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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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seine wilde Musik aufspielt, der Blitz die Tafelrunde erleuchtet, und das aus¬
einanderberstende Gewölk die Brühe über den Braten gießt. Jedoch alle Re¬
signation einerseits, Ingrimm und Verzweiflung andrerseits rühren die Elemente
nicht; dunkler und dunkler wird die Nacht, und der vorüberrollende Donner
schleift eine Regenfluth nach der andern hinter sich her. bis das Morgengrauen
erlösend durch die ausgeschöpften Wolken bricht.

Starr vor Frost und Nässe wagt man sich hinein zu den zusammenge¬
drängten Reisegefährten unter dem triefenden Palmendach. Uebermüdung Hai
die Einen in die erlösenden Arme des Schlummers gelegt, Andere suchen fluchend
ihre versessenen Glieder in eine erträgliche Lage zu bringen, und ein kleiner
Rest wilder Barbaren, abgehärtet gegen jede menschliche Empfindung, läßt die
Flamme stoischen Humors auch hier noch fröhlich flackern zum Spott und Schaden der
weniger Starken. Aber die übermäßige Enge und Hitze und die entsetzlichen Neger-
und Mulattendünste in dem engen Raum drohen dem weißen Menschen mit
civilisirten Geruchsnerven den Erstickungstod; hastig arbeitet er sich wieder
hinaus, indem er vorzieht, in der Sündfluth zu erstarren.' als in jener Atmo¬
sphäre zu ersticken. Er gesellt sich endlich einem kleinen Häuflein Gleichgesinn¬
ter zu, das unter dem Schirm eines Baumwipfels zusammenkauert und mit
Geberden der Verzweiflung und elegischen Ausrufen seine Sehnsucht nach der
iNÄlnita (Mütterchen) und der warmen Küche der zärtlichen rnuelracditA (Mägd¬
lein) Luft macht, alle Schuld dieser unheilvollen Stunde auf die verrückte Reise
und die starrköpfigen Deutschen wälzt, seine Uebereilung verwünscht und gelobt,
niemals wieder diesen verdammten Monte zu betreten -- Verwünschungen und
Gelöbnisse, die natürlich, sobald der Regen aufhört und die Sonne die Kleider trock¬
net, Vergessen werden. Diese Sonne läßt indeß auf sich warten. Durch die schwarze
Nacht dröhnt unheimlichdas Krachen zusammenstürzender Bäume. Fromme Nothrufe
an die Heiligen und wüsteFlüche ringen sich gleichzeitig aus angstgepreßter Brust her¬
vor. Brausend wälzen sich die angeschwollenen Waldbäche die Schluchten hinab und
reißen Gischt aufspritzend die Ufer stückweise mit sich fort. Ueber den Grund hin rollt
hohl das Gestein, als ob sich losgehämmerte Felsen in den geöffneten Schlund der
Erde stürzten. Im Gange der Zeit scheint ein Stillstand eingetreten, so träge schlei¬
chen die Stunden vorüber. Jedoch der Schlaf, der getreue Freund der Jugend und
der Müden, .zieht auch unter so ungünstigen Verhältnissen seine Hand nicht
zurück, endlich drückt er dem erschöpft Hingesunkenen mitleidsvoll die Augen¬
lider zu. Der "rothe Drache", der Barbar der Wildniß, fängt das Haupt des
Kindes der Civilisation auf und legt es gutmüthig auf seine eifensesten Knie,
entblößt seine braunen Schultern, um seine einzige Schutzdecke über den
weißen Schützling auszubreiten.

So wechseln Freuden und Leiden während jener obdachlosen Nächte, die
großartigsten Eindrücke mit den härtesten Entbehrungen. Wenn der erste Weck'


seine wilde Musik aufspielt, der Blitz die Tafelrunde erleuchtet, und das aus¬
einanderberstende Gewölk die Brühe über den Braten gießt. Jedoch alle Re¬
signation einerseits, Ingrimm und Verzweiflung andrerseits rühren die Elemente
nicht; dunkler und dunkler wird die Nacht, und der vorüberrollende Donner
schleift eine Regenfluth nach der andern hinter sich her. bis das Morgengrauen
erlösend durch die ausgeschöpften Wolken bricht.

