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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Aehnlich in Italien. Die Aneignung der Antike, die von den Italienern
selbst als das treibende Element der Erneuerung ihrer Cultur betrachtet wird,
ist die Folge eines innerliHen Vorganges, der dann nur bestimmte Form und
historische Rechtfertigung gewinnt. Nicht seit man die Antike wiedergefunden
hatte, strebte man ihrem Zuge folgend nach der Befreiung des Menschenthums,
sondern weil das individuelle Bewußtsein erwacht war. konnte die Antike Gegen-
stand der Nachahmung und Liebe werden. Denn es ist nicht an dem. daß die
Antike damals wie ein Gott aus der Maschine gesprungen wäre. Bruchstücke
antiker Wissenschaft und Kunst hatten im Mittelalter allenthalben umhergelegen
Wie erratische Blöcke, nicht gewürdigt zwar, aber auch nicht immer verachtet; erst
dem neuen Menschenbewußtsein tönten sie wie Memnonssäulen und strömten sie
fruchtbare Wärme aus.

Und Dante war es. der das Alterthum wieder in sein Recht einsetzte. Es
war eine große folgernde That, daß er in der göttlichen Komödie die neubelebte
römische Geschichte ebenbürtig mit der christlichen behandelte. Virgil wird ihm
als Retter gesandt im Wirrsal des Lebens, an des Heiden Hand durchwandert
er die Stätten der Verdammniß und das Land der Büßer. Ueberdies. welche
Fülle antiker Elemente in dem Personal des Inferno; christliche und heidnische
Mythologie sind völlig verschmolzen und die letztere überwiegt. Cato von Utica
ist der Hüter des Strandes, an welchem sich der Berg der Reinigung erhebt;
bis in die Sphären der Himmel hinan spielen verwegene Andeutungen eines
Heilsbesitzes der Heiden, eines Christenthums vor Christus, wenngleich den
edlen Ungetauften die neutrale Stätte im Lindus angewiesen ist und Birgil
selbst, der theure Hort, auf der Schwelle des Paradieses umkehren muß.

Denn Dante will konservativer Katholik sein. Das System des geläuterten
Scholasticismus ist sein Glaubenskanon und mit rigoroser Gewissenhaftigkeit
baut er die Stufen der Hölle und des Himmels nach dem Jnstinct der Kirche,
^r ist darin um so strenger, weil er das echte Kirchenthum zu retten strebt von
Pest des weltlichen Regimentes der Päpste, welches er haßt, wie nur Luther
^ gehaßt hat. oder der italienische Patriot von heute es hassen kann. Wie
°se gedenkt er in Zorn und Schmerz der undankbaren Vaterstadt, die ihn ver¬
bannte; er kann sich kaum genugthun in beschämenden Bildern, mit denen er
das entartete Florenz brandmarkt; dazwischen jedoch klingen elegische Töne des
Heimwehs und das Lob der alten schönen Zeit, da Florenz die Blume der Welt
^"r. Fin das Papstthum und seine weltliche Macht aber hat er nur Fluch.
Mit äußerster Consequenz benutzt er jede gebotene Gelegenheit, oder er bricht
sie vom Zaun, um sein cvterum eeusso zu wiederholen.


Weil es der Doppelwürde Zwitterwesen
In sich vermengt, fällt Rom von seiner Höh'
In Koth. besudelnd sich und sein- Bürde!

Aehnlich in Italien. Die Aneignung der Antike, die von den Italienern
selbst als das treibende Element der Erneuerung ihrer Cultur betrachtet wird,
ist die Folge eines innerliHen Vorganges, der dann nur bestimmte Form und
historische Rechtfertigung gewinnt. Nicht seit man die Antike wiedergefunden
hatte, strebte man ihrem Zuge folgend nach der Befreiung des Menschenthums,
sondern weil das individuelle Bewußtsein erwacht war. konnte die Antike Gegen-
stand der Nachahmung und Liebe werden. Denn es ist nicht an dem. daß die
Antike damals wie ein Gott aus der Maschine gesprungen wäre. Bruchstücke
antiker Wissenschaft und Kunst hatten im Mittelalter allenthalben umhergelegen
Wie erratische Blöcke, nicht gewürdigt zwar, aber auch nicht immer verachtet; erst
dem neuen Menschenbewußtsein tönten sie wie Memnonssäulen und strömten sie
fruchtbare Wärme aus.

Und Dante war es. der das Alterthum wieder in sein Recht einsetzte. Es
war eine große folgernde That, daß er in der göttlichen Komödie die neubelebte
römische Geschichte ebenbürtig mit der christlichen behandelte. Virgil wird ihm
als Retter gesandt im Wirrsal des Lebens, an des Heiden Hand durchwandert
er die Stätten der Verdammniß und das Land der Büßer. Ueberdies. welche
Fülle antiker Elemente in dem Personal des Inferno; christliche und heidnische
Mythologie sind völlig verschmolzen und die letztere überwiegt. Cato von Utica
ist der Hüter des Strandes, an welchem sich der Berg der Reinigung erhebt;
bis in die Sphären der Himmel hinan spielen verwegene Andeutungen eines
Heilsbesitzes der Heiden, eines Christenthums vor Christus, wenngleich den
edlen Ungetauften die neutrale Stätte im Lindus angewiesen ist und Birgil
selbst, der theure Hort, auf der Schwelle des Paradieses umkehren muß.

