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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Es ist ein erschütterndes Schauspiel, den einzelnen Mann mit dem Auf¬
gebote aller Leidenschaft kämpfen zu sehen gegen das Ungeheuer, das nach seiner
Meinung die Welt verdarb. Die Nation hat die Erbschaft dieses Hasses an¬
getreten; es kann keine Frage sein, welcher von den beiden Feinden das stärkere
Anathem gesprochen hat.

Und wie er die Kirche wiederhergestellt haben will in ihrer vermeintlich
ehemaligen blos geistlichen Verfassung, so ist auch sein politisches Ideal in
dem reformatorischen Sinne conservativ, der oben bezeichnet wurde. Er ver¬
langt die Wiederherstellung des Weltkaiserthums, das er als Gottes Ordnung
betrachtet. Auf den Kaiser überträfe er die Attribute, die er dem Papste ab¬
spricht. Seine Forderungen sind so ideal, so umfassend, daß sie in der That
auf eine ins Irdische übertragene Theokratie hinausführen. Sie sind kühner
und abstracter als alle früheren mittelalterlichen Theorien. Aber so unmöglich
ihre Verwirklichung ist, sie beruhen auf jenem Verlangen nach der geschichtlichen
Kontinuität, welches ein Charakterzug des Protestantismus ist. nur daß dasselbe
hier in der äußersten Steigerung auftritt. Das Universalkaiserthum war auch
das politische Ideal des Mittelalters. Während aber das Papstthum der wirk¬
lichen Geschichte die Oberhoheit usurpirt hatte, verlangt Dante in seiner Welt
die strengste Gleichstellung von Schwert und Hirtenstab und genaue Auseinander¬
setzung der Pflichten. Wichtiger ist, wie seine Logik gerade durch die kühnste
Erweiterung der mittelalterlichen Kaiseridee dahin kommt, die nationale Indi-
vidualisirung anzuerkennen und zu rechtfertigen, die das Problem seines Zeit¬
alters war.

Ausdrücklich erkennt er an, daß die Völker, Staaten und Verfassungen
Eigenthümlichkeiten haben, welche nicht durch uniformes Gesetz eines Einzigen,
sondern je nach ihrer Besonderheit, ja von ihnen selbst nur geregelt und ge¬
handhabt werden können. Des Kaisers ist es, Aufsehen zu haben auf die
allgemeinen irdischen Heilsgüter der gesammten Menschheit; er soll vor allem
durch Befestigung des Friedens die Möglichkeit gewähren, daß jeder Staat
nach seiner eigenen Natur leben und sich entwickeln könne.

Diese Kehrseite seiner Theorie gab dem neuen Guelfenthum des modernen
Italien ein Anrecht, sich mit seinem Lg,r<z-äa>-hö auf den fanatischen Ghibelli-
nen zu berufen. Der fromme Betrug, mit welchem die populäre Geschichts¬
darstellung der Italiener dieses Thema durcharbeitet, mag nicht gescholten
werden. Das Maß der Wahrheit ist, daß Dante bei der Anknüpfung seiner
Idee an die Wirklichkeit den nationalen Boden wiedergefunden hat, und
das ist praktisch das Entscheidende. Nicht das römische Reich deutscher Nation
will er erneuern: daß die Krone auf dem Haupte eines Deutschen sitzt, nimmt
er hin als einen Zufall im Erbgange. Seiner Theorie kommt darauf nichts
an, sondern sie spricht vielmehr das Recht des Imperiums den wirklichen Römern


Es ist ein erschütterndes Schauspiel, den einzelnen Mann mit dem Auf¬
gebote aller Leidenschaft kämpfen zu sehen gegen das Ungeheuer, das nach seiner
Meinung die Welt verdarb. Die Nation hat die Erbschaft dieses Hasses an¬
getreten; es kann keine Frage sein, welcher von den beiden Feinden das stärkere
Anathem gesprochen hat.

Und wie er die Kirche wiederhergestellt haben will in ihrer vermeintlich
ehemaligen blos geistlichen Verfassung, so ist auch sein politisches Ideal in
dem reformatorischen Sinne conservativ, der oben bezeichnet wurde. Er ver¬
langt die Wiederherstellung des Weltkaiserthums, das er als Gottes Ordnung
betrachtet. Auf den Kaiser überträfe er die Attribute, die er dem Papste ab¬
spricht. Seine Forderungen sind so ideal, so umfassend, daß sie in der That
auf eine ins Irdische übertragene Theokratie hinausführen. Sie sind kühner
und abstracter als alle früheren mittelalterlichen Theorien. Aber so unmöglich
ihre Verwirklichung ist, sie beruhen auf jenem Verlangen nach der geschichtlichen
Kontinuität, welches ein Charakterzug des Protestantismus ist. nur daß dasselbe
hier in der äußersten Steigerung auftritt. Das Universalkaiserthum war auch
das politische Ideal des Mittelalters. Während aber das Papstthum der wirk¬
lichen Geschichte die Oberhoheit usurpirt hatte, verlangt Dante in seiner Welt
die strengste Gleichstellung von Schwert und Hirtenstab und genaue Auseinander¬
setzung der Pflichten. Wichtiger ist, wie seine Logik gerade durch die kühnste
Erweiterung der mittelalterlichen Kaiseridee dahin kommt, die nationale Indi-
vidualisirung anzuerkennen und zu rechtfertigen, die das Problem seines Zeit¬
alters war.