Starr vor Frost und Nässe wagt man sich hinein zu den zusammenge¬
drängten Reisegefährten unter dem triefenden Palmendach. Uebermüdung Hai
die Einen in die erlösenden Arme des Schlummers gelegt, Andere suchen fluchend
ihre versessenen Glieder in eine erträgliche Lage zu bringen, und ein kleiner
Rest wilder Barbaren, abgehärtet gegen jede menschliche Empfindung, läßt die
Flamme stoischen Humors auch hier noch fröhlich flackern zum Spott und Schaden der
weniger Starken. Aber die übermäßige Enge und Hitze und die entsetzlichen Neger-
und Mulattendünste in dem engen Raum drohen dem weißen Menschen mit
civilisirten Geruchsnerven den Erstickungstod; hastig arbeitet er sich wieder
hinaus, indem er vorzieht, in der Sündfluth zu erstarren.' als in jener Atmo¬
sphäre zu ersticken. Er gesellt sich endlich einem kleinen Häuflein Gleichgesinn¬
ter zu, das unter dem Schirm eines Baumwipfels zusammenkauert und mit
Geberden der Verzweiflung und elegischen Ausrufen seine Sehnsucht nach der
iNÄlnita (Mütterchen) und der warmen Küche der zärtlichen rnuelracditA (Mägd¬
lein) Luft macht, alle Schuld dieser unheilvollen Stunde auf die verrückte Reise
und die starrköpfigen Deutschen wälzt, seine Uebereilung verwünscht und gelobt,
niemals wieder diesen verdammten Monte zu betreten — Verwünschungen und
Gelöbnisse, die natürlich, sobald der Regen aufhört und die Sonne die Kleider trock¬
net, Vergessen werden. Diese Sonne läßt indeß auf sich warten. Durch die schwarze
Nacht dröhnt unheimlichdas Krachen zusammenstürzender Bäume. Fromme Nothrufe
an die Heiligen und wüsteFlüche ringen sich gleichzeitig aus angstgepreßter Brust her¬
vor. Brausend wälzen sich die angeschwollenen Waldbäche die Schluchten hinab und
reißen Gischt aufspritzend die Ufer stückweise mit sich fort. Ueber den Grund hin rollt
hohl das Gestein, als ob sich losgehämmerte Felsen in den geöffneten Schlund der
Erde stürzten. Im Gange der Zeit scheint ein Stillstand eingetreten, so träge schlei¬
chen die Stunden vorüber. Jedoch der Schlaf, der getreue Freund der Jugend und
der Müden, .zieht auch unter so ungünstigen Verhältnissen seine Hand nicht
zurück, endlich drückt er dem erschöpft Hingesunkenen mitleidsvoll die Augen¬
lider zu. Der „rothe Drache", der Barbar der Wildniß, fängt das Haupt des
Kindes der Civilisation auf und legt es gutmüthig auf seine eifensesten Knie,
entblößt seine braunen Schultern, um seine einzige Schutzdecke über den
weißen Schützling auszubreiten.

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großartigsten Eindrücke mit den härtesten Entbehrungen. Wenn der erste Weck'


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[0334] seine wilde Musik aufspielt, der Blitz die Tafelrunde erleuchtet, und das aus¬ einanderberstende Gewölk die Brühe über den Braten gießt. Jedoch alle Re¬ signation einerseits, Ingrimm und Verzweiflung andrerseits rühren die Elemente nicht; dunkler und dunkler wird die Nacht, und der vorüberrollende Donner schleift eine Regenfluth nach der andern hinter sich her. bis das Morgengrauen erlösend durch die ausgeschöpften Wolken bricht. Starr vor Frost und Nässe wagt man sich hinein zu den zusammenge¬ drängten Reisegefährten unter dem triefenden Palmendach. Uebermüdung Hai die Einen in die erlösenden Arme des Schlummers gelegt, Andere suchen fluchend ihre versessenen Glieder in eine erträgliche Lage zu bringen, und ein kleiner Rest wilder Barbaren, abgehärtet gegen jede menschliche Empfindung, läßt die Flamme stoischen Humors auch hier noch fröhlich flackern zum Spott und Schaden der weniger Starken. Aber die übermäßige Enge und Hitze und die entsetzlichen Neger- und Mulattendünste in dem engen Raum drohen dem weißen Menschen mit civilisirten Geruchsnerven den Erstickungstod; hastig arbeitet er sich wieder hinaus, indem er vorzieht, in der Sündfluth zu erstarren.' als in jener Atmo¬ sphäre zu ersticken. Er gesellt sich endlich einem kleinen Häuflein Gleichgesinn¬ ter zu, das unter dem Schirm eines Baumwipfels zusammenkauert und mit Geberden der Verzweiflung und elegischen Ausrufen seine Sehnsucht nach der iNÄlnita (Mütterchen) und der warmen Küche der zärtlichen rnuelracditA (Mägd¬ lein) Luft macht, alle Schuld dieser unheilvollen Stunde auf die verrückte Reise und die starrköpfigen Deutschen wälzt, seine Uebereilung verwünscht und gelobt, niemals wieder diesen verdammten Monte zu betreten — Verwünschungen und Gelöbnisse, die natürlich, sobald der Regen aufhört und die Sonne die Kleider trock¬ net, Vergessen werden. Diese Sonne läßt indeß auf sich warten. Durch die schwarze Nacht dröhnt unheimlichdas Krachen zusammenstürzender Bäume. Fromme Nothrufe an die Heiligen und wüsteFlüche ringen sich gleichzeitig aus angstgepreßter Brust her¬ vor. Brausend wälzen sich die angeschwollenen Waldbäche die Schluchten hinab und reißen Gischt aufspritzend die Ufer stückweise mit sich fort. Ueber den Grund hin rollt hohl das Gestein, als ob sich losgehämmerte Felsen in den geöffneten Schlund der Erde stürzten. Im Gange der Zeit scheint ein Stillstand eingetreten, so träge schlei¬ chen die Stunden vorüber. Jedoch der Schlaf, der getreue Freund der Jugend und der Müden, .zieht auch unter so ungünstigen Verhältnissen seine Hand nicht zurück, endlich drückt er dem erschöpft Hingesunkenen mitleidsvoll die Augen¬ lider zu. Der „rothe Drache", der Barbar der Wildniß, fängt das Haupt des Kindes der Civilisation auf und legt es gutmüthig auf seine eifensesten Knie, entblößt seine braunen Schultern, um seine einzige Schutzdecke über den weißen Schützling auszubreiten. So wechseln Freuden und Leiden während jener obdachlosen Nächte, die großartigsten Eindrücke mit den härtesten Entbehrungen. Wenn der erste Weck'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/334>, abgerufen am 29.06.2024.