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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Die Mäuler schnüffeln um ihn herum, oder stehen gesenkten Hauptes, oder
legen zutraulich den Kopf über seine Schulter, denn sie sind gewohnt, daß
ihnen die übriggebliebenen Brocken zugesteckt werden; ja es giebt wohl auch
ein Stück Panel", die sie eben so gern verschlucken wie ihr Herr und Gebieter.

In der Ticadera, wo ein Tag gerastet wurde, trafen Vor- und Nachtrab
wieder zusammen. K. trat mir in einem sonderbaren Aufzuge entgegen; die
Beine waren in lange Kotonstrümpfe bis über die Knie hinauf eingezwängt,
ebenso die Arme bis über die Ellbogen in gleichen Handschuhen, und von dem
umturbanten Kopfe blieb nur ein kleines Stück Gesicht mit Augen. Nasenspitze
und Mund sichtbar. Dieses Costüm, das einem gegen den nordischen Winter
gewappneten Fröstlinge alle Ehre gemacht hätte, nahm sich bei einer Temperatur
von etwa 30° R. und unter fast senkrechter Sonne wie ein Fastnachtsscherz
aus. Die Vermummung hatte aber ihren bittern Ernst. Die heißfeuchten Ufer der
Ticadera wimmelten von Schwärmen kriechender und fliegender Jnsecten; un¬
erträglich war die Qual der blutgierigen Mosquitos"), die Wolken gleich die
Luft verdichteten. Ihre Stiche sind zwar nicht so tief und schmerzhaft, wie die
der langen Zanendorüssel'"). dennoch bringt ihre unausgesetzte Fortdauer die
Hautnerven in einen fieberhaft gereizten, entzündeten Zustand. Streicht man
"ut der Hand über eine derartige graue Wolke, die sich auf Hand oder Fuß
gelagert, so ists, als ob man mit einem mit Blut gefeuchteten Schwamm
darüber wischte, denn jedes der Thierchen zapft einen Blutstropfen von min¬
destens Nadelkopfsgröße ab, den es allmälig aufsaugt und von dem es so schwer
wird, daß es nicht wieder fortzufliegen vermag. Das Geschmeiß fällt mit einer
solchen Gier über sein Opfer her. als ob es seine verwünschte Existenz nur allein
Von Menschenblut fristete. Resignation, fester Wille, sich in das Unvermeidliche
i" schicken, ist die einzige Waffe gegen diese physischen, wie gegen so manche
psychische Leiden.

Die Farbigen haben unter dieser Insektenplage weniger zu leiden als die
Weißen; sie fühlen nur das Eindringen des Saugrüffels in die Haut, werden
aber nicht wie jene von der beulenartigen Anschwellung, der Hautentzündung
und der nervösen Reizbarkeit betroffen. Die Mosquitos erscheinen und ver¬
schwinden zu gewissen Jahreszeiten; sie sind von Sonnenaufgang bis Unter¬
gang in Bewegung, alsdann verhalten sie sich ruhig; ihre Tummelplätze be¬
schränken sich auf gewisse, scharf begrenzte Flußgebiete heiß-feuchter Zone, wo




") Aosouito; -- unter mcMuito (moseg, Fliege; mosa.uno kleine Fliege) werden die
Mllveichcn Arten der kleinen Stechfliegen. Schnaken, Grillen, Glieder u. s. w. -- nicht aber
" eigentlichen Stechmücken (Lulsx, Limulium) verstanden.
Tsoeucko -- heißt der Creole verschiedene Arten der Stechmücken der Gattung vulox,

Die Mäuler schnüffeln um ihn herum, oder stehen gesenkten Hauptes, oder
legen zutraulich den Kopf über seine Schulter, denn sie sind gewohnt, daß
ihnen die übriggebliebenen Brocken zugesteckt werden; ja es giebt wohl auch
ein Stück Panel«, die sie eben so gern verschlucken wie ihr Herr und Gebieter.

In der Ticadera, wo ein Tag gerastet wurde, trafen Vor- und Nachtrab
wieder zusammen. K. trat mir in einem sonderbaren Aufzuge entgegen; die
Beine waren in lange Kotonstrümpfe bis über die Knie hinauf eingezwängt,
ebenso die Arme bis über die Ellbogen in gleichen Handschuhen, und von dem
umturbanten Kopfe blieb nur ein kleines Stück Gesicht mit Augen. Nasenspitze
und Mund sichtbar. Dieses Costüm, das einem gegen den nordischen Winter
gewappneten Fröstlinge alle Ehre gemacht hätte, nahm sich bei einer Temperatur
von etwa 30° R. und unter fast senkrechter Sonne wie ein Fastnachtsscherz
aus. Die Vermummung hatte aber ihren bittern Ernst. Die heißfeuchten Ufer der
Ticadera wimmelten von Schwärmen kriechender und fliegender Jnsecten; un¬
erträglich war die Qual der blutgierigen Mosquitos»), die Wolken gleich die
Luft verdichteten. Ihre Stiche sind zwar nicht so tief und schmerzhaft, wie die
der langen Zanendorüssel'«). dennoch bringt ihre unausgesetzte Fortdauer die
Hautnerven in einen fieberhaft gereizten, entzündeten Zustand. Streicht man
"ut der Hand über eine derartige graue Wolke, die sich auf Hand oder Fuß
gelagert, so ists, als ob man mit einem mit Blut gefeuchteten Schwamm
darüber wischte, denn jedes der Thierchen zapft einen Blutstropfen von min¬
destens Nadelkopfsgröße ab, den es allmälig aufsaugt und von dem es so schwer
wird, daß es nicht wieder fortzufliegen vermag. Das Geschmeiß fällt mit einer
solchen Gier über sein Opfer her. als ob es seine verwünschte Existenz nur allein
Von Menschenblut fristete. Resignation, fester Wille, sich in das Unvermeidliche
i» schicken, ist die einzige Waffe gegen diese physischen, wie gegen so manche
psychische Leiden.

