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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Haus bestraften Verbrechen nach zwei Jahren. Sie hört selbstverständlich auf.
wenn der Zeuge seiner Zeugenpflicht nachgekommen ist. -- Eine lange Anmerkung
hierzu giebt die Motive der wesentlichen Aenderung. Es wird der Unterschied
der Strafe und des Zwangsmittels gegen Zeugen -- wie er oben schon be¬
rührt worden -- dargelegt, die erstere erkenne der ordentliche Richter des
Zeugen demselben zu, das letztere wende der die Untersuchung führende Richter
an. Diesem Richter könne nicht mitten in seiner Untersuchung durch den
Eingriff des ordentlichen Richters die Gewalt über den Zeugen entzogen werden,
zumal wo der Zeuge vor dem Schwurgerichte. dem Appellationsgerichte fungire.
während der ordentliche Richter ein Gericht erster Instanz sei. Das Vorgehen
gegen den widerspenstigen Zeugen könne nur eine Zwangsmaßregcl, nicht eine
Strafe sein. Als Zwangsmaßregel dürfe sie sich nicht auf Geldbußen beschränken,
sonst setzte der reiche Verbrecher, der die Zwangsgelder der Zeugen seines Pro¬
cesses leicht bezahle, das Strafgesetzbuch sich gegenüber außer Kraft. Eine
mähige Geldbuße dem eigentlichen Zwangsmittel vorauszuschicken, sei in Ur. 1
des §. 169 gestattet und selbst in Ur. 2 bei Sachen geringerer Wichtigkeit. Das
Zwangsmittel aber bleibe allein die Gefängnißhaft. Ueber die Dauer der Haft
entscheide das richterliche Ermessen, ebenso wie über die Anwendung derselben
überhaupt, je nach dem Verhältniß des Hafterfolgcs zur Verzögerung der Unter¬
suchung und des Charakters der Strafe zu dem des Repressivmittels. Einen
Anhalt durch Grenzen der Haftdauer aber müsse dem Ermessen des Richters
das Gesetz geben. "Bei der hohen Wichtigkeit der Interessen, welche bei der
Strafrechtspflege in Frage kommen, wird es jedoch nothwendig sein, die gesetz¬
lichen Grenzen je nach der Schwere der Anschuldigung, soweit hinauszurücken,
daß der Gedanke, sich durch Abbüßung des gesetzlichen Maximums der Haft
von der Erfüllung der Zeugenpflicht zu befreien, nicht aufkommen kann. Die
Repressivmaßregeln anzuwenden, dürfe nur dem untersuchungführenden Gerichte,
nie aber einem ersuchten oder beauftragten Richter zustehn. In der Vorunter¬
suchung solle der Untersuchungsrichter jenes Recht haben, weil er nach den
Grundsätzen des neuen Entwurfs mit selbständiger Untcrsuchungsgcwalt bekleidet
'se- Er habe ja ebenso über die Untersuchungshaft zu verfügen. Stände ihm
uicht die Zwangsgewalt gegen renitente Zeugen zu, so würde seine Autorität
in sehr sinken und der Zweck der Voruntersuchung oft gefährdet werden. Im
Skrutinialverfahrcn dürfe immer nur der Richter, nicht der Staatsanwalt mit
Zwang gegen Zeugen vorgehen. Das Zeugniß könne nun da schon verweigert
werden, wo über die Person des Verbrechers, den Ort der Strafthat noch jeder
Verdacht fehle. Hier erscheine praktisch am angemessensten das Gericht als
^'ständig, in dessen Sprengel die Vernehmung erfolgen soll und das in der
"^gel mit dem persönlichen Richter des Zeugen identisch sein wird."

Also der Zcugenzwang wird ganz allgemein aufrecht erhalten. Die Redacteure


Haus bestraften Verbrechen nach zwei Jahren. Sie hört selbstverständlich auf.
wenn der Zeuge seiner Zeugenpflicht nachgekommen ist. — Eine lange Anmerkung
hierzu giebt die Motive der wesentlichen Aenderung. Es wird der Unterschied
der Strafe und des Zwangsmittels gegen Zeugen — wie er oben schon be¬
rührt worden — dargelegt, die erstere erkenne der ordentliche Richter des
Zeugen demselben zu, das letztere wende der die Untersuchung führende Richter
an. Diesem Richter könne nicht mitten in seiner Untersuchung durch den
Eingriff des ordentlichen Richters die Gewalt über den Zeugen entzogen werden,
zumal wo der Zeuge vor dem Schwurgerichte. dem Appellationsgerichte fungire.
während der ordentliche Richter ein Gericht erster Instanz sei. Das Vorgehen
gegen den widerspenstigen Zeugen könne nur eine Zwangsmaßregcl, nicht eine
Strafe sein. Als Zwangsmaßregel dürfe sie sich nicht auf Geldbußen beschränken,
sonst setzte der reiche Verbrecher, der die Zwangsgelder der Zeugen seines Pro¬
cesses leicht bezahle, das Strafgesetzbuch sich gegenüber außer Kraft. Eine
mähige Geldbuße dem eigentlichen Zwangsmittel vorauszuschicken, sei in Ur. 1
des §. 169 gestattet und selbst in Ur. 2 bei Sachen geringerer Wichtigkeit. Das
Zwangsmittel aber bleibe allein die Gefängnißhaft. Ueber die Dauer der Haft
entscheide das richterliche Ermessen, ebenso wie über die Anwendung derselben
überhaupt, je nach dem Verhältniß des Hafterfolgcs zur Verzögerung der Unter¬
suchung und des Charakters der Strafe zu dem des Repressivmittels. Einen
Anhalt durch Grenzen der Haftdauer aber müsse dem Ermessen des Richters
das Gesetz geben. „Bei der hohen Wichtigkeit der Interessen, welche bei der
Strafrechtspflege in Frage kommen, wird es jedoch nothwendig sein, die gesetz¬
lichen Grenzen je nach der Schwere der Anschuldigung, soweit hinauszurücken,
daß der Gedanke, sich durch Abbüßung des gesetzlichen Maximums der Haft
von der Erfüllung der Zeugenpflicht zu befreien, nicht aufkommen kann. Die
Repressivmaßregeln anzuwenden, dürfe nur dem untersuchungführenden Gerichte,
nie aber einem ersuchten oder beauftragten Richter zustehn. In der Vorunter¬
suchung solle der Untersuchungsrichter jenes Recht haben, weil er nach den
Grundsätzen des neuen Entwurfs mit selbständiger Untcrsuchungsgcwalt bekleidet
'se- Er habe ja ebenso über die Untersuchungshaft zu verfügen. Stände ihm
uicht die Zwangsgewalt gegen renitente Zeugen zu, so würde seine Autorität
in sehr sinken und der Zweck der Voruntersuchung oft gefährdet werden. Im
Skrutinialverfahrcn dürfe immer nur der Richter, nicht der Staatsanwalt mit
Zwang gegen Zeugen vorgehen. Das Zeugniß könne nun da schon verweigert
werden, wo über die Person des Verbrechers, den Ort der Strafthat noch jeder
Verdacht fehle. Hier erscheine praktisch am angemessensten das Gericht als
^'ständig, in dessen Sprengel die Vernehmung erfolgen soll und das in der
"^gel mit dem persönlichen Richter des Zeugen identisch sein wird."

