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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Strafverfahrens vor. Dieser Einwand ist hinfällig. Ganz abgesehen von weiteren
Erörterungen, welche die Hinfälligkeit darthun, muß berücksichtigt werden, daß
die Staatsanwaltschaft das Gericht um Vernehmung des Redacteurs requirirte.
Bei Erledigung der Requisition hat das Gericht gar nicht die Zweckmäßigkeit
der beantragten Vernehmung zu prüfen; nur. wenn diese ungesetzlich wäre oder
dem Gerichte außerhalb der Grenzen seines Amtes zu liegen schiene, dürfte es
die Vernehmung verweigern. Daß erstens in der Vernehmung an sich vor
dem Beginn, oder nur vor gehegter Absicht eines Skrutinialvcrfcchrens keine
Ungesetzlichkeit liegt, erweisen schon §. 4--7 des Gesetzes vom 3. Januar 1849
über die Rechte und Pflichten der Staatsanwaltschaft. Ob die Gründe, die
Zwecke der Requisition Seitens der Verwaltungsbehörde gesetzlich seien, ob
insbesondere nach den Straf- oder Disciplinargesetzen irgendeine strafbare
Handlung der erforschten Person vorlag, hatte das vernehmende Gericht gar
nicht zu prüfen. Denn an dieses war nur die Requisition der dazu -- wie
gezeigt -- berechtigten Staatsanwaltschaft gekommen, nicht die der Verwal-
ungsbehörde, und seine Prüfung, ob Grund und Zweck solcher Requisition ge¬
setzlich, ist eben eine unstatthafte Prüfung der Zweckmäßigkeit- der Requisition.
Eine Ueberschreitung zweitens der Amtsfunctionen des Gerichtes lag in keinem
der behandelten Fälle vor; daß die requirirte Vernehmung ihrer formellen
Seite nach dem Gerichte zukam, ist erwiesen.

War die Requisition auch in materieller Hinsicht gesetzlich? Die Vorge¬
ladenen begründeten ihre Weigerung mit der Unbestimmtheit der Sachlage,
über die sie aussagen sollten. Wohl mochte das Vergehen, dem man auf der
Spur zu sein glaubte, vielfach unbestimmt in seiner Natur, zweifelhaft in seiner
Existenz sein, zumal wo es sich nur um eine mögliche Disciplinarsache handelte;
aber die dem Zeugen vorgelegten Fragen lauteten sehr bestimmt, so vornehm¬
lich, wer der Einsender, der Verfasser des straffälligen Artikels, der indiscret
veröffentlichten Nachricht sei.

In nicht wenigen Fällen verwiesen die Zeugen darauf, daß sie, wenn sie
der gerichtlichen Aufforderung nachkamen, sich selbst einer strafbaren Handlung
schuldig bekennen würden. Sie selbst mochten die Verfasser der fraglichen ZeiKn
sein; sie mochten den Einsender zur Sendung bewogen, ihm dabei geholfen
haben; sie hatten jedenfalls seine Sendung veröffentlicht und damit etwa ein
Preßvergehen oder Preßverbrechen begangen u. a. in. Bei diesen Fällen beriefen
sie sich dann auf die Gcneralfragen, die jedem Zeugen vorzulegen, ehe er seine
Aussage zur Sache abgiebt, und zeigten, daß sie die wesentliche Frage §. 319
Ur. 2 der Criminalordnung, ob sie beim Ausgang der Untersuchung Schaden
zu befürchten hätten, mit Ja beantworten müßten, daher nicht in der Sache
selbst zeugen dürften. Allein die Richtigkeit dieses Einwandes müssen die
Zeugen genau erweisen -- sonst wäre die ganze Zeugenpflicht illusorisch --


Strafverfahrens vor. Dieser Einwand ist hinfällig. Ganz abgesehen von weiteren
Erörterungen, welche die Hinfälligkeit darthun, muß berücksichtigt werden, daß
die Staatsanwaltschaft das Gericht um Vernehmung des Redacteurs requirirte.
Bei Erledigung der Requisition hat das Gericht gar nicht die Zweckmäßigkeit
der beantragten Vernehmung zu prüfen; nur. wenn diese ungesetzlich wäre oder
dem Gerichte außerhalb der Grenzen seines Amtes zu liegen schiene, dürfte es
die Vernehmung verweigern. Daß erstens in der Vernehmung an sich vor
dem Beginn, oder nur vor gehegter Absicht eines Skrutinialvcrfcchrens keine
Ungesetzlichkeit liegt, erweisen schon §. 4—7 des Gesetzes vom 3. Januar 1849
über die Rechte und Pflichten der Staatsanwaltschaft. Ob die Gründe, die
Zwecke der Requisition Seitens der Verwaltungsbehörde gesetzlich seien, ob
insbesondere nach den Straf- oder Disciplinargesetzen irgendeine strafbare
Handlung der erforschten Person vorlag, hatte das vernehmende Gericht gar
nicht zu prüfen. Denn an dieses war nur die Requisition der dazu — wie
gezeigt — berechtigten Staatsanwaltschaft gekommen, nicht die der Verwal-
ungsbehörde, und seine Prüfung, ob Grund und Zweck solcher Requisition ge¬
setzlich, ist eben eine unstatthafte Prüfung der Zweckmäßigkeit- der Requisition.
Eine Ueberschreitung zweitens der Amtsfunctionen des Gerichtes lag in keinem
der behandelten Fälle vor; daß die requirirte Vernehmung ihrer formellen
Seite nach dem Gerichte zukam, ist erwiesen.

War die Requisition auch in materieller Hinsicht gesetzlich? Die Vorge¬
ladenen begründeten ihre Weigerung mit der Unbestimmtheit der Sachlage,
über die sie aussagen sollten. Wohl mochte das Vergehen, dem man auf der
Spur zu sein glaubte, vielfach unbestimmt in seiner Natur, zweifelhaft in seiner
Existenz sein, zumal wo es sich nur um eine mögliche Disciplinarsache handelte;
aber die dem Zeugen vorgelegten Fragen lauteten sehr bestimmt, so vornehm¬
lich, wer der Einsender, der Verfasser des straffälligen Artikels, der indiscret
veröffentlichten Nachricht sei.

In nicht wenigen Fällen verwiesen die Zeugen darauf, daß sie, wenn sie
der gerichtlichen Aufforderung nachkamen, sich selbst einer strafbaren Handlung
schuldig bekennen würden. Sie selbst mochten die Verfasser der fraglichen ZeiKn
sein; sie mochten den Einsender zur Sendung bewogen, ihm dabei geholfen
haben; sie hatten jedenfalls seine Sendung veröffentlicht und damit etwa ein
Preßvergehen oder Preßverbrechen begangen u. a. in. Bei diesen Fällen beriefen
sie sich dann auf die Gcneralfragen, die jedem Zeugen vorzulegen, ehe er seine
Aussage zur Sache abgiebt, und zeigten, daß sie die wesentliche Frage §. 319
Ur. 2 der Criminalordnung, ob sie beim Ausgang der Untersuchung Schaden
zu befürchten hätten, mit Ja beantworten müßten, daher nicht in der Sache
selbst zeugen dürften. Allein die Richtigkeit dieses Einwandes müssen die
Zeugen genau erweisen — sonst wäre die ganze Zeugenpflicht illusorisch —


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[0262] Strafverfahrens vor. Dieser Einwand ist hinfällig. Ganz abgesehen von weiteren Erörterungen, welche die Hinfälligkeit darthun, muß berücksichtigt werden, daß die Staatsanwaltschaft das Gericht um Vernehmung des Redacteurs requirirte. Bei Erledigung der Requisition hat das Gericht gar nicht die Zweckmäßigkeit der beantragten Vernehmung zu prüfen; nur. wenn diese ungesetzlich wäre oder dem Gerichte außerhalb der Grenzen seines Amtes zu liegen schiene, dürfte es die Vernehmung verweigern. Daß erstens in der Vernehmung an sich vor dem Beginn, oder nur vor gehegter Absicht eines Skrutinialvcrfcchrens keine Ungesetzlichkeit liegt, erweisen schon §. 4—7 des Gesetzes vom 3. Januar 1849 über die Rechte und Pflichten der Staatsanwaltschaft. Ob die Gründe, die Zwecke der Requisition Seitens der Verