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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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keit und einem gewissen frivolen Kokettiren mit der Wissenschaft und ihren Ver¬
tretern hervorgegangen, so ist sie anderseits nur eine consequente Erweiterung
einer zuerst von Vespasian getroffenen Maßregel, wonach griechische und latei¬
nische Professoren der Beredsamkeit mit einem bedeutenden Gehalte aus der
kaiserlichen Schatulle angestellt wurden. Indem man die Vertreter der Lite¬
ratur, die Lehrer der Jugend zu besoldeten kaiserlichen Beamten machte, be¬
förderte man die Verbreitung und Befestigung der monarchischen Grundsätze
im Allgemeinen wie der Principien und Tendenzen der jeweiligen Negierung.
Gewiß lag auch Hadrian dieser politische Gesichtspunkt nicht fern, so wenig
wie seinem edeln und milden Nachfolger, Antonin dem Frommen, der, sonst
ohne specielleres Verhältniß zur Literatur, Rhetoren und Philosophen durch
alle Provinzen hindurch Ehren und Gehälter verlieh, und sie so wie die Gram¬
matiker und die Aerzte von mancherlei Lasten befreite.

Aber dilettirende Liebhaberei und politische Tendenz erklären noch nicht
ausreichend den Einfluß des Hadrian auf die Literatur; er verfocht auch be¬
stimmte ästhetische Principien und wußte ihnen Geltung zu verschaffen. Ein
scharfer Kritiker der Leistungen auf allen Gebieten der Literatur, zeigte er da¬
bei einen einseitigen und wunderlichen Geschmack. Um den Homer auszustechen,
führte er an seiner Statt den Vielen bis dahin selbst dem Namen nach unbe¬
kannten Antimachus ein, einen älteren Zeitgenossen des Plato, den Verfasser
eines sehr gedehnten Epos über die thebanische Sage. In der lateinischen
Literatur hatte er eine ausgesprochene Vorliebe für das Alterthümliche. Dem
Cicero zog er die knorrige Rede Catos vor, dem allgepriesenen Virgil die ersten
Versuche, die vor dreihundert Jahren in oft sehr ungelenken Hexametern in
Rom gemacht waren. Sallust, der doch selbst in manchen Stücken eine alter¬
thümliche Färbung erstrebt, mußte einem Vorgänger aus der Zahl der alten
Chronikenschreiber, dem Caelius Antipater, nachstehen.

Dieser Geschmack war verzeihlich in einer Zeit, in der die originelle Pro-
duction fast stockte; denn eben diese Unfruchtbarkeit schien darauf hinzudeuten,
daß die literarischen und stilistischen Principien des Cicero, zu denen man zu¬
rückzukehren versucht hatte, auf die Dauer ebensowenig frische Sprossen mehr
zu treiben vermochten, als die declamatorisch-rhetorische Richtung des ersten
Jahrhunderts der Kaiserzeit.

Unterstützt durch den fast allgemeinen Mangel an Productivität, geadelt
durch allerhöchstes Privilegium Hadrians, der dem gesammten Reiche auf allen
Lebensgebieten seine Signatur aufdrückte, versuchte von jetzt an jene Rück¬
kehr zur ältesten Zeit der römischen Literatur eine selbständige Rolle zu spielen.
Und damit beginnt nach jenen ohne nachhaltigen Erfolg gebliebenen Versuchen
der Renaissance für die römische Literatur das tragikomische Zeitalter des
Rococo, das die Regierungsperiode des Hadrian und der Antonine beherrscht.


keit und einem gewissen frivolen Kokettiren mit der Wissenschaft und ihren Ver¬
tretern hervorgegangen, so ist sie anderseits nur eine consequente Erweiterung
einer zuerst von Vespasian getroffenen Maßregel, wonach griechische und latei¬
nische Professoren der Beredsamkeit mit einem bedeutenden Gehalte aus der
kaiserlichen Schatulle angestellt wurden. Indem man die Vertreter der Lite¬
ratur, die Lehrer der Jugend zu besoldeten kaiserlichen Beamten machte, be¬
förderte man die Verbreitung und Befestigung der monarchischen Grundsätze
im Allgemeinen wie der Principien und Tendenzen der jeweiligen Negierung.
Gewiß lag auch Hadrian dieser politische Gesichtspunkt nicht fern, so wenig
wie seinem edeln und milden Nachfolger, Antonin dem Frommen, der, sonst
ohne specielleres Verhältniß zur Literatur, Rhetoren und Philosophen durch
alle Provinzen hindurch Ehren und Gehälter verlieh, und sie so wie die Gram¬
matiker und die Aerzte von mancherlei Lasten befreite.