Also der Zcugenzwang wird ganz allgemein aufrecht erhalten. Die Redacteure


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[0265] Haus bestraften Verbrechen nach zwei Jahren. Sie hört selbstverständlich auf. wenn der Zeuge seiner Zeugenpflicht nachgekommen ist. — Eine lange Anmerkung hierzu giebt die Motive der wesentlichen Aenderung. Es wird der Unterschied der Strafe und des Zwangsmittels gegen Zeugen — wie er oben schon be¬ rührt worden — dargelegt, die erstere erkenne der ordentliche Richter des Zeugen demselben zu, das letztere wende der die Untersuchung führende Richter an. Diesem Richter könne nicht mitten in seiner Untersuchung durch den Eingriff des ordentlichen Richters die Gewalt über den Zeugen entzogen werden, zumal wo der Zeuge vor dem Schwurgerichte. dem Appellationsgerichte fungire. während der ordentliche Richter ein Gericht erster Instanz sei. Das Vorgehen gegen den widerspenstigen Zeugen könne nur eine Zwangsmaßregcl, nicht eine Strafe sein. Als Zwangsmaßregel dürfe sie sich nicht auf Geldbußen beschränken, sonst setzte der reiche Verbrecher, der die Zwangsgelder der Zeugen seines Pro¬ cesses leicht bezahle, das Strafgesetzbuch sich gegenüber außer Kraft. Eine mähige Geldbuße dem eigentlichen Zwangsmittel vorauszuschicken, sei in Ur. 1 des §. 169 gestattet und selbst in Ur. 2 bei Sachen geringerer Wichtigkeit. Das Zwangsmittel aber bleibe allein die Gefängnißhaft. Ueber die Dauer der Haft entscheide das richterliche Ermessen, ebenso wie über die Anwendung derselben überhaupt, je nach dem Verhältniß des Hafterfolgcs zur Verzögerung der Unter¬ suchung und des Charakters der Strafe zu dem des Repressivmittels. Einen Anhalt durch Grenzen der Haftdauer aber müsse dem Ermessen des Richters das Gesetz geben. „Bei der hohen Wichtigkeit der Interessen, welche bei der Strafrechtspflege in Frage kommen, wird es jedoch nothwendig sein, die gesetz¬ lichen Grenzen je nach der Schwere der Anschuldigung, soweit hinauszurücken, daß der Gedanke, sich durch Abbüßung des gesetzlichen Maximums der Haft von der Erfüllung der Zeugenpflicht zu befreien, nicht aufkommen kann. Die Repressivmaßregeln anzuwenden, dürfe nur dem untersuchungführenden Gerichte, nie aber einem ersuchten oder beauftragten Richter zustehn. In der Vorunter¬ suchung solle der Untersuchungsrichter jenes Recht haben, weil er nach den Grundsätzen des neuen Entwurfs mit selbständiger Untcrsuchungsgcwalt bekleidet 'se- Er habe ja ebenso über die Untersuchungshaft zu verfügen. Stände ihm uicht die Zwangsgewalt gegen renitente Zeugen zu, so würde seine Autorität in sehr sinken und der Zweck der Voruntersuchung oft gefährdet werden. Im Skrutinialverfahrcn dürfe immer nur der Richter, nicht der Staatsanwalt mit Zwang gegen Zeugen vorgehen. Das Zeugniß könne nun da schon verweigert werden, wo über die Person des Verbrechers, den Ort der Strafthat noch jeder Verdacht fehle. Hier erscheine praktisch am angemessensten das Gericht als ^'ständig, in dessen Sprengel die Vernehmung erfolgen soll und das in der "^gel mit dem persönlichen Richter des Zeugen identisch sein wird." Also der Zcugenzwang wird ganz allgemein aufrecht erhalten. Die Redacteure

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/265>, abgerufen am 28.09.2024.