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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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zu, dem auserwählten Volke, in welchem die Monarchie des Cäsar und An"
gustus entstand. An sie, an die Ueberlieferung der alten Geschichte auf der
vaterländischen Erde soll wieder angeknüpft werden.

Aus irrthümlicher Loyalität, mehr aber noch aus politischer Klugheit läßt
er den abweichenden Thatbestand gelten. Denn vor allem will er Ernst gemacht
sehen mit der Umkehr aus dem Wirrwarr der Revolution, die sein Vaterland
zerfleischt, zur ehrbaren Ordnung des Kaiserregiments. Mit glühendem Eifer,
mit innigster Hingabe ruft und lockt er den Kaiser Heinrich über die Alpen
herbei. In den rührendsten Weisen. wie die verwitwete Braut den Bräutigam,
läßt er in seinen Flugschriften die schöne Italie" klagen, trauern, frohlocken,
je nachdem der luxemburgische Kaiser sich nähert oder entfernt von dem Ziele,
das er als das wichtigste bezeichnet. Und das ist Florenz, das grimme Panther-
thier, der Sitz boshafter Guelfentücke. und doch seine Heimath, die er liebt
mit einer Leidenschaft, wie vor ihm kein Mensch sie empfunden. Gewiß,
Man wird dem mächtigen Pathos seiner politischen Agitation nicht Unrecht thun,
wenn man ein gutes Theil davon aus diesem Schmerze des Menschen erklärt,
den der Verbannte ins Grab mitnahm, und den aller Aufwand philosophischer
Resignation nicht bändigte. "Wer das erfuhr, was ich erleide und im Busen
fühle, giebt keinem Irdischen mehr Rechenschaft." Das ist die Stimmung der
letzten Lebenstage Dantes. Sie ist zum Monument geworden in dem riesen¬
haften Gedichte, worin er die Menschheit und sein Zeitalter im Spiegel des
Jenseits schaut und als rückwärts gewandter Prophet Strafe und Lohn
verkündet.

Aber wie die Muse seiner ungeheuern Poesie in irdischer und himmlischer
Gestalt die Liebe zu jenem florentinischen Mädchen Beatrice Portinari war.
Welche die Unsterblichkeit mit ihm theilt, so ist auch aller Fanatismus, aller
Groll. alle Sehnsucht seiner politischen Empfindung und Wirksamkeit die Liebe
zu Italien. das er zum ersten Mal als ein einiges Vaterland erfaßte. Es hat
lange gedauert, ehe seine Landsleute die schlichte Summe seines Lebens ver¬
standen haben, wenn auch der Jnstinct dafür nur selten ganz ersterben gewesen
'se- Mit feinem Gefühl mißt Balbo in, der Biographie des Dichters die
Genesis des nationalen Gedankens unter den Italienern nach dem Grade der
Verehrung und Hingabe, die sie Dante gezollt. Er. durch dessen Poesie die
schönste Sprache des Abendlandes das Bürgerrecht in der Literatur gewann,
'se zugleich das personificirte patriotische Gewissen seines Volkes, obgleich sein
politisches Ideal ein heroischer Irrthum war. Durch die Epochen der ita¬
lienischen Geschichte geht sein Bild wie der gute Genius der Nation. Die
Studien, welche seinen Werken zugewendet werden, sind Zwiegespräche zwischen
Lehrer und Gemeinde; in der Anwendung aus ihn wird die Nation erst ihrer
innersten Erfahrungen froh.


Gmizbvten II. 186S,

zu, dem auserwählten Volke, in welchem die Monarchie des Cäsar und An»
gustus entstand. An sie, an die Ueberlieferung der alten Geschichte auf der
vaterländischen Erde soll wieder angeknüpft werden.

Aus irrthümlicher Loyalität, mehr aber noch aus politischer Klugheit läßt
er den abweichenden Thatbestand gelten. Denn vor allem will er Ernst gemacht
sehen mit der Umkehr aus dem Wirrwarr der Revolution, die sein Vaterland
zerfleischt, zur ehrbaren Ordnung des Kaiserregiments. Mit glühendem Eifer,
mit innigster Hingabe ruft und lockt er den Kaiser Heinrich über die Alpen
herbei. In den rührendsten Weisen. wie die verwitwete Braut den Bräutigam,
läßt er in seinen Flugschriften die schöne Italie» klagen, trauern, frohlocken,
je nachdem der luxemburgische Kaiser sich nähert oder entfernt von dem Ziele,
das er als das wichtigste bezeichnet. Und das ist Florenz, das grimme Panther-
thier, der Sitz boshafter Guelfentücke. und doch seine Heimath, die er liebt
mit einer Leidenschaft, wie vor ihm kein Mensch sie empfunden. Gewiß,
Man wird dem mächtigen Pathos seiner politischen Agitation nicht Unrecht thun,
wenn man ein gutes Theil davon aus diesem Schmerze des Menschen erklärt,
den der Verbannte ins Grab mitnahm, und den aller Aufwand philosophischer
Resignation nicht bändigte. „Wer das erfuhr, was ich erleide und im Busen
fühle, giebt keinem Irdischen mehr Rechenschaft." Das ist die Stimmung der
letzten Lebenstage Dantes. Sie ist zum Monument geworden in dem riesen¬
haften Gedichte, worin er die Menschheit und sein Zeitalter im Spiegel des
Jenseits schaut und als rückwärts gewandter Prophet Strafe und Lohn
verkündet.