Denn Dante will konservativer Katholik sein. Das System des geläuterten
Scholasticismus ist sein Glaubenskanon und mit rigoroser Gewissenhaftigkeit
baut er die Stufen der Hölle und des Himmels nach dem Jnstinct der Kirche,
^r ist darin um so strenger, weil er das echte Kirchenthum zu retten strebt von
Pest des weltlichen Regimentes der Päpste, welches er haßt, wie nur Luther
^ gehaßt hat. oder der italienische Patriot von heute es hassen kann. Wie
°se gedenkt er in Zorn und Schmerz der undankbaren Vaterstadt, die ihn ver¬
bannte; er kann sich kaum genugthun in beschämenden Bildern, mit denen er
das entartete Florenz brandmarkt; dazwischen jedoch klingen elegische Töne des
Heimwehs und das Lob der alten schönen Zeit, da Florenz die Blume der Welt
^«r. Fin das Papstthum und seine weltliche Macht aber hat er nur Fluch.
Mit äußerster Consequenz benutzt er jede gebotene Gelegenheit, oder er bricht
sie vom Zaun, um sein cvterum eeusso zu wiederholen.


Weil es der Doppelwürde Zwitterwesen
In sich vermengt, fällt Rom von seiner Höh'
In Koth. besudelnd sich und sein- Bürde!

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[0307] Aehnlich in Italien. Die Aneignung der Antike, die von den Italienern selbst als das treibende Element der Erneuerung ihrer Cultur betrachtet wird, ist die Folge eines innerliHen Vorganges, der dann nur bestimmte Form und historische Rechtfertigung gewinnt. Nicht seit man die Antike wiedergefunden hatte, strebte man ihrem Zuge folgend nach der Befreiung des Menschenthums, sondern weil das individuelle Bewußtsein erwacht war. konnte die Antike Gegen- stand der Nachahmung und Liebe werden. Denn es ist nicht an dem. daß die Antike damals wie ein Gott aus der Maschine gesprungen wäre. Bruchstücke antiker Wissenschaft und Kunst hatten im Mittelalter allenthalben umhergelegen Wie erratische Blöcke, nicht gewürdigt zwar, aber auch nicht immer verachtet; erst dem neuen Menschenbewußtsein tönten sie wie Memnonssäulen und strömten sie fruchtbare Wärme aus. Und Dante war es. der das Alterthum wieder in sein Recht einsetzte. Es war eine große folgernde That, daß er in der göttlichen Komödie die neubelebte römische Geschichte ebenbürtig mit der christlichen behandelte. Virgil wird ihm als Retter gesandt im Wirrsal des Lebens, an des Heiden Hand durchwandert er die Stätten der Verdammniß und das Land der Büßer. Ueberdies. welche Fülle antiker Elemente in dem Personal des Inferno; christliche und heidnische Mythologie sind völlig verschmolzen und die letztere überwiegt. Cato von Utica ist der Hüter des Strandes, an welchem sich der Berg der Reinigung erhebt; bis in die Sphären der Himmel hinan spielen verwegene Andeutungen eines Heilsbesitzes der Heiden, eines Christenthums vor Christus, wenngleich den edlen Ungetauften die neutrale Stätte im Lindus angewiesen ist und Birgil selbst, der theure Hort, auf der Schwelle des Paradieses umkehren muß. Denn Dante will konservativer Katholik sein. Das System des geläuterten Scholasticismus ist sein Glaubenskanon und mit rigoroser Gewissenhaftigkeit baut er die Stufen der Hölle und des Himmels nach dem Jnstinct der Kirche, ^r ist darin um so strenger, weil er das echte Kirchenthum zu retten strebt von Pest des weltlichen Regimentes der Päpste, welches er haßt, wie nur Luther ^ gehaßt hat. oder der italienische Patriot von heute es hassen kann. Wie °se gedenkt er in Zorn und Schmerz der undankbaren Vaterstadt, die ihn ver¬ bannte; er kann sich kaum genugthun in beschämenden Bildern, mit denen er das entartete Florenz brandmarkt; dazwischen jedoch klingen elegische Töne des Heimwehs und das Lob der alten schönen Zeit, da Florenz die Blume der Welt ^«r. Fin das Papstthum und seine weltliche Macht aber hat er nur Fluch. Mit äußerster Consequenz benutzt er jede gebotene Gelegenheit, oder er bricht sie vom Zaun, um sein cvterum eeusso zu wiederholen. Weil es der Doppelwürde Zwitterwesen In sich vermengt, fällt Rom von seiner Höh' In Koth. besudelnd sich und sein- Bürde!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/307>, abgerufen am 28.09.2024.