Ausdrücklich erkennt er an, daß die Völker, Staaten und Verfassungen
Eigenthümlichkeiten haben, welche nicht durch uniformes Gesetz eines Einzigen,
sondern je nach ihrer Besonderheit, ja von ihnen selbst nur geregelt und ge¬
handhabt werden können. Des Kaisers ist es, Aufsehen zu haben auf die
allgemeinen irdischen Heilsgüter der gesammten Menschheit; er soll vor allem
durch Befestigung des Friedens die Möglichkeit gewähren, daß jeder Staat
nach seiner eigenen Natur leben und sich entwickeln könne.

Diese Kehrseite seiner Theorie gab dem neuen Guelfenthum des modernen
Italien ein Anrecht, sich mit seinem Lg,r<z-äa>-hö auf den fanatischen Ghibelli-
nen zu berufen. Der fromme Betrug, mit welchem die populäre Geschichts¬
darstellung der Italiener dieses Thema durcharbeitet, mag nicht gescholten
werden. Das Maß der Wahrheit ist, daß Dante bei der Anknüpfung seiner
Idee an die Wirklichkeit den nationalen Boden wiedergefunden hat, und
das ist praktisch das Entscheidende. Nicht das römische Reich deutscher Nation
will er erneuern: daß die Krone auf dem Haupte eines Deutschen sitzt, nimmt
er hin als einen Zufall im Erbgange. Seiner Theorie kommt darauf nichts
an, sondern sie spricht vielmehr das Recht des Imperiums den wirklichen Römern


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[0308] Es ist ein erschütterndes Schauspiel, den einzelnen Mann mit dem Auf¬ gebote aller Leidenschaft kämpfen zu sehen gegen das Ungeheuer, das nach seiner Meinung die Welt verdarb. Die Nation hat die Erbschaft dieses Hasses an¬ getreten; es kann keine Frage sein, welcher von den beiden Feinden das stärkere Anathem gesprochen hat. Und wie er die Kirche wiederhergestellt haben will in ihrer vermeintlich ehemaligen blos geistlichen Verfassung, so ist auch sein politisches Ideal in dem reformatorischen Sinne conservativ, der oben bezeichnet wurde. Er ver¬ langt die Wiederherstellung des Weltkaiserthums, das er als Gottes Ordnung betrachtet. Auf den Kaiser überträfe er die Attribute, die er dem Papste ab¬ spricht. Seine Forderungen sind so ideal, so umfassend, daß sie in der That auf eine ins Irdische übertragene Theokratie hinausführen. Sie sind kühner und abstracter als alle früheren mittelalterlichen Theorien. Aber so unmöglich ihre Verwirklichung ist, sie beruhen auf jenem Verlangen nach der geschichtlichen Kontinuität, welches ein Charakterzug des Protestantismus ist. nur daß dasselbe hier in der äußersten Steigerung auftritt. Das Universalkaiserthum war auch das politische Ideal des Mittelalters. Während aber das Papstthum der wirk¬ lichen Geschichte die Oberhoheit usurpirt hatte, verlangt Dante in seiner Welt die strengste Gleichstellung von Schwert und Hirtenstab und genaue Auseinander¬ setzung der Pflichten. Wichtiger ist, wie seine Logik gerade durch die kühnste Erweiterung der mittelalterlichen Kaiseridee dahin kommt, die nationale Indi- vidualisirung anzuerkennen und zu rechtfertigen, die das Problem seines Zeit¬ alters war. Ausdrücklich erkennt er an, daß die Völker, Staaten und Verfassungen Eigenthümlichkeiten haben, welche nicht durch uniformes Gesetz eines Einzigen, sondern je nach ihrer Besonderheit, ja von ihnen selbst nur geregelt und ge¬ handhabt werden können. Des Kaisers ist es, Aufsehen zu haben auf die allgemeinen irdischen Heilsgüter der gesammten Menschheit; er soll vor allem durch Befestigung des Friedens die Möglichkeit gewähren, daß jeder Staat nach seiner eigenen Natur leben und sich entwickeln könne. Diese Kehrseite seiner Theorie gab dem neuen Guelfenthum des modernen Italien ein Anrecht, sich mit seinem Lg,r<z-äa>-hö auf den fanatischen Ghibelli- nen zu berufen. Der fromme Betrug, mit welchem die populäre Geschichts¬ darstellung der Italiener dieses Thema durcharbeitet, mag nicht gescholten werden. Das Maß der Wahrheit ist, daß Dante bei der Anknüpfung seiner Idee an die Wirklichkeit den nationalen Boden wiedergefunden hat, und das ist praktisch das Entscheidende. Nicht das römische Reich deutscher Nation will er erneuern: daß die Krone auf dem Haupte eines Deutschen sitzt, nimmt er hin als einen Zufall im Erbgange. Seiner Theorie kommt darauf nichts an, sondern sie spricht vielmehr das Recht des Imperiums den wirklichen Römern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/308>, abgerufen am 28.09.2024.