Aber wie die Muse seiner ungeheuern Poesie in irdischer und himmlischer
Gestalt die Liebe zu jenem florentinischen Mädchen Beatrice Portinari war.
Welche die Unsterblichkeit mit ihm theilt, so ist auch aller Fanatismus, aller
Groll. alle Sehnsucht seiner politischen Empfindung und Wirksamkeit die Liebe
zu Italien. das er zum ersten Mal als ein einiges Vaterland erfaßte. Es hat
lange gedauert, ehe seine Landsleute die schlichte Summe seines Lebens ver¬
standen haben, wenn auch der Jnstinct dafür nur selten ganz ersterben gewesen
'se- Mit feinem Gefühl mißt Balbo in, der Biographie des Dichters die
Genesis des nationalen Gedankens unter den Italienern nach dem Grade der
Verehrung und Hingabe, die sie Dante gezollt. Er. durch dessen Poesie die
schönste Sprache des Abendlandes das Bürgerrecht in der Literatur gewann,
'se zugleich das personificirte patriotische Gewissen seines Volkes, obgleich sein
politisches Ideal ein heroischer Irrthum war. Durch die Epochen der ita¬
lienischen Geschichte geht sein Bild wie der gute Genius der Nation. Die
Studien, welche seinen Werken zugewendet werden, sind Zwiegespräche zwischen
Lehrer und Gemeinde; in der Anwendung aus ihn wird die Nation erst ihrer
innersten Erfahrungen froh.


Gmizbvten II. 186S,
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[0309] zu, dem auserwählten Volke, in welchem die Monarchie des Cäsar und An» gustus entstand. An sie, an die Ueberlieferung der alten Geschichte auf der vaterländischen Erde soll wieder angeknüpft werden. Aus irrthümlicher Loyalität, mehr aber noch aus politischer Klugheit läßt er den abweichenden Thatbestand gelten. Denn vor allem will er Ernst gemacht sehen mit der Umkehr aus dem Wirrwarr der Revolution, die sein Vaterland zerfleischt, zur ehrbaren Ordnung des Kaiserregiments. Mit glühendem Eifer, mit innigster Hingabe ruft und lockt er den Kaiser Heinrich über die Alpen herbei. In den rührendsten Weisen. wie die verwitwete Braut den Bräutigam, läßt er in seinen Flugschriften die schöne Italie» klagen, trauern, frohlocken, je nachdem der luxemburgische Kaiser sich nähert oder entfernt von dem Ziele, das er als das wichtigste bezeichnet. Und das ist Florenz, das grimme Panther- thier, der Sitz boshafter Guelfentücke. und doch seine Heimath, die er liebt mit einer Leidenschaft, wie vor ihm kein Mensch sie empfunden. Gewiß, Man wird dem mächtigen Pathos seiner politischen Agitation nicht Unrecht thun, wenn man ein gutes Theil davon aus diesem Schmerze des Menschen erklärt, den der Verbannte ins Grab mitnahm, und den aller Aufwand philosophischer Resignation nicht bändigte. „Wer das erfuhr, was ich erleide und im Busen fühle, giebt keinem Irdischen mehr Rechenschaft." Das ist die Stimmung der letzten Lebenstage Dantes. Sie ist zum Monument geworden in dem riesen¬ haften Gedichte, worin er die Menschheit und sein Zeitalter im Spiegel des Jenseits schaut und als rückwärts gewandter Prophet Strafe und Lohn verkündet. Aber wie die Muse seiner ungeheuern Poesie in irdischer und himmlischer Gestalt die Liebe zu jenem florentinischen Mädchen Beatrice Portinari war. Welche die Unsterblichkeit mit ihm theilt, so ist auch aller Fanatismus, aller Groll. alle Sehnsucht seiner politischen Empfindung und Wirksamkeit die Liebe zu Italien. das er zum ersten Mal als ein einiges Vaterland erfaßte. Es hat lange gedauert, ehe seine Landsleute die schlichte Summe seines Lebens ver¬ standen haben, wenn auch der Jnstinct dafür nur selten ganz ersterben gewesen 'se- Mit feinem Gefühl mißt Balbo in, der Biographie des Dichters die Genesis des nationalen Gedankens unter den Italienern nach dem Grade der Verehrung und Hingabe, die sie Dante gezollt. Er. durch dessen Poesie die schönste Sprache des Abendlandes das Bürgerrecht in der Literatur gewann, 'se zugleich das personificirte patriotische Gewissen seines Volkes, obgleich sein politisches Ideal ein heroischer Irrthum war. Durch die Epochen der ita¬ lienischen Geschichte geht sein Bild wie der gute Genius der Nation. Die Studien, welche seinen Werken zugewendet werden, sind Zwiegespräche zwischen Lehrer und Gemeinde; in der Anwendung aus ihn wird die Nation erst ihrer innersten Erfahrungen froh. Gmizbvten II. 186S,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/309>, abgerufen am 26.06.2024.