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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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genießen -- was bei dem jetzigen Regime vorherzusagen war -- keine Aus¬
nahmestellung. Strafe und Zwangsmittel wollte man laut den Motiven aus¬
einanderhalten und hat sie recht ineinandergemischt, indem man ohne jeden
juristischen Grundsatz nur nach der größeren oder geringeren Wichtigkeit der
Strafsache Strafe oder Zwang anwendet, ja selbst in den wichtigen Fällen die
Vereinigung beider gestattet! (§ 169. Ur. 2.) Die Zwangsmittel sind dadurch
vornehmlich verschärft, daß sie gar nicht mehr gegen das Vermögen, nur noch
gegen die persönliche Freiheit des Zeugen sich richten -- zu einer Zeit, in der
man bei andern civilisirten Nationen beginnt, der Forderung der Rechtswissen¬
schaft nachzukommen und die gerichtlichen Zwangsmittel möglichst aus das Ver¬
mögen zu beschränken. Ebenso, wie nach heute geltendem Rechte, soll das
Maß des Zwanges dem Ermessen des gemäß obigen Grundsätzen competenten
Gerichtes oder Richters anheimgestellt bleiben. Man machte einen Anlauf zur
Milde (vielleicht eine Frucht des eifrigen Diskutirens der Frage in der Wissen¬
schaft und der Tagespresse), indem man die Unbegrenztheit des heutigen Zeugen-
zwangcs durch Maximalsätze fest einschränkte, aber die Schranken sind noch
eisern, härter als die heutige fast allgemeine Praxis: 6 Monate, 1 Jahr,
2 Jahre. Und alle solche Härte, weil einmal vielleicht ein reicher Verbrecher
die deshalb nicht in den Entwurf aufgenommenen Zwangsgelder der zu seinen
Gunsten rennenden Zeugen zahlen könnte, oder weil ein geringeres Maximum
des Zwanges einem Zeugen vielleicht unbedeutend genug erschiene, um dafür
bei seiner Zeugnißweigerung zu beharren! Des reichen Verbrechers Vermögen
ist wirklich nicht zu erschöpfen? des Zeugen Trotz wirklich nicht zu brechen?
Und um so vereinzelter gesuchter Fälle willen droht nun allen Zeugen die
Härte.

Nur so viel von dem neuen EntWurfe. Auch in dem Punkte des Zeugen¬
zwanges -- zumal den Redacteuren gegenüber -- erweist er sich als unan¬
nehmbar, wenn auch an sich die angestrebte Begrenzung der Zeugenhast durch
gesetzliche Maximalsätzc anzuerkennen bleibt. In der Sache selbst ist den Zeugen
vor preußischen Gerichten, besonders den Redacteuren, hinan in nichts ge¬
holfen; denn der neue Entwurf der Strafproceßordnung ist ebenso todtgcboren,
als jener Entwurf des Abgeordnetenhauses, das zeigen schon die wenigen
Punkte desselben, welche diese Zeitschrift bisher ihrer Beurtheilung unterzog,
weitere Besprechungen an diesem Platze werden es außer Zweifel stellen. Und
jede neue gesetzgeberische Regung eines der drei preußischen gesetzgebenden Fac-
toren über den Zeugcnzwang des preußischen Strafprocesses wird unter dem
gegenwärtigen Ministerium denselben Erfolg, wie jene zwei Entwürfe erringen.

So stehen wir wieder und vielleicht noch lange Zeit ohne Aussicht äußerer
Hilfe auf dem strengen Boden unsers geltenden Strafprozesses, wieder und
immer wieder ertönt der Hilferuf der in ihren Grundfesten erschütterten Presse


genießen — was bei dem jetzigen Regime vorherzusagen war — keine Aus¬
nahmestellung. Strafe und Zwangsmittel wollte man laut den Motiven aus¬
einanderhalten und hat sie recht ineinandergemischt, indem man ohne jeden
juristischen Grundsatz nur nach der größeren oder geringeren Wichtigkeit der
Strafsache Strafe oder Zwang anwendet, ja selbst in den wichtigen Fällen die
Vereinigung beider gestattet! (§ 169. Ur. 2.) Die Zwangsmittel sind dadurch
vornehmlich verschärft, daß sie gar nicht mehr gegen das Vermögen, nur noch
gegen die persönliche Freiheit des Zeugen sich richten — zu einer Zeit, in der
man bei andern civilisirten Nationen beginnt, der Forderung der Rechtswissen¬
schaft nachzukommen und die gerichtlichen Zwangsmittel möglichst aus das Ver¬
mögen zu beschränken. Ebenso, wie nach heute geltendem Rechte, soll das
Maß des Zwanges dem Ermessen des gemäß obigen Grundsätzen competenten
Gerichtes oder Richters anheimgestellt bleiben. Man machte einen Anlauf zur
Milde (vielleicht eine Frucht des eifrigen Diskutirens der Frage in der Wissen¬
schaft und der Tagespresse), indem man die Unbegrenztheit des heutigen Zeugen-
zwangcs durch Maximalsätze fest einschränkte, aber die Schranken sind noch
eisern, härter als die heutige fast allgemeine Praxis: 6 Monate, 1 Jahr,
2 Jahre. Und alle solche Härte, weil einmal vielleicht ein reicher Verbrecher
die deshalb nicht in den Entwurf aufgenommenen Zwangsgelder der zu seinen
Gunsten rennenden Zeugen zahlen könnte, oder weil ein geringeres Maximum
des Zwanges einem Zeugen vielleicht unbedeutend genug erschiene, um dafür
bei seiner Zeugnißweigerung zu beharren! Des reichen Verbrechers Vermögen
ist wirklich nicht zu erschöpfen? des Zeugen Trotz wirklich nicht zu brechen?
Und um so vereinzelter gesuchter Fälle willen droht nun allen Zeugen die
Härte.

Nur so viel von dem neuen EntWurfe. Auch in dem Punkte des Zeugen¬
zwanges — zumal den Redacteuren gegenüber — erweist er sich als unan¬
nehmbar, wenn auch an sich die angestrebte Begrenzung der Zeugenhast durch
gesetzliche Maximalsätzc anzuerkennen bleibt. In der Sache selbst ist den Zeugen
vor preußischen Gerichten, besonders den Redacteuren, hinan in nichts ge¬
holfen; denn der neue Entwurf der Strafproceßordnung ist ebenso todtgcboren,
als jener Entwurf des Abgeordnetenhauses, das zeigen schon die wenigen
Punkte desselben, welche diese Zeitschrift bisher ihrer Beurtheilung unterzog,
weitere Besprechungen an diesem Platze werden es außer Zweifel stellen. Und
jede neue gesetzgeberische Regung eines der drei preußischen gesetzgebenden Fac-
toren über den Zeugcnzwang des preußischen Strafprocesses wird unter dem
gegenwärtigen Ministerium denselben Erfolg, wie jene zwei Entwürfe erringen.

So stehen wir wieder und vielleicht noch lange Zeit ohne Aussicht äußerer
Hilfe auf dem strengen Boden unsers geltenden Strafprozesses, wieder und
immer wieder ertönt der Hilferuf der in ihren Grundfesten erschütterten Presse


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/266>, abgerufen am 26.06.2024.