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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Aus dem Staube der Bibliotheken zog man die alten Autoren hervor, mit
ihnen nährte man die Jugend, legte Auszüge und Wörtersammlungen aus
ihnen an und ließ sie von seinen Schülern anlegen. War man mit diesen
sorglich eingeheimsten Schätzen ausgerüstet, hatte man sich dazu einige Kennt¬
niß der schematischen und äußerlichen Regeln der Rhetorik und einige Uebung
in ihren geschnörkelten Formen verschafft, so besaß man die nothwendigen
Rcquisite zur Schriftstellerei. Auf selbständiges Denken kam es dabei am
wenigsten an; man umhüllte die eigene Trivialität alt erborgten Pud), man
flickte sein ärmliches Gewand mit den ausgefärbten Prachtlappen aus den
Rumpelkammern der Literatur; hatte man Glück und eine hinreichende Portion
Dreistigkeit, so konnte man ohne große Anstrengung der höheren Geisteskräfte
um berühmter Mann werden.

Nie gewinnt eine Richtung in der Entwickelung des geistigen Lebens in
dem Maße die Oberhand, baß nicht auch Anderes neben it,r sich behaupten
und auftauchen könnte, geschweige eine in sich so haltlose und kurzlebige. So
trägt von den gleichzeitigen Erscheinungen der Abriß der römischen Geschichte
von Florus trotz seiner Kürze das rhetorische Gepräge, Suetons biographische
Darstellungen erscheinen nüchtern und farblos ohne jede hervorstechende stilistische
Eigenthümlichkeit, und auch in den bedeutenden Leistungen auf dem Gebiete
der Rechtswissenschaft tritt uns nirgends eine Spur dieser antiquarischen Marotte
entgegen. Ihr eigenthümliches Gepräge aber empfängt die Literatur dieser
Epoche durch das Rococo.

Niemand ist ein vollendeterer Vertreter desselben als Fronto. Afrikaner
von Geburt wußte er als Lehrer der Beredsamkeit und als Sachwalter
sich Bewunderung zu gewinnen. Neben anderen hervorragenden Männern
Sab man ihn den kaiserlichen Prinzen M. Aurel und L. Berus zum Lehrer,
durch die Gunst des Hofes stieg er unter Antoninus Pius bis zum Konsulat.
daS noch immer als das höchste Ehrenamt galt, empor, und M. Aurel bean¬
tragte selbst die Errichtung seiner Bildsäule im Senat. Aus den erlesensten
Kreisen der Gesellschaft sammelten sich Hörer und Bewunderer um ihn. es.
bildete sich eine eigene Secte der Frontonianer, die auf des Meisters Wort
Und Ansicht schwur. Sein Ruf war so bedeutend, so nachhaltig, daß anderthalb
Jahrhunderte später ein gallischer Rhetor ihn nicht als die erste Zierde der
Beredsamkeit nach Cicero, sondern nur als die andere neben ihm bezeichnen zu
dürfen glaubte. Achtungswerth für alle Zeit muß sein Freimuth erscheinen:
M. Aurel bekennt, daß er von Fronto gelernt habe, mit einer wie großen
Dosis von Neid. Intrigue und Heuchelei die Tyrannis verbunden sei und wie
herzlos die sogenannte vornehme Welt zu sein pflege. Wenn dagegen derselbe
M- Aurel in seinen Meditationen von dem Einfluß, den Fronto in seinem
^Sentlichcn Berufs- und Unterrichtszwcige. in der Rhetorik, auf ihn gewann.


Aus dem Staube der Bibliotheken zog man die alten Autoren hervor, mit
ihnen nährte man die Jugend, legte Auszüge und Wörtersammlungen aus
ihnen an und ließ sie von seinen Schülern anlegen. War man mit diesen
sorglich eingeheimsten Schätzen ausgerüstet, hatte man sich dazu einige Kennt¬
niß der schematischen und äußerlichen Regeln der Rhetorik und einige Uebung
in ihren geschnörkelten Formen verschafft, so besaß man die nothwendigen
Rcquisite zur Schriftstellerei. Auf selbständiges Denken kam es dabei am
wenigsten an; man umhüllte die eigene Trivialität alt erborgten Pud), man
flickte sein ärmliches Gewand mit den ausgefärbten Prachtlappen aus den
Rumpelkammern der Literatur; hatte man Glück und eine hinreichende Portion
Dreistigkeit, so konnte man ohne große Anstrengung der höheren Geisteskräfte
um berühmter Mann werden.

Nie gewinnt eine Richtung in der Entwickelung des geistigen Lebens in
dem Maße die Oberhand, baß nicht auch Anderes neben it,r sich behaupten
und auftauchen könnte, geschweige eine in sich so haltlose und kurzlebige. So
trägt von den gleichzeitigen Erscheinungen der Abriß der römischen Geschichte
von Florus trotz seiner Kürze das rhetorische Gepräge, Suetons biographische
Darstellungen erscheinen nüchtern und farblos ohne jede hervorstechende stilistische
Eigenthümlichkeit, und auch in den bedeutenden Leistungen auf dem Gebiete
der Rechtswissenschaft tritt uns nirgends eine Spur dieser antiquarischen Marotte
entgegen. Ihr eigenthümliches Gepräge aber empfängt die Literatur dieser
Epoche durch das Rococo.

