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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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In wissenschaftlichen Aufsätzen, in Gutachten, in Artikeln der Tagespresse traten
sie gegen solchen Zeugenzwang aus. Doch fußte ihre Polemik wesentlich in der
dem neunzehnten Jahrhundert fremden Härte des Zwanges, die hier geübt sei;
sie zeigten ferner, daß die Frucht der langen Dauer des Zwanges nicht in
richtigem Verhältniß stehe zu der dabei unvermeidlichen Verzögerung der Unter¬
suchung, ebenso wenig zu dem beabsichtigten Zwecke der Repressivmaßregeln,
nämlich zur endlichen Bekundung des Verlangten durch den Zeugen, und
konnten hier um so entschiedener auf ein möglichst kleines Maß des Zwanges
dringen, als, wie gezeigt, das Gesetz die Grenze des Zeugenzwanges lediglich
dem Ermessen des zuständigen Richters anheimstellte; sie wiesen endlich auf
außerpreußische Rechte, welche nur einen äußerst milden, sehr begrenzten Zeugen¬
zwang entsprechend dem criminalistischen Geiste der Gegenwart ^gestatteten.
Auf diesen Wegen konnten sie daher nur mittelbar den bedrängten Zeugen
helfen, indem sie allmälig das Feld urbar machten für eine in diesem Punkte
mildere preußische Gesetzesreform. Aus dem preußischen Rechte selbst entwickelten
sie nicht das etwa Ungesetzliche in den Zwangsmaßregeln der Gerichte; die
Richter mußten also auch nach ihrer Ansicht so vorgehen, wie sie vorgingen, und
sollten höchstens die unbeschränkten, verhängnißvollen Worte der Criminal-
ordnung "durch Geld- oder Gefängnißstrafen" auf ein sehr kleines Maß ent¬
sprechend unsrer Zeit eingrenzen. Ueber letzteren Punkt ist hier nicht weiter zu
sprechen, da er die hier allein untersuchte Frage, ob der Zeugenzwang gegen
die Redacteure gesetzlich, mit Ja beantwortet schon zur Voraussetzung hat.

Der Entwurf der neuen Strafproceßordnung legt, wenn die Wahr¬
scheinlichkeit einer begangenen strafbaren Handlung sich zeigt, jedem im Staate
die Zcugenpflicht vor Gericht auf, außer wenn er über Umstände zeugen soll,
die ihn selbst als strafbar erscheinen lassen u. a. i§- 166 ff.) Hinsichtlich der un¬
gehorsamen Zeugen unterscheidet der Entwurf dann, wie oben §. 20 des Gesetzes
vom 3. Januar 1849 gegenüber der Criminalordnung. die gehörig vorgeladenen,
doch grundlos ausgebliebenen von den erschienenen, die grundlos Zeugniß oder
Eid verweigern. Die Strafe der Ersteren ist erhöht auf 50 Thlr. Geldbuße
oder verhältnißmäßige Gefängnißstrafe. Ueber die Letzteren (unser Fall) ist
bestimmt: 1) In polizeigerichtlichen Strafsachen wird gegen den Zeugen eine Geld¬
buße bis 50 Thlr. eventuell verhältnißmäßige Gefängnißstrafe festgesetzt und ein
neuer Termin anberaumt. Verharrt er in diesem bei der Weigerung, so tritt die
Folge Ur. 2 ein. 2) In allen andern Strafsachen wird der Zeuge ins Ge¬
fängniß gebracht "bis zur erfolgten Erfüllung seiner Zeugenpflicht", doch
kann das Gericht auch zuvor die Strafe von Ur. 1 dem Zeugen auflegen und
erst bei fortgesetzter Weigerung letzteren Zwang eintreten lassen. Die Zwangs¬
haft kann zu jeder Zeit wieder aufgehoben werden; sie muß es nach sechsmonat¬
licher Dauer, bei Verbrechen nach einem Jahr, bei den mit 10 Jahren Zucht-


In wissenschaftlichen Aufsätzen, in Gutachten, in Artikeln der Tagespresse traten
sie gegen solchen Zeugenzwang aus. Doch fußte ihre Polemik wesentlich in der
dem neunzehnten Jahrhundert fremden Härte des Zwanges, die hier geübt sei;
sie zeigten ferner, daß die Frucht der langen Dauer des Zwanges nicht in
richtigem Verhältniß stehe zu der dabei unvermeidlichen Verzögerung der Unter¬
suchung, ebenso wenig zu dem beabsichtigten Zwecke der Repressivmaßregeln,
nämlich zur endlichen Bekundung des Verlangten durch den Zeugen, und
konnten hier um so entschiedener auf ein möglichst kleines Maß des Zwanges
dringen, als, wie gezeigt, das Gesetz die Grenze des Zeugenzwanges lediglich
dem Ermessen des zuständigen Richters anheimstellte; sie wiesen endlich auf
außerpreußische Rechte, welche nur einen äußerst milden, sehr begrenzten Zeugen¬
zwang entsprechend dem criminalistischen Geiste der Gegenwart ^gestatteten.
