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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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dem bisher ungebeugten Urwaldstrome ebenfalls das Joch menschlicher Industrie
und Cultur auf den Nacken zu legen. Alt und Jung beiderlei Geschlechts war
auf der Plaza vor unserm Hause versammelt; die angesehensten Einwohner
brachten K. und mir ihren Glückwunsch dar und erbaten den Beistand der
Heiligen für unser verdienstvolles Werk. Der Cura, ein frommer Priester
und redlicher Mensch, schlug das feuchte Auge gen Himmel auf und versprach,
eine Messe für uns und unsre patriotische Unternehmung zu lesen. Jedes aus
der Hand der Arrieros entlassene Lastthier wurde auf der Plaza mit einem viva!
begrüßt. Die Mochila der geschäftigen Arrieros, denen die Geschicklichkeit er¬
fordernde Handhabung der Thiere und des Gepäckes heute wie Spiel und
Tanz von den Fingern glitt, wurde mit dulees (Süßigkeiten), xotlo (ge¬
bratenen Hühnchen), Brod, Früchten u. s. w. von den zurückbleibenden Müttern,
Schwestern und Freundinnen gefüllt, und der Sohn mit Segnungen, der Bruder
und Freund mit ängstlichen Ermahnungen und mit nassen Augen bis zum näch¬
sten Wiedersehen entlassen. Jeder Arriero übernahm die ihm zugetheilte Anzahl
von Thieren (es kamen je sechs auf einen Führer) und die Verantwortlichkeit
in Betreff derselben, und ebenso wurden die Menschen in Abtheilungen ge¬
schieden, wodurch jeder Stockung und Unordnung auf dem schmalen Wege vor¬
gebeugt wurde. Der eapoM (der oberste Leiter der Arrieros) stieß in sein
Muschelhorn') feste sich an der Spitze seines Zuges in Bewegung und unter
Flintensalven, krachenden Raketen und Zündern und dröhnenden Tambor-
schlägen, Jubelrufen und hundcrtstimmigen vios! ^ vios!" schlängelte sich
die Karavane die Straße hinunter und jenseits der Stadt den esrro as odispo
hinauf, wo von der letzten Anhöhe die letzten Abschiebsrufe jubelnd hinüoer-
und herübergingen.

Die erste Tagereise beschränkte sich auf eine sehr kurze, kaum zwei Meilen
weite Strecke, bis zu einer befreundeten Hacienda, gleichsam um das Rad erst
in Schwingung zu setzen. Hier wurde die Colonne in zwei Züge getheilt,
von denen K. den ersteren größeren voraufführte, während ich mit dem andern
kleineren nachfolgte. Die Lastthiere haben die Gewohnheit, sich auf dem Wege
einander zu überholen, wobei sie mit den voluminösen Lasten ins Gedränge
kommen, die Lasten verschieben, abwerfen und sich selbst oft kopfüber und kopf¬
unter stürzen und niedertreten. Auf schmalen Wegen mit felsigem und ab¬
schüssigem Rande entstehen daraus leicht Gefahren und Verluste; es mußte da¬
her auf diesem nur für die Breite eines, höchstens zweier Lastthiere berech¬
neten Wege alles aufgewendet werden, um jeden Zusammenstoß zu verhin¬
dern. Jeder Abtheilung war ein ungesatteltes Thier beigegeben, um im Noth-



") Muschelhorn -- die durchbohrte Schale der Kegelschnecke, welche von den Arrieros
als Signalhorn geführt wird.

dem bisher ungebeugten Urwaldstrome ebenfalls das Joch menschlicher Industrie
und Cultur auf den Nacken zu legen. Alt und Jung beiderlei Geschlechts war
auf der Plaza vor unserm Hause versammelt; die angesehensten Einwohner
brachten K. und mir ihren Glückwunsch dar und erbaten den Beistand der
Heiligen für unser verdienstvolles Werk. Der Cura, ein frommer Priester
und redlicher Mensch, schlug das feuchte Auge gen Himmel auf und versprach,
eine Messe für uns und unsre patriotische Unternehmung zu lesen. Jedes aus
der Hand der Arrieros entlassene Lastthier wurde auf der Plaza mit einem viva!
begrüßt. Die Mochila der geschäftigen Arrieros, denen die Geschicklichkeit er¬
fordernde Handhabung der Thiere und des Gepäckes heute wie Spiel und
Tanz von den Fingern glitt, wurde mit dulees (Süßigkeiten), xotlo (ge¬
bratenen Hühnchen), Brod, Früchten u. s. w. von den zurückbleibenden Müttern,
Schwestern und Freundinnen gefüllt, und der Sohn mit Segnungen, der Bruder
und Freund mit ängstlichen Ermahnungen und mit nassen Augen bis zum näch¬
sten Wiedersehen entlassen. Jeder Arriero übernahm die ihm zugetheilte Anzahl
von Thieren (es kamen je sechs auf einen Führer) und die Verantwortlichkeit
in Betreff derselben, und ebenso wurden die Menschen in Abtheilungen ge¬
schieden, wodurch jeder Stockung und Unordnung auf dem schmalen Wege vor¬
gebeugt wurde. Der eapoM (der oberste Leiter der Arrieros) stieß in sein
Muschelhorn') feste sich an der Spitze seines Zuges in Bewegung und unter
Flintensalven, krachenden Raketen und Zündern und dröhnenden Tambor-
schlägen, Jubelrufen und hundcrtstimmigen vios! ^ vios!" schlängelte sich
die Karavane die Straße hinunter und jenseits der Stadt den esrro as odispo
hinauf, wo von der letzten Anhöhe die letzten Abschiebsrufe jubelnd hinüoer-
und herübergingen.

Die erste Tagereise beschränkte sich auf eine sehr kurze, kaum zwei Meilen
weite Strecke, bis zu einer befreundeten Hacienda, gleichsam um das Rad erst
in Schwingung zu setzen. Hier wurde die Colonne in zwei Züge getheilt,
von denen K. den ersteren größeren voraufführte, während ich mit dem andern
kleineren nachfolgte. Die Lastthiere haben die Gewohnheit, sich auf dem Wege
einander zu überholen, wobei sie mit den voluminösen Lasten ins Gedränge
kommen, die Lasten verschieben, abwerfen und sich selbst oft kopfüber und kopf¬
unter stürzen und niedertreten. Auf schmalen Wegen mit felsigem und ab¬
schüssigem Rande entstehen daraus leicht Gefahren und Verluste; es mußte da¬
her auf diesem nur für die Breite eines, höchstens zweier Lastthiere berech¬
neten Wege alles aufgewendet werden, um jeden Zusammenstoß zu verhin¬
dern. Jeder Abtheilung war ein ungesatteltes Thier beigegeben, um im Noth-



") Muschelhorn — die durchbohrte Schale der Kegelschnecke, welche von den Arrieros
als Signalhorn geführt wird.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/330>, abgerufen am 28.09.2024.