Die Farbigen haben unter dieser Insektenplage weniger zu leiden als die
Weißen; sie fühlen nur das Eindringen des Saugrüffels in die Haut, werden
aber nicht wie jene von der beulenartigen Anschwellung, der Hautentzündung
und der nervösen Reizbarkeit betroffen. Die Mosquitos erscheinen und ver¬
schwinden zu gewissen Jahreszeiten; sie sind von Sonnenaufgang bis Unter¬
gang in Bewegung, alsdann verhalten sie sich ruhig; ihre Tummelplätze be¬
schränken sich auf gewisse, scharf begrenzte Flußgebiete heiß-feuchter Zone, wo




") Aosouito; — unter mcMuito (moseg, Fliege; mosa.uno kleine Fliege) werden die
Mllveichcn Arten der kleinen Stechfliegen. Schnaken, Grillen, Glieder u. s. w. — nicht aber
" eigentlichen Stechmücken (Lulsx, Limulium) verstanden.
Tsoeucko — heißt der Creole verschiedene Arten der Stechmücken der Gattung vulox,
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[0337] Die Mäuler schnüffeln um ihn herum, oder stehen gesenkten Hauptes, oder legen zutraulich den Kopf über seine Schulter, denn sie sind gewohnt, daß ihnen die übriggebliebenen Brocken zugesteckt werden; ja es giebt wohl auch ein Stück Panel«, die sie eben so gern verschlucken wie ihr Herr und Gebieter. In der Ticadera, wo ein Tag gerastet wurde, trafen Vor- und Nachtrab wieder zusammen. K. trat mir in einem sonderbaren Aufzuge entgegen; die Beine waren in lange Kotonstrümpfe bis über die Knie hinauf eingezwängt, ebenso die Arme bis über die Ellbogen in gleichen Handschuhen, und von dem umturbanten Kopfe blieb nur ein kleines Stück Gesicht mit Augen. Nasenspitze und Mund sichtbar. Dieses Costüm, das einem gegen den nordischen Winter gewappneten Fröstlinge alle Ehre gemacht hätte, nahm sich bei einer Temperatur von etwa 30° R. und unter fast senkrechter Sonne wie ein Fastnachtsscherz aus. Die Vermummung hatte aber ihren bittern Ernst. Die heißfeuchten Ufer der Ticadera wimmelten von Schwärmen kriechender und fliegender Jnsecten; un¬ erträglich war die Qual der blutgierigen Mosquitos»), die Wolken gleich die Luft verdichteten. Ihre Stiche sind zwar nicht so tief und schmerzhaft, wie die der langen Zanendorüssel'«). dennoch bringt ihre unausgesetzte Fortdauer die Hautnerven in einen fieberhaft gereizten, entzündeten Zustand. Streicht man "ut der Hand über eine derartige graue Wolke, die sich auf Hand oder Fuß gelagert, so ists, als ob man mit einem mit Blut gefeuchteten Schwamm darüber wischte, denn jedes der Thierchen zapft einen Blutstropfen von min¬ destens Nadelkopfsgröße ab, den es allmälig aufsaugt und von dem es so schwer wird, daß es nicht wieder fortzufliegen vermag. Das Geschmeiß fällt mit einer solchen Gier über sein Opfer her. als ob es seine verwünschte Existenz nur allein Von Menschenblut fristete. Resignation, fester Wille, sich in das Unvermeidliche i» schicken, ist die einzige Waffe gegen diese physischen, wie gegen so manche psychische Leiden. Die Farbigen haben unter dieser Insektenplage weniger zu leiden als die Weißen; sie fühlen nur das Eindringen des Saugrüffels in die Haut, werden aber nicht wie jene von der beulenartigen Anschwellung, der Hautentzündung und der nervösen Reizbarkeit betroffen. Die Mosquitos erscheinen und ver¬ schwinden zu gewissen Jahreszeiten; sie sind von Sonnenaufgang bis Unter¬ gang in Bewegung, alsdann verhalten sie sich ruhig; ihre Tummelplätze be¬ schränken sich auf gewisse, scharf begrenzte Flußgebiete heiß-feuchter Zone, wo ") Aosouito; — unter mcMuito (moseg, Fliege; mosa.uno kleine Fliege) werden die Mllveichcn Arten der kleinen Stechfliegen. Schnaken, Grillen, Glieder u. s. w. — nicht aber " eigentlichen Stechmücken (Lulsx, Limulium) verstanden. Tsoeucko — heißt der Creole verschiedene Arten der Stechmücken der Gattung vulox,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/337>, abgerufen am 29.06.2024.