Auf diesen Wegen konnten sie daher nur mittelbar den bedrängten Zeugen
helfen, indem sie allmälig das Feld urbar machten für eine in diesem Punkte
mildere preußische Gesetzesreform. Aus dem preußischen Rechte selbst entwickelten
sie nicht das etwa Ungesetzliche in den Zwangsmaßregeln der Gerichte; die
Richter mußten also auch nach ihrer Ansicht so vorgehen, wie sie vorgingen, und
sollten höchstens die unbeschränkten, verhängnißvollen Worte der Criminal-
ordnung „durch Geld- oder Gefängnißstrafen" auf ein sehr kleines Maß ent¬
sprechend unsrer Zeit eingrenzen. Ueber letzteren Punkt ist hier nicht weiter zu
sprechen, da er die hier allein untersuchte Frage, ob der Zeugenzwang gegen
die Redacteure gesetzlich, mit Ja beantwortet schon zur Voraussetzung hat.

Der Entwurf der neuen Strafproceßordnung legt, wenn die Wahr¬
scheinlichkeit einer begangenen strafbaren Handlung sich zeigt, jedem im Staate
die Zcugenpflicht vor Gericht auf, außer wenn er über Umstände zeugen soll,
die ihn selbst als strafbar erscheinen lassen u. a. i§- 166 ff.) Hinsichtlich der un¬
gehorsamen Zeugen unterscheidet der Entwurf dann, wie oben §. 20 des Gesetzes
vom 3. Januar 1849 gegenüber der Criminalordnung. die gehörig vorgeladenen,
doch grundlos ausgebliebenen von den erschienenen, die grundlos Zeugniß oder
Eid verweigern. Die Strafe der Ersteren ist erhöht auf 50 Thlr. Geldbuße
oder verhältnißmäßige Gefängnißstrafe. Ueber die Letzteren (unser Fall) ist
bestimmt: 1) In polizeigerichtlichen Strafsachen wird gegen den Zeugen eine Geld¬
buße bis 50 Thlr. eventuell verhältnißmäßige Gefängnißstrafe festgesetzt und ein
neuer Termin anberaumt. Verharrt er in diesem bei der Weigerung, so tritt die
Folge Ur. 2 ein. 2) In allen andern Strafsachen wird der Zeuge ins Ge¬
fängniß gebracht „bis zur erfolgten Erfüllung seiner Zeugenpflicht", doch
kann das Gericht auch zuvor die Strafe von Ur. 1 dem Zeugen auflegen und
erst bei fortgesetzter Weigerung letzteren Zwang eintreten lassen. Die Zwangs¬
haft kann zu jeder Zeit wieder aufgehoben werden; sie muß es nach sechsmonat¬
licher Dauer, bei Verbrechen nach einem Jahr, bei den mit 10 Jahren Zucht-


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[0264] In wissenschaftlichen Aufsätzen, in Gutachten, in Artikeln der Tagespresse traten sie gegen solchen Zeugenzwang aus. Doch fußte ihre Polemik wesentlich in der dem neunzehnten Jahrhundert fremden Härte des Zwanges, die hier geübt sei; sie zeigten ferner, daß die Frucht der langen Dauer des Zwanges nicht in richtigem Verhältniß stehe zu der dabei unvermeidlichen Verzögerung der Unter¬ suchung, ebenso wenig zu dem beabsichtigten Zwecke der Repressivmaßregeln, nämlich