch der Verstand jene Thatsachen,<lb/>
die der Geist im Großen und Ganzen sich hatte gefallen lassen, sich in allen<lb/>
ihren einzelnen Momenten begrifflich aneignen könne. Es handelte sich nicht<lb/>
darum zu bestimmen, was zu glauben sei &#x2014; denn dies war durch die Arbeit</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0348] scheinung treten. Der Gottesdienst wird sich naturgemäß als eine fortlaufende künstlerische, symbolische und oratorische Vergegenwärtigung der einzelnen Mo¬ mente des Sündenfalles und der Erlösung darstellen, um den Menschen in fortwährender Gewißheit über jene Vorgänge zu erhalten. 'Das Bedeutende wird zum Feste werden, als das Bedeutendste wird der Opfertod Christi, der Angelpunkt des Ganzen, sich herausheben und mit allem Nachdruck aus die Sinne des Menschen einzudringen versuchen. Auf dessen Seite aber wird nichts als die Anschauung, die Anbetung, die Unterwerfung sein. Ganz naturgemäß werden die Verwalter des überlieferten Mysteriums den Laien in strenger Sonderung gegenübertreten, denn bei dem noch ganz objectiven Charakter des Christenthumes leiht das Gefühl, das sich selber noch nicht erfaßt, dem Priester ganz von selbst eine absolute Sicherheit über die transcendenter Dinge. Hier haben wir die geistigen Elemente des romanischen Stils. Die feierlich¬ stimmende Ahnung von etwas Großem, Ergreisendem, das ins Menschenleben treten soll — wie die alte Basilika sie hervorrief — hat sich erfüllt. Der Geist hat nicht geruht, bis er das Schauspiel selbst vor seine Sinne hingestellt ge¬ sehen. Und nun ist es da mit seiner überwältigenden Pracht und Großartigkeit. Unwiderstehlich fesselt es die Blicke auf sich, und der Mensch wird beruhigt, indem er es anschaut. Es zieht den Geist aus seiner Enge heraus, aber nicht ins Schrankenlose, es bringt ihn zu sich selbst zurück, aber erspart ihm das Gefühl der Verzweiflung an sich selber. Uebersetzt das in die Sprache der Architektur und ihr habt den romanischen Dom. Die Kreuzesform des Baues, der Priesterchor, aus dem das Heilige und Heiligste sich zeigt, hoch erhaben über dem Standorte der Laien, die massigen Mauern mit ihren kleinen Fenstern, die in ihrer einfachen Zweckmäßigkeit beruhigend auf das Gemüth wirken, der Rundbogen und das Rundgewvlbe, welche die Seele sanft anregen, aber bei sich lassen, freundlicher Zierrath endlich, der den Andächtigen mit stillem Be¬ hagen erfüllt — das sind die wesentlichen Elemente des romanischen Stils, der in hohem Maße die Kraft besitzt, den Geist zu gelassenen Hinnehmen des Göttlichen zu stimmen. Wir wissen, daß der Geist nicht immer in dieser passiven Ruhe verharrte. Er hatte bis jetzt weder Ja noch Nein zu dem Inhalte des christlichen Glaubens gesagt, er war noch ganz darin gefangen und verloren, seiner selbst noch nicht bewußt. Es kam nun die Zeit, daß er sich auf sich selbst zu stellen versuchte, indem er seine ausdrückliche Zustimmung zur Lehre der Kirche abgab. Eine Zustimmung zwar, bei der die Gefahr des Widerspruchs noch ausgeschlossen blieb. Mit Entzücken entdeckte man nun, daß auch der Verstand jene Thatsachen, die der Geist im Großen und Ganzen sich hatte gefallen lassen, sich in allen ihren einzelnen Momenten begrifflich aneignen könne. Es handelte sich nicht darum zu bestimmen, was zu glauben sei — denn dies war durch die Arbeit

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/348
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/348>, abgerufen am 28.09.2024.