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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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auch in den Bauerwohnungen viele Räume; oft hat ein Bauer zwei, auch drei
Stuben, die leer stehen und wohl nur selten benutzt werden. Für seine Person braucht
der Bauer nicht viel Platz, da die Schlafräume in der Regel nischenartig in
die Wände der Wohnstube eingemauert und mit Schiebethüren oder Gardinen
verschlossen sind. Diese Betten sind sehr geräumig und werden vom Bauer nicht
blos bei Nacht, sondern auch bei Tage benutzt, da sich derselbe nach dem Mittagessen
stets zwei Stunden zu Bett legt. Das Institut der Bettüberzüge ist in Jütland
nicht sehr verbreitet. Man bedient sich statt derselben zweier Laken, von denen das
eine über das ganze Bett gebreitet, das andere um das schwere, wollene Deck¬
bett herumgelegt wird.

Der Jude ist kein aufgeweckter Mensch, er ist langsam und nachdenklich,
steht aber im Allgemeinen auf einer nicht geringen Culturstufe und hat besonders
Kenntnisse und Urtheil über Staats- und andere öffentliche Angelegenheiten.
Jeder Bauer liest seine Zeitung, und es möchte schwer sein, einen Bauer zu
finden, der gar nicht lesen oder schreiben kann. Der Jude ist auch ein guter
Patriot, und obwohl er in Kopenhagen für einfältig gilt, so wird man ihm
ein richtiges Urtheil doch nicht absprechen können, wenn er nicht mit allem
einverstanden ist, was in Kopenhagen geschieht. Aber trotz seiner Langsamkeit
ist er doch ein arbeitsamer Mensch. Er verrichtet seine Arbeit mit Ausdauer
und Gewissenhaftigkeit, ist sparsam und versteht es vortrefflich, den Mangel
von seiner Thüre fernzuhalten, so daß es fast gar keinen Armen in Jütland
giebt, was die besten Armengesetze allein zu bewirken gewiß nicht im Stande
sind. Der Jude ist auch ein guter evangelischer Christ, der besonders den Feier¬
tag heiligt, und am Sonntag wird man sich in Jütland vergeblich nach ge¬
öffneten Kaufläden umsehen. Die Religion ist fast ausnahmslos die evangelische;
in den letzten Jahren haben jedoch, besonders auf dem Lande, die Mormonen
vielfach Propaganda für ihre Secte gemacht, und erst im Frühjahr 1864 haben
sich 400 Juden, darunter namentlich viele schöne junge Mädchen, in Aalborg
eingeschifft, um zu den Mormonen nach Amerika zu gehen. Trotzdem wird
man heute, was die Zcihl der Bevölkerung betrifft, nicht Ursach haben, noch für Jütland
besorgt zu sein; denn überall, auf dem Lande wie in den Städten, sieht man den reich¬
lichsten Kindersegen, und besonders stark ist das weibliche Geschlecht darunter vertreten.

Der Jude nährt sich hauptsächlich von Ackerbau, Viehzucht und vom Handel
mit den Erzeugnissen der Landwirthschaft. Die Industrie ist noch nicht zu ihrer
vollen Bedeutung in Jütland gekommen, und .auch die specifisch jüdische Holz-
schuh- und Topffabrikation wird noch heute in derselben Weise betrieben, wie
vor Jahrhunderten. Der Jude überhaupt und speciell der jüdische Bauer hat
wenig Unternehmungsgeist; er bebaut selten mehr Land als er gerade zu seinem
Unterhalt nöthig hat. Hiervon ist aber auch ein Theil der Schuld dem Mangel
an Arbeitskräften beizumessen. Intelligentere Landwirthe wissen natürlich den


auch in den Bauerwohnungen viele Räume; oft hat ein Bauer zwei, auch drei
Stuben, die leer stehen und wohl nur selten benutzt werden. Für seine Person braucht
der Bauer nicht viel Platz, da die Schlafräume in der Regel nischenartig in
die Wände der Wohnstube eingemauert und mit Schiebethüren oder Gardinen
verschlossen sind. Diese Betten sind sehr geräumig und werden vom Bauer nicht
blos bei Nacht, sondern auch bei Tage benutzt, da sich derselbe nach dem Mittagessen
stets zwei Stunden zu Bett legt. Das Institut der Bettüberzüge ist in Jütland
nicht sehr verbreitet. Man bedient sich statt derselben zweier Laken, von denen das
eine über das ganze Bett gebreitet, das andere um das schwere, wollene Deck¬
bett herumgelegt wird.

Der Jude ist kein aufgeweckter Mensch, er ist langsam und nachdenklich,
steht aber im Allgemeinen auf einer nicht geringen Culturstufe und hat besonders
Kenntnisse und Urtheil über Staats- und andere öffentliche Angelegenheiten.
Jeder Bauer liest seine Zeitung, und es möchte schwer sein, einen Bauer zu
finden, der gar nicht lesen oder schreiben kann. Der Jude ist auch ein guter
Patriot, und obwohl er in Kopenhagen für einfältig gilt, so wird man ihm
ein richtiges Urtheil doch nicht absprechen können, wenn er nicht mit allem
einverstanden ist, was in Kopenhagen geschieht. Aber trotz seiner Langsamkeit
ist er doch ein arbeitsamer Mensch. Er verrichtet seine Arbeit mit Ausdauer
und Gewissenhaftigkeit, ist sparsam und versteht es vortrefflich, den Mangel
von seiner Thüre fernzuhalten, so daß es fast gar keinen Armen in Jütland
giebt, was die besten Armengesetze allein zu bewirken gewiß nicht im Stande
sind. Der Jude ist auch ein guter evangelischer Christ, der besonders den Feier¬
tag heiligt, und am Sonntag wird man sich in Jütland vergeblich nach ge¬
öffneten Kaufläden umsehen. Die Religion ist fast ausnahmslos die evangelische;
in den letzten Jahren haben jedoch, besonders auf dem Lande, die Mormonen
vielfach Propaganda für ihre Secte gemacht, und erst im Frühjahr 1864 haben
sich 400 Juden, darunter namentlich viele schöne junge Mädchen, in Aalborg
eingeschifft, um zu den Mormonen nach Amerika zu gehen. Trotzdem wird
man heute, was die Zcihl der Bevölkerung betrifft, nicht Ursach haben, noch für Jütland
besorgt zu sein; denn überall, auf dem Lande wie in den Städten, sieht man den reich¬
lichsten Kindersegen, und besonders stark ist das weibliche Geschlecht darunter vertreten.

Der Jude nährt sich hauptsächlich von Ackerbau, Viehzucht und vom Handel
mit den Erzeugnissen der Landwirthschaft. Die Industrie ist noch nicht zu ihrer
vollen Bedeutung in Jütland gekommen, und .auch die specifisch jüdische Holz-
schuh- und Topffabrikation wird noch heute in derselben Weise betrieben, wie
vor Jahrhunderten. Der Jude überhaupt und speciell der jüdische Bauer hat
wenig Unternehmungsgeist; er bebaut selten mehr Land als er gerade zu seinem
Unterhalt nöthig hat. Hiervon ist aber auch ein Theil der Schuld dem Mangel
an Arbeitskräften beizumessen. Intelligentere Landwirthe wissen natürlich den


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[0276] auch in den Bauerwohnungen viele Räume; oft hat ein Bauer zwei, auch drei Stuben, die leer stehen und wohl nur selten benutzt werden. Für seine Person braucht der Bauer nicht viel Platz, da die Schlafräume in der Regel nischenartig in die Wände der Wohnstube eingemauert und mit Schiebethüren oder Gardinen verschlossen sind. Diese Betten sind sehr geräumig und werden vom Bauer nicht blos bei Nacht, sondern auch bei Tage benutzt, da sich derselbe nach dem Mittagessen stets zwei Stunden zu Bett legt. Das Institut der Bettüberzüge ist in Jütland nicht sehr verbreitet. Man bedient sich statt derselben zweier Laken, von denen das eine über das ganze Bett gebreitet, das andere um das schwere, wollene Deck¬ bett herumgelegt wird. Der Jude ist kein aufgeweckter Mensch, er ist langsam und nachdenklich, steht aber im Allgemeinen auf einer nicht geringen Culturstufe und hat besonders Kenntnisse und Urtheil über Staats- und andere öffentliche Angelegenheiten. Jeder Bauer liest seine Zeitung, und es möchte schwer sein, einen Bauer zu finden, der gar nicht lesen oder schreiben kann. Der Jude ist auch ein guter Patriot, und obwohl er in Kopenhagen für einfältig gilt, so wird man ihm ein richtiges Urtheil doch nicht absprechen können, wenn er nicht mit allem einverstanden ist, was in Kopenhagen geschieht. Aber trotz seiner Langsamkeit ist er doch ein arbeitsamer Mensch. Er verrichtet seine Arbeit mit Ausdauer und Gewissenhaftigkeit, ist sparsam und versteht es vortrefflich, den Mangel von seiner Thüre fernzuhalten, so daß es fast gar keinen Armen in Jütland giebt, was die besten Armengesetze allein zu bewirken gewiß nicht im Stande sind. Der Jude ist auch ein guter evangelischer Christ, der besonders den Feier¬ tag heiligt, und am Sonntag wird man sich in Jütland vergeblich nach ge¬ öffneten Kaufläden umsehen. Die Religion ist fast ausnahmslos die evangelische; in den letzten Jahren haben jedoch, besonders auf dem Lande, die Mormonen vielfach Propaganda für ihre Secte gemacht, und erst im Frühjahr 1864 haben sich 400 Juden, darunter namentlich viele schöne junge Mädchen, in Aalborg eingeschifft, um zu den Mormonen nach Amerika zu gehen. Trotzdem wird man heute, was die Zcihl der Bevölkerung betrifft, nicht Ursach haben, noch für Jütland besorgt zu sein; denn überall, auf dem Lande wie in den Städten, sieht man den reich¬ lichsten Kindersegen, und besonders stark ist das weibliche Geschlecht darunter vertreten. Der Jude nährt sich hauptsächlich von Ackerbau, Viehzucht und vom Handel mit den Erzeugnissen der Landwirthschaft. Die Industrie ist noch nicht zu ihrer vollen Bedeutung in Jütland gekommen, und .auch die specifisch jüdische Holz- schuh- und Topffabrikation wird noch heute in derselben Weise betrieben, wie vor Jahrhunderten. Der Jude überhaupt und speciell der jüdische Bauer hat wenig Unternehmungsgeist; er bebaut selten mehr Land als er gerade zu seinem Unterhalt nöthig hat. Hiervon ist aber auch ein Theil der Schuld dem Mangel an Arbeitskräften beizumessen. Intelligentere Landwirthe wissen natürlich den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/276>, abgerufen am 29.06.2024.