zur endlichen Bekundung des Verlangten durch den Zeugen, und konnten hier um so entschiedener auf ein möglichst kleines Maß des Zwanges dringen, als, wie gezeigt, das Gesetz die Grenze des Zeugenzwanges lediglich dem Ermessen des zuständigen Richters anheimstellte; sie wiesen endlich auf außerpreußische Rechte, welche nur einen äußerst milden, sehr begrenzten Zeugen¬ zwang entsprechend dem criminalistischen Geiste der Gegenwart ^gestatteten. Auf diesen Wegen konnten sie daher nur mittelbar den bedrängten Zeugen helfen, indem sie allmälig das Feld urbar machten für eine in diesem Punkte mildere preußische Gesetzesreform. Aus dem preußischen Rechte selbst entwickelten sie nicht das etwa Ungesetzliche in den Zwangsmaßregeln der Gerichte; die Richter mußten also auch nach ihrer Ansicht so vorgehen, wie sie vorgingen, und sollten höchstens die unbeschränkten, verhängnißvollen Worte der Criminal- ordnung „durch Geld- oder Gefängnißstrafen" auf ein sehr kleines Maß ent¬ sprechend unsrer Zeit eingrenzen. Ueber letzteren Punkt ist hier nicht weiter zu sprechen, da er die hier allein untersuchte Frage, ob der Zeugenzwang gegen die Redacteure gesetzlich, mit Ja beantwortet schon zur Voraussetzung hat. Der Entwurf der neuen Strafproceßordnung legt, wenn die Wahr¬ scheinlichkeit einer begangenen strafbaren Handlung sich zeigt, jedem im Staate die Zcugenpflicht vor Gericht auf, außer wenn er über Umstände zeugen soll, die ihn selbst als strafbar erscheinen lassen u. a. i§- 166 ff.) Hinsichtlich der un¬ gehorsamen Zeugen unterscheidet der Entwurf dann, wie oben §. 20 des Gesetzes vom 3. Januar 1849 gegenüber der Criminalordnung. die gehörig vorgeladenen, doch grundlos ausgebliebenen von den erschienenen, die grundlos Zeugniß oder Eid verweigern. Die Strafe der Ersteren ist erhöht auf 50 Thlr. Geldbuße oder verhältnißmäßige Gefängnißstrafe. Ueber die Letzteren (unser Fall) ist bestimmt: 1) In polizeigerichtlichen Strafsachen wird gegen den Zeugen eine Geld¬ buße bis 50 Thlr. eventuell verhältnißmäßige Gefängnißstrafe festgesetzt und ein neuer Termin anberaumt. Verharrt er in diesem bei der Weigerung, so tritt die Folge Ur. 2 ein. 2) In allen andern Strafsachen wird der Zeuge ins Ge¬ fängniß gebracht „bis zur erfolgten Erfüllung seiner Zeugenpflicht", doch kann das Gericht auch zuvor die Strafe von Ur. 1 dem Zeugen auflegen und erst bei fortgesetzter Weigerung letzteren Zwang eintreten lassen. Die Zwangs¬ haft kann zu jeder Zeit wieder aufgehoben werden; sie muß es nach sechsmonat¬ licher Dauer, bei Verbrechen nach einem Jahr, bei den mit 10 Jahren Zucht-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/264>, abgerufen am 29.06.2024.