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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Das florentinische Publikum sowohl als die ganze Künstlerwelt hatte die
Ueberzeugung gewonnen, daß ein werthvoller, wenn auch sehr schadhafter
Schatz in dem Raum dieser restaurirten Kapelle des Podesta vorhanden sei.

Im Sommer des verflossenen Jahres erschien nun der Bericht der von
der Regierung eingesetzten Commission und warf Dunkelheit und Zweifel über
eine Sache, die man für schon erledigt hielt.

Der Bericht sagte: 1. Das Portrait Dantes in der Kapelle des Podesta
sei das eines Jünglings von etwa fünfundzwanzig Jahren, und könne nicht
von Giotto herrühren, weil dieser im Jahre 1273 und Dante im Jahre 1265
geboren sei und der Maler daher das Bild aufgenommen haben müßte, als
Dante fünfzehn Jahr alt gewesen, was doch unmöglich; 2. Dante würde von
Giotto nie mit seinem Erzfeind Corso Donati zusammen dargestellt worden
sein; 3. und dies ist der hauptsächlichste Grund: vorausgesetzt, Giotto hätte
wirklich einmal in der Kapelle des Podesta gemalt, so existire doch da kein
Fresko, welches man ihm möglicherweise zuschreiben könne; denn am 28. Februar
1332 sei der Palast des Podesta durch eine Feuersbrunst so beschädigt worden,
daß man ihn von Grund aus hätte neu aufbauen müssen; diese Wiedererbauung
aber sei wegen eines zweiten Feuers (bei Vertreibung des Herzogs von Athen)
erst nach dem Jahr 1345 vorgenommen worden, also mehre Jahre nach
dem Tode Giottos. Viertens endlich hat die Commission das Wappen auf
dem Schild der knienden Figur enträthselt, und zwar behauptet sie, es sei das
von Fedice de Fieschi von Genua, der am 31. October 1358 auf ein Jahr
zum Podesta erwählt worden.

Nachdem die Commission diesen Donnerkeil geschleudert und als bewiesen ansah,
daß der Name Giottos nun ausgeschlossen sei, unternahm sie eine ebenso schwierige
Aufgabe, indem sie festzustellen versuchte, wer nunmehr der Maler der Fresken in
der fraglichen Kapelle sein müsse. Sie erwählte sich Taddeo Gaddi zu ihrem Ritter
und verglich das ihm hier untergeschobene Bild mit einem andern ihm zuge¬
schriebenen in der Ninuccinikapelle in Se. Croce zu Florenz. Dann schloß
man die Acten mit dem Vorschlag, das schon erwähnte Miniaturbild des Codex
im Niccardiana als Modell für diese Gelegenheit zu benutzen; und die Ne¬
gierung gab mit unverständiger Hast dem Bildhauer Dupr6 den Auftrag, die
Form der Medaille nach den Contouren jener Portraits zu machen. Indessen war
der Bericht kaum veröffentlicht, als sich laute Stimmen gegen den Ausspruch
der Commission erhoben.

Es war nicht schwer, mit den beiden ersten Punkten fertig zu werden,
und diese sind in der That von solcher Geringfügigkeit, daß wir sie ganz un¬
berücksichtigt lassen können.

Der dritte und vierte Punkt hingegen schienen Stoff zu ernster Ueber-
legung zu geben. Es leuchtete den Gegnern der Commission ein, daß sie das


Das florentinische Publikum sowohl als die ganze Künstlerwelt hatte die
Ueberzeugung gewonnen, daß ein werthvoller, wenn auch sehr schadhafter
Schatz in dem Raum dieser restaurirten Kapelle des Podesta vorhanden sei.

Im Sommer des verflossenen Jahres erschien nun der Bericht der von
der Regierung eingesetzten Commission und warf Dunkelheit und Zweifel über
eine Sache, die man für schon erledigt hielt.

Der Bericht sagte: 1. Das Portrait Dantes in der Kapelle des Podesta
sei das eines Jünglings von etwa fünfundzwanzig Jahren, und könne nicht
von Giotto herrühren, weil dieser im Jahre 1273 und Dante im Jahre 1265
geboren sei und der Maler daher das Bild aufgenommen haben müßte, als
Dante fünfzehn Jahr alt gewesen, was doch unmöglich; 2. Dante würde von
Giotto nie mit seinem Erzfeind Corso Donati zusammen dargestellt worden
sein; 3. und dies ist der hauptsächlichste Grund: vorausgesetzt, Giotto hätte
wirklich einmal in der Kapelle des Podesta gemalt, so existire doch da kein
Fresko, welches man ihm möglicherweise zuschreiben könne; denn am 28. Februar
1332 sei der Palast des Podesta durch eine Feuersbrunst so beschädigt worden,
daß man ihn von Grund aus hätte neu aufbauen müssen; diese Wiedererbauung
aber sei wegen eines zweiten Feuers (bei Vertreibung des Herzogs von Athen)
erst nach dem Jahr 1345 vorgenommen worden, also mehre Jahre nach
dem Tode Giottos. Viertens endlich hat die Commission das Wappen auf
dem Schild der knienden Figur enträthselt, und zwar behauptet sie, es sei das
von Fedice de Fieschi von Genua, der am 31. October 1358 auf ein Jahr
zum Podesta erwählt worden.

Nachdem die Commission diesen Donnerkeil geschleudert und als bewiesen ansah,
daß der Name Giottos nun ausgeschlossen sei, unternahm sie eine ebenso schwierige
Aufgabe, indem sie festzustellen versuchte, wer nunmehr der Maler der Fresken in
der fraglichen Kapelle sein müsse. Sie erwählte sich Taddeo Gaddi zu ihrem Ritter
und verglich das ihm hier untergeschobene Bild mit einem andern ihm zuge¬
schriebenen in der Ninuccinikapelle in Se. Croce zu Florenz. Dann schloß
man die Acten mit dem Vorschlag, das schon erwähnte Miniaturbild des Codex
im Niccardiana als Modell für diese Gelegenheit zu benutzen; und die Ne¬
gierung gab mit unverständiger Hast dem Bildhauer Dupr6 den Auftrag, die
Form der Medaille nach den Contouren jener Portraits zu machen. Indessen war
der Bericht kaum veröffentlicht, als sich laute Stimmen gegen den Ausspruch
der Commission erhoben.

Es war nicht schwer, mit den beiden ersten Punkten fertig zu werden,
und diese sind in der That von solcher Geringfügigkeit, daß wir sie ganz un¬
berücksichtigt lassen können.

Der dritte und vierte Punkt hingegen schienen Stoff zu ernster Ueber-
legung zu geben. Es leuchtete den Gegnern der Commission ein, daß sie das


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[0286] Das florentinische Publikum sowohl als die ganze Künstlerwelt hatte die Ueberzeugung gewonnen, daß ein werthvoller, wenn auch sehr schadhafter Schatz in dem Raum dieser restaurirten Kapelle des Podesta vorhanden sei. Im Sommer des verflossenen Jahres erschien nun der Bericht der von der Regierung eingesetzten Commission und warf Dunkelheit und Zweifel über eine Sache, die man für schon erledigt hielt. Der Bericht sagte: 1. Das Portrait Dantes in der Kapelle des Podesta sei das eines Jünglings von etwa fünfundzwanzig Jahren, und könne nicht von Giotto herrühren, weil dieser im Jahre 1273 und Dante im Jahre 1265 geboren sei und der Maler daher das Bild aufgenommen haben müßte, als Dante fünfzehn Jahr alt gewesen, was doch unmöglich; 2. Dante würde von Giotto nie mit seinem Erzfeind Corso Donati zusammen dargestellt worden sein; 3. und dies ist der hauptsächlichste Grund: vorausgesetzt, Giotto hätte wirklich einmal in der Kapelle des Podesta gemalt, so existire doch da kein Fresko, welches man ihm möglicherweise zuschreiben könne; denn am 28. Februar 1332 sei der Palast des Podesta durch eine Feuersbrunst so beschädigt worden, daß man ihn von Grund aus hätte neu aufbauen müssen; diese Wiedererbauung aber sei wegen eines zweiten Feuers (bei Vertreibung des Herzogs von Athen) erst nach dem Jahr 1345 vorgenommen worden, also mehre Jahre nach dem Tode Giottos. Viertens endlich hat die Commission das Wappen auf dem Schild der knienden Figur enträthselt, und zwar behauptet sie, es sei das von Fedice de Fieschi von Genua, der am 31. October 1358 auf ein Jahr zum Podesta erwählt worden. Nachdem die Commission diesen Donnerkeil geschleudert und als bewiesen ansah, daß der Name Giottos nun ausgeschlossen sei, unternahm sie eine ebenso schwierige Aufgabe, indem sie festzustellen versuchte, wer nunmehr der Maler der Fresken in der fraglichen Kapelle sein müsse. Sie erwählte sich Taddeo Gaddi zu ihrem Ritter und verglich das ihm hier untergeschobene Bild mit einem andern ihm zuge¬ schriebenen in der Ninuccinikapelle in Se. Croce zu Florenz. Dann schloß man die Acten mit dem Vorschlag, das schon erwähnte Miniaturbild des Codex im Niccardiana als Modell für diese Gelegenheit zu benutzen; und die Ne¬ gierung gab mit unverständiger Hast dem Bildhauer Dupr6 den Auftrag, die Form der Medaille nach den Contouren jener Portraits zu machen. Indessen war der Bericht kaum veröffentlicht, als sich laute Stimmen gegen den Ausspruch der Commission erhoben. Es war nicht schwer, mit den beiden ersten Punkten fertig zu werden, und diese sind in der That von solcher Geringfügigkeit, daß wir sie ganz un¬ berücksichtigt lassen können. Der dritte und vierte Punkt hingegen schienen Stoff zu ernster Ueber- legung zu geben. Es leuchtete den Gegnern der Commission ein, daß sie das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/286>, abgerufen am 29.06.2024.