Aber dilettirende Liebhaberei und politische Tendenz erklären noch nicht
ausreichend den Einfluß des Hadrian auf die Literatur; er verfocht auch be¬
stimmte ästhetische Principien und wußte ihnen Geltung zu verschaffen. Ein
scharfer Kritiker der Leistungen auf allen Gebieten der Literatur, zeigte er da¬
bei einen einseitigen und wunderlichen Geschmack. Um den Homer auszustechen,
führte er an seiner Statt den Vielen bis dahin selbst dem Namen nach unbe¬
kannten Antimachus ein, einen älteren Zeitgenossen des Plato, den Verfasser
eines sehr gedehnten Epos über die thebanische Sage. In der lateinischen
Literatur hatte er eine ausgesprochene Vorliebe für das Alterthümliche. Dem
Cicero zog er die knorrige Rede Catos vor, dem allgepriesenen Virgil die ersten
Versuche, die vor dreihundert Jahren in oft sehr ungelenken Hexametern in
Rom gemacht waren. Sallust, der doch selbst in manchen Stücken eine alter¬
thümliche Färbung erstrebt, mußte einem Vorgänger aus der Zahl der alten
Chronikenschreiber, dem Caelius Antipater, nachstehen.

Dieser Geschmack war verzeihlich in einer Zeit, in der die originelle Pro-
duction fast stockte; denn eben diese Unfruchtbarkeit schien darauf hinzudeuten,
daß die literarischen und stilistischen Principien des Cicero, zu denen man zu¬
rückzukehren versucht hatte, auf die Dauer ebensowenig frische Sprossen mehr
zu treiben vermochten, als die declamatorisch-rhetorische Richtung des ersten
Jahrhunderts der Kaiserzeit.

Unterstützt durch den fast allgemeinen Mangel an Productivität, geadelt
durch allerhöchstes Privilegium Hadrians, der dem gesammten Reiche auf allen
Lebensgebieten seine Signatur aufdrückte, versuchte von jetzt an jene Rück¬
kehr zur ältesten Zeit der römischen Literatur eine selbständige Rolle zu spielen.
Und damit beginnt nach jenen ohne nachhaltigen Erfolg gebliebenen Versuchen
der Renaissance für die römische Literatur das tragikomische Zeitalter des
Rococo, das die Regierungsperiode des Hadrian und der Antonine beherrscht.


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[0320] keit und einem gewissen frivolen Kokettiren mit der Wissenschaft und ihren Ver¬ tretern hervorgegangen, so ist sie anderseits nur eine consequente Erweiterung einer zuerst von Vespasian getroffenen Maßregel, wonach griechische und latei¬ nische Professoren der Beredsamkeit mit einem bedeutenden Gehalte aus der kaiserlichen Schatulle angestellt wurden. Indem man die Vertreter der Lite¬ ratur, die Lehrer der Jugend zu besoldeten kaiserlichen Beamten machte, be¬ förderte man die Verbreitung und Befestigung der monarchischen Grundsätze im Allgemeinen wie der Principien und Tendenzen der jeweiligen Negierung. Gewiß lag auch Hadrian dieser politische Gesichtspunkt nicht fern, so wenig wie seinem edeln und milden Nachfolger, Antonin dem Frommen, der, sonst ohne specielleres Verhältniß zur Literatur, Rhetoren und Philosophen durch alle Provinzen hindurch Ehren und Gehälter verlieh, und sie so wie die Gram¬ matiker und die Aerzte von mancherlei Lasten befreite. Aber dilettirende Liebhaberei und politische Tendenz erklären noch nicht ausreichend den Einfluß des Hadrian auf die Literatur; er verfocht auch be¬ stimmte ästhetische Principien und wußte ihnen Geltung zu verschaffen. Ein scharfer Kritiker der Leistungen auf allen Gebieten der Literatur, zeigte er da¬ bei einen einseitigen und wunderlichen Geschmack. Um den Homer auszustechen, führte er an seiner Statt den Vielen bis dahin selbst dem Namen nach unbe¬ kannten Antimachus ein, einen älteren Zeitgenossen des Plato, den Verfasser eines sehr gedehnten Epos über die thebanische Sage. In der lateinischen Literatur hatte er eine ausgesprochene Vorliebe für das Alterthümliche. Dem Cicero zog er die knorrige Rede Catos vor, dem allgepriesenen Virgil die ersten Versuche, die vor dreihundert Jahren in oft sehr ungelenken Hexametern in Rom gemacht waren. Sallust, der doch selbst in manchen Stücken eine alter¬ thümliche Färbung erstrebt, mußte einem Vorgänger aus der Zahl der alten Chronikenschreiber, dem Caelius Antipater, nachstehen. Dieser Geschmack war verzeihlich in einer Zeit, in der die originelle Pro- duction fast stockte; denn eben diese Unfruchtbarkeit schien darauf hinzudeuten, daß die literarischen und stilistischen Principien des Cicero, zu denen man zu¬ rückzukehren versucht hatte, auf die Dauer ebensowenig frische Sprossen mehr zu treiben vermochten, als die declamatorisch-rhetorische Richtung des ersten Jahrhunderts der Kaiserzeit. Unterstützt durch den fast allgemeinen Mangel an Productivität, geadelt durch allerhöchstes Privilegium Hadrians, der dem gesammten Reiche auf allen Lebensgebieten seine Signatur aufdrückte, versuchte von jetzt an jene Rück¬ kehr zur ältesten Zeit der römischen Literatur eine selbständige Rolle zu spielen. Und damit beginnt nach jenen ohne nachhaltigen Erfolg gebliebenen Versuchen der Renaissance für die römische Literatur das tragikomische Zeitalter des Rococo, das die Regierungsperiode des Hadrian und der Antonine beherrscht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/320>, abgerufen am 29.06.2024.