Niemand ist ein vollendeterer Vertreter desselben als Fronto. Afrikaner
von Geburt wußte er als Lehrer der Beredsamkeit und als Sachwalter
sich Bewunderung zu gewinnen. Neben anderen hervorragenden Männern
Sab man ihn den kaiserlichen Prinzen M. Aurel und L. Berus zum Lehrer,
durch die Gunst des Hofes stieg er unter Antoninus Pius bis zum Konsulat.
daS noch immer als das höchste Ehrenamt galt, empor, und M. Aurel bean¬
tragte selbst die Errichtung seiner Bildsäule im Senat. Aus den erlesensten
Kreisen der Gesellschaft sammelten sich Hörer und Bewunderer um ihn. es.
bildete sich eine eigene Secte der Frontonianer, die auf des Meisters Wort
Und Ansicht schwur. Sein Ruf war so bedeutend, so nachhaltig, daß anderthalb
Jahrhunderte später ein gallischer Rhetor ihn nicht als die erste Zierde der
Beredsamkeit nach Cicero, sondern nur als die andere neben ihm bezeichnen zu
dürfen glaubte. Achtungswerth für alle Zeit muß sein Freimuth erscheinen:
M. Aurel bekennt, daß er von Fronto gelernt habe, mit einer wie großen
Dosis von Neid. Intrigue und Heuchelei die Tyrannis verbunden sei und wie
herzlos die sogenannte vornehme Welt zu sein pflege. Wenn dagegen derselbe
M- Aurel in seinen Meditationen von dem Einfluß, den Fronto in seinem
^Sentlichcn Berufs- und Unterrichtszwcige. in der Rhetorik, auf ihn gewann.


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[0321] Aus dem Staube der Bibliotheken zog man die alten Autoren hervor, mit ihnen nährte man die Jugend, legte Auszüge und Wörtersammlungen aus ihnen an und ließ sie von seinen Schülern anlegen. War man mit diesen sorglich eingeheimsten Schätzen ausgerüstet, hatte man sich dazu einige Kennt¬ niß der schematischen und äußerlichen Regeln der Rhetorik und einige Uebung in ihren geschnörkelten Formen verschafft, so besaß man die nothwendigen Rcquisite zur Schriftstellerei. Auf selbständiges Denken kam es dabei am wenigsten an; man umhüllte die eigene Trivialität alt erborgten Pud), man flickte sein ärmliches Gewand mit den ausgefärbten Prachtlappen aus den Rumpelkammern der Literatur; hatte man Glück und eine hinreichende Portion Dreistigkeit, so konnte man ohne große Anstrengung der höheren Geisteskräfte um berühmter Mann werden. Nie gewinnt eine Richtung in der Entwickelung des geistigen Lebens in dem Maße die Oberhand, baß nicht auch Anderes neben it,r sich behaupten und auftauchen könnte, geschweige eine in sich so haltlose und kurzlebige. So trägt von den gleichzeitigen Erscheinungen der Abriß der römischen Geschichte von Florus trotz seiner Kürze das rhetorische Gepräge, Suetons biographische Darstellungen erscheinen nüchtern und farblos ohne jede hervorstechende stilistische Eigenthümlichkeit, und auch in den bedeutenden Leistungen auf dem Gebiete der Rechtswissenschaft tritt uns nirgends eine Spur dieser antiquarischen Marotte entgegen. Ihr eigenthümliches Gepräge aber empfängt die Literatur dieser Epoche durch das Rococo. Niemand ist ein vollendeterer Vertreter desselben als Fronto. Afrikaner von Geburt wußte er als Lehrer der Beredsamkeit und als Sachwalter sich Bewunderung zu gewinnen. Neben anderen hervorragenden Männern Sab man ihn den kaiserlichen Prinzen M. Aurel und L. Berus zum Lehrer, durch die Gunst des Hofes stieg er unter Antoninus Pius bis zum Konsulat. daS noch immer als das höchste Ehrenamt galt, empor, und M. Aurel bean¬ tragte selbst die Errichtung seiner Bildsäule im Senat. Aus den erlesensten Kreisen der Gesellschaft sammelten sich Hörer und Bewunderer um ihn. es. bildete sich eine eigene Secte der Frontonianer, die auf des Meisters Wort Und Ansicht schwur. Sein Ruf war so bedeutend, so nachhaltig, daß anderthalb Jahrhunderte später ein gallischer Rhetor ihn nicht als die erste Zierde der Beredsamkeit nach Cicero, sondern nur als die andere neben ihm bezeichnen zu dürfen glaubte. Achtungswerth für alle Zeit muß sein Freimuth erscheinen: M. Aurel bekennt, daß er von Fronto gelernt habe, mit einer wie großen Dosis von Neid. Intrigue und Heuchelei die Tyrannis verbunden sei und wie herzlos die sogenannte vornehme Welt zu sein pflege. Wenn dagegen derselbe M- Aurel in seinen Meditationen von dem Einfluß, den Fronto in seinem ^Sentlichcn Berufs- und Unterrichtszwcige. in der Rhetorik, auf ihn gewann.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/321>, abgerufen am 29.06.2024.