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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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von der Zerstörung der Kapelle durch Feuersbrunst hergenommene Argumente
nur durch völlig klare und schlagende Beweise zu nichte machen könnten. In¬
folge dessen begannen sie die Inschrift am Fuß des Heiligen zwischen den
Fenstern der Kapelle zu entziffern. Durch vorsichtiges Betupfen der Stelle wurden sie
in den Stand gesetzt, ein großes Stück der Inschrift auf der Tafel zu lesen,
und es als eine Anrufung des S. Vcnanzio zu erkennen, das mit der Chiffer
,.v?i Neevxxx" schloß.

Nachdem die untere Borde einem ähnlichen Verfahren unterworfen worden,
entdeckte man dort Folgendes:

"Hoo Opus kg.eenen tutt töinporL xowstÄrms in-rMiüei et potentis rnilitis
Domin ?iäesmiiü <te Varauo civis LamermLNsis llonorabilis potestatis......"

Beim Nachschlagen des Registers der Pvdesta von Florenz ergab sich, daß
Fidesmini ti Varano jenes Amt in der letzten Hälfte des Jahres 1337 be¬
kleidet. Aus der Hagiologie ging hervor, daß S. Vcnanzio aus Camerino ge¬
bürtig war. und Litla erzählt, daß die Varanos ihn als ihren Schutzheiligen
verehrten, weil nach einer Tradition einer der Familienahnen Augenzeuge des
Martyrthums desselben gewesen sein soll. Die vierte Behauptung, nach welcher
das Wappen auf dem Schilde der knienden Figur im Paradies das von Fedice
de Fieschi sei, fiel durch die vorgehenden Entdeckungen von selbst zusammen,
aber sie wurde noch werthloser durch den einfachen Nachweis, daß das Wappen
nach der Vollendung des Freskos übermalt worden und die unteren Extremi¬
täten der knienden Figur unter der Uebermalung des Wappens deutlich verfolgt
Werden konnten.

So zog man den Schluß, daß, wenn die Kapelle des Podesta wirklich,
wie behauptet, im Jahre 1332 niedergebrannt, sie doch schon 1337 wieder in
ihren ursprünglichen Zustand zurückgebracht worden sei, d. h. sie war, was ihre
inneren Gemälde betrifft, einige Monate nach Giottos Todestag (8. Januar
1337 nach neuer Zeitrechnung) vollendet. Der Hauptgrund, die Autorschaft
Mottos anzugreifen, war damit beseitigt, es wäre denn, daß man annehmen
Wollte, die Worte "Hoo "MS u. s. w. unter Se. Venanzio bezögen sich nicht
ausschließlich auf diese Figur, sondern auf alle Fresken in der Kapelle. Eine
derartige Annahme wäre indessen gegen alle Erfahrung; denn wo auch Künstler
den früheren Jahrhunderten in Italien ganze Kapellen ausgemalt, haben
^ jedesmal ihre Arbeit als Irano es-rMam oder Koe saeellum bezeichnet, und
die Inschrift steht immer an hohen Stellen oder auf den Thürpfosten oder
Pilastern. Es war daher nichts weniger als eine unberechtigte Ansicht, wenn man
""nahm, daß die Figur des Se. Venanzio in einer späteren Periode als die
übrigen Gemälde in der Kapelle angebracht worden, und daß sich die Inschrift
"ur auf diese Figur und nicht auf alle Fresken der Kapelle bezieht. Dies ist
d°um auch aus andern Gründen das Wahrscheinlichste; denn betrachtet man


von der Zerstörung der Kapelle durch Feuersbrunst hergenommene Argumente
nur durch völlig klare und schlagende Beweise zu nichte machen könnten. In¬
folge dessen begannen sie die Inschrift am Fuß des Heiligen zwischen den
Fenstern der Kapelle zu entziffern. Durch vorsichtiges Betupfen der Stelle wurden sie
in den Stand gesetzt, ein großes Stück der Inschrift auf der Tafel zu lesen,
und es als eine Anrufung des S. Vcnanzio zu erkennen, das mit der Chiffer
,.v?i Neevxxx" schloß.

Nachdem die untere Borde einem ähnlichen Verfahren unterworfen worden,
entdeckte man dort Folgendes:

„Hoo Opus kg.eenen tutt töinporL xowstÄrms in-rMiüei et potentis rnilitis
Domin ?iäesmiiü <te Varauo civis LamermLNsis llonorabilis potestatis......"

Beim Nachschlagen des Registers der Pvdesta von Florenz ergab sich, daß
Fidesmini ti Varano jenes Amt in der letzten Hälfte des Jahres 1337 be¬
kleidet. Aus der Hagiologie ging hervor, daß S. Vcnanzio aus Camerino ge¬
bürtig war. und Litla erzählt, daß die Varanos ihn als ihren Schutzheiligen
verehrten, weil nach einer Tradition einer der Familienahnen Augenzeuge des
Martyrthums desselben gewesen sein soll. Die vierte Behauptung, nach welcher
das Wappen auf dem Schilde der knienden Figur im Paradies das von Fedice
de Fieschi sei, fiel durch die vorgehenden Entdeckungen von selbst zusammen,
aber sie wurde noch werthloser durch den einfachen Nachweis, daß das Wappen
nach der Vollendung des Freskos übermalt worden und die unteren Extremi¬
täten der knienden Figur unter der Uebermalung des Wappens deutlich verfolgt
Werden konnten.

So zog man den Schluß, daß, wenn die Kapelle des Podesta wirklich,
wie behauptet, im Jahre 1332 niedergebrannt, sie doch schon 1337 wieder in
ihren ursprünglichen Zustand zurückgebracht worden sei, d. h. sie war, was ihre
inneren Gemälde betrifft, einige Monate nach Giottos Todestag (8. Januar
1337 nach neuer Zeitrechnung) vollendet. Der Hauptgrund, die Autorschaft
Mottos anzugreifen, war damit beseitigt, es wäre denn, daß man annehmen
Wollte, die Worte „Hoo «MS u. s. w. unter Se. Venanzio bezögen sich nicht
ausschließlich auf diese Figur, sondern auf alle Fresken in der Kapelle. Eine
derartige Annahme wäre indessen gegen alle Erfahrung; denn wo auch Künstler
den früheren Jahrhunderten in Italien ganze Kapellen ausgemalt, haben
^ jedesmal ihre Arbeit als Irano es-rMam oder Koe saeellum bezeichnet, und
die Inschrift steht immer an hohen Stellen oder auf den Thürpfosten oder
Pilastern. Es war daher nichts weniger als eine unberechtigte Ansicht, wenn man
""nahm, daß die Figur des Se. Venanzio in einer späteren Periode als die
übrigen Gemälde in der Kapelle angebracht worden, und daß sich die Inschrift
"ur auf diese Figur und nicht auf alle Fresken der Kapelle bezieht. Dies ist
d°um auch aus andern Gründen das Wahrscheinlichste; denn betrachtet man


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[0287] von der Zerstörung der Kapelle durch Feuersbrunst hergenommene Argumente nur durch völlig klare und schlagende Beweise zu nichte machen könnten. In¬ folge dessen begannen sie die Inschrift am Fuß des Heiligen zwischen den Fenstern der Kapelle zu entziffern. Durch vorsichtiges Betupfen der Stelle wurden sie in den Stand gesetzt, ein großes Stück der Inschrift auf der Tafel zu lesen, und es als eine Anrufung des S. Vcnanzio zu erkennen, das mit der Chiffer ,.v?i Neevxxx" schloß. Nachdem die untere Borde einem ähnlichen Verfahren unterworfen worden, entdeckte man dort Folgendes: „Hoo Opus kg.eenen tutt töinporL xowstÄrms in-rMiüei et potentis rnilitis Domin ?iäesmiiü <te Varauo civis LamermLNsis llonorabilis potestatis......" Beim Nachschlagen des Registers der Pvdesta von Florenz ergab sich, daß Fidesmini ti Varano jenes Amt in der letzten Hälfte des Jahres 1337 be¬ kleidet. Aus der Hagiologie ging hervor, daß S. Vcnanzio aus Camerino ge¬ bürtig war. und Litla erzählt, daß die Varanos ihn als ihren Schutzheiligen verehrten, weil nach einer Tradition einer der Familienahnen Augenzeuge des Martyrthums desselben gewesen sein soll. Die vierte Behauptung, nach welcher das Wappen auf dem Schilde der knienden Figur im Paradies das von Fedice de Fieschi sei, fiel durch die vorgehenden Entdeckungen von selbst zusammen, aber sie wurde noch werthloser durch den einfachen Nachweis, daß das Wappen nach der Vollendung des Freskos übermalt worden und die unteren Extremi¬ täten der knienden Figur unter der Uebermalung des Wappens deutlich verfolgt Werden konnten. So zog man den Schluß, daß, wenn die Kapelle des Podesta wirklich, wie behauptet, im Jahre 1332 niedergebrannt, sie doch schon 1337 wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückgebracht worden sei, d. h. sie war, was ihre inneren Gemälde betrifft, einige Monate nach Giottos Todestag (8. Januar 1337 nach neuer Zeitrechnung) vollendet. Der Hauptgrund, die Autorschaft Mottos anzugreifen, war damit beseitigt, es wäre denn, daß man annehmen Wollte, die Worte „Hoo «MS u. s. w. unter Se. Venanzio bezögen sich nicht ausschließlich auf diese Figur, sondern auf alle Fresken in der Kapelle. Eine derartige Annahme wäre indessen gegen alle Erfahrung; denn wo auch Künstler den früheren Jahrhunderten in Italien ganze Kapellen ausgemalt, haben ^ jedesmal ihre Arbeit als Irano es-rMam oder Koe saeellum bezeichnet, und die Inschrift steht immer an hohen Stellen oder auf den Thürpfosten oder Pilastern. Es war daher nichts weniger als eine unberechtigte Ansicht, wenn man ""nahm, daß die Figur des Se. Venanzio in einer späteren Periode als die übrigen Gemälde in der Kapelle angebracht worden, und daß sich die Inschrift "ur auf diese Figur und nicht auf alle Fresken der Kapelle bezieht. Dies ist d°um auch aus andern Gründen das Wahrscheinlichste; denn betrachtet man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/287>, abgerufen am 26.06.2024.