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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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gebären; die Thiere bringen von Mutterleib mit, was si<haben sollen; die
höheren Geister sind von Anbeginn, was sie in Ewigkeit bleiben werden. Du
allein hast eine Entwickelung, ein Wachsen nach freiem Willen, du hast Keime
eines allartigen Lebens in dir!"

Als Pico von Mircnidvla in seiner Rede über die Menschenwürde diese Worte
schrieb, war Dante längst dahin, aber sie sind wie eine Inschrift für sein
Grab, ein zusammengezogenes Glaubensbekenntniß der Frührenaissance, welche auf
ihn als auf ihren Vater zurückweist. Seitdem die monumentale Gestalt dieses zauber-
mächtigcn Menschen über die Erde geschritten war, tauchen allenthalben in Italien die
krafterfüllten, selbstbewußten Physiognomien eines neuen Geschlechtes auf. Man
mustere die dritthalb Jahrhunderte von Dante bis zu "seinem Bruder" Michelangelo.
Die aus der Menge hervorragen, haben geradezu gigantische Größe; der Ueber¬
fluß der Natur ist über sie ausgegossen; zu allem, was sie beginnen, scheinen
sie geboren zu sein, und sie bewähren das kühne Wort, das mehr als einer
dieser Heroen von sich selbst gesagt hat. daß der Mensch von sich aus alles
vermöge, wenn er nur wolle. Dieses souveräne Selbstbewußtsein hat die
höchste Tugend und das vollendete Laster erzogen, es hat den Halbgott und
das Scheusal hervorgebracht. -- die Geschichte Italiens ist überreich an Bei¬
spielen nach beiden Seiten -- aber darum ist sie so unendlich lehrreich und
bewunderungswürdig.

Und so verschieden sie in ihren Kundgebungen, so feindselig sie oft in
ihren Berührungen erscheinen, die Cultur der Renaissance ist derjenigen des
deutschen Reformationszeitalters verwandter, als gewöhnlich gemeint wird.
Aus dem Gesichtsvunke ihrer Jdealziele betrachtet trennt sie blos die Natur
der Organe, durch welche sie sich derselben bemächtigen. Der Hauptunterschied
ist, daß der Italiener nicht wie der Deutsche einen positiven Glaubensinhalt
ausprägt, -- selbst Savonarvlas Streben hat einen andern Sinn, -- aber die
Religion der Wahrheit und Schönheit, wie sie aus der Wissenschaft des italienischen
Humanismus und aus der Kunst des Quattrocento und Cinquecento redet, ist
auch Religion. Hier wie dort ist es das erwachende Gemüthsleben, was gegen
die erdrückenden Formen der mittelalterlichen Weltanschauung sich auflehnt; hier
Wie dort bemächtigt sich der Geister das Bedürfniß nach dem Zusammenhange
der Epochen der Menschheit, welchen die Cultur des Mittelalters. voran die
Kirche, despotisch gelöst hatte.

Der "neue und gewisse" Geist der Italiener wurde seiner Kindschaft Gottes
vorwiegend in dem Verhältnisse zum Diesseits inne. Hinter dem Schleier,
welchen die katholische Weltbetrachtung über das Auge des Menschen gelegt
b^ete, erkannte man jetzt die Natur, der Gottheit lebendiges Kleid, in ihrer
Schönheit und Majestät. Was nebelhaft und ahnungsvoll aus der Minne-
poesie des Jahrhunderts vor Dante herausgeklungen hatte, kam in ihm zuerst


gebären; die Thiere bringen von Mutterleib mit, was si<haben sollen; die
höheren Geister sind von Anbeginn, was sie in Ewigkeit bleiben werden. Du
allein hast eine Entwickelung, ein Wachsen nach freiem Willen, du hast Keime
eines allartigen Lebens in dir!"

Als Pico von Mircnidvla in seiner Rede über die Menschenwürde diese Worte
schrieb, war Dante längst dahin, aber sie sind wie eine Inschrift für sein
Grab, ein zusammengezogenes Glaubensbekenntniß der Frührenaissance, welche auf
ihn als auf ihren Vater zurückweist. Seitdem die monumentale Gestalt dieses zauber-
mächtigcn Menschen über die Erde geschritten war, tauchen allenthalben in Italien die
krafterfüllten, selbstbewußten Physiognomien eines neuen Geschlechtes auf. Man
mustere die dritthalb Jahrhunderte von Dante bis zu „seinem Bruder" Michelangelo.
Die aus der Menge hervorragen, haben geradezu gigantische Größe; der Ueber¬
fluß der Natur ist über sie ausgegossen; zu allem, was sie beginnen, scheinen
sie geboren zu sein, und sie bewähren das kühne Wort, das mehr als einer
dieser Heroen von sich selbst gesagt hat. daß der Mensch von sich aus alles
vermöge, wenn er nur wolle. Dieses souveräne Selbstbewußtsein hat die
höchste Tugend und das vollendete Laster erzogen, es hat den Halbgott und
das Scheusal hervorgebracht. — die Geschichte Italiens ist überreich an Bei¬
spielen nach beiden Seiten — aber darum ist sie so unendlich lehrreich und
bewunderungswürdig.

Und so verschieden sie in ihren Kundgebungen, so feindselig sie oft in
ihren Berührungen erscheinen, die Cultur der Renaissance ist derjenigen des
deutschen Reformationszeitalters verwandter, als gewöhnlich gemeint wird.
Aus dem Gesichtsvunke ihrer Jdealziele betrachtet trennt sie blos die Natur
der Organe, durch welche sie sich derselben bemächtigen. Der Hauptunterschied
ist, daß der Italiener nicht wie der Deutsche einen positiven Glaubensinhalt
ausprägt, — selbst Savonarvlas Streben hat einen andern Sinn, — aber die
Religion der Wahrheit und Schönheit, wie sie aus der Wissenschaft des italienischen
Humanismus und aus der Kunst des Quattrocento und Cinquecento redet, ist
auch Religion. Hier wie dort ist es das erwachende Gemüthsleben, was gegen
die erdrückenden Formen der mittelalterlichen Weltanschauung sich auflehnt; hier
Wie dort bemächtigt sich der Geister das Bedürfniß nach dem Zusammenhange
der Epochen der Menschheit, welchen die Cultur des Mittelalters. voran die
Kirche, despotisch gelöst hatte.

Der „neue und gewisse" Geist der Italiener wurde seiner Kindschaft Gottes
vorwiegend in dem Verhältnisse zum Diesseits inne. Hinter dem Schleier,
welchen die katholische Weltbetrachtung über das Auge des Menschen gelegt
b^ete, erkannte man jetzt die Natur, der Gottheit lebendiges Kleid, in ihrer
Schönheit und Majestät. Was nebelhaft und ahnungsvoll aus der Minne-
poesie des Jahrhunderts vor Dante herausgeklungen hatte, kam in ihm zuerst


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[0305] gebären; die Thiere bringen von Mutterleib mit, was si<haben sollen; die höheren Geister sind von Anbeginn, was sie in Ewigkeit bleiben werden. Du allein hast eine Entwickelung, ein Wachsen nach freiem Willen, du hast Keime eines allartigen Lebens in dir!" Als Pico von Mircnidvla in seiner Rede über die Menschenwürde diese Worte schrieb, war Dante längst dahin, aber sie sind wie eine Inschrift für sein Grab, ein zusammengezogenes Glaubensbekenntniß der Frührenaissance, welche auf ihn als auf ihren Vater zurückweist. Seitdem die monumentale Gestalt dieses zauber- mächtigcn Menschen über die Erde geschritten war, tauchen allenthalben in Italien die krafterfüllten, selbstbewußten Physiognomien eines neuen Geschlechtes auf. Man mustere die dritthalb Jahrhunderte von Dante bis zu „seinem Bruder" Michelangelo. Die aus der Menge hervorragen, haben geradezu gigantische Größe; der Ueber¬ fluß der Natur ist über sie ausgegossen; zu allem, was sie beginnen, scheinen sie geboren zu sein, und sie bewähren das kühne Wort, das mehr als einer dieser Heroen von sich selbst gesagt hat. daß der Mensch von sich aus alles vermöge, wenn er nur wolle. Dieses souveräne Selbstbewußtsein hat die höchste Tugend und das vollendete Laster erzogen, es hat den Halbgott und das Scheusal hervorgebracht. — die Geschichte Italiens ist überreich an Bei¬ spielen nach beiden Seiten — aber darum ist sie so unendlich lehrreich und bewunderungswürdig. Und so verschieden sie in ihren Kundgebungen, so feindselig sie oft in ihren Berührungen erscheinen, die Cultur der Renaissance ist derjenigen des deutschen Reformationszeitalters verwandter, als gewöhnlich gemeint wird. Aus dem Gesichtsvunke ihrer Jdealziele betrachtet trennt sie blos die Natur der Organe, durch welche sie sich derselben bemächtigen. Der Hauptunterschied ist, daß der Italiener nicht wie der Deutsche einen positiven Glaubensinhalt ausprägt, — selbst Savonarvlas Streben hat einen andern Sinn, — aber die Religion der Wahrheit und Schönheit, wie sie aus der Wissenschaft des italienischen Humanismus und aus der Kunst des Quattrocento und Cinquecento redet, ist auch Religion. Hier wie dort ist es das erwachende Gemüthsleben, was gegen die erdrückenden Formen der mittelalterlichen Weltanschauung sich auflehnt; hier Wie dort bemächtigt sich der Geister das Bedürfniß nach dem Zusammenhange der Epochen der Menschheit, welchen die Cultur des Mittelalters. voran die Kirche, despotisch gelöst hatte. Der „neue und gewisse" Geist der Italiener wurde seiner Kindschaft Gottes vorwiegend in dem Verhältnisse zum Diesseits inne. Hinter dem Schleier, welchen die katholische Weltbetrachtung über das Auge des Menschen gelegt b^ete, erkannte man jetzt die Natur, der Gottheit lebendiges Kleid, in ihrer Schönheit und Majestät. Was nebelhaft und ahnungsvoll aus der Minne- poesie des Jahrhunderts vor Dante herausgeklungen hatte, kam in ihm zuerst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/305>, abgerufen am 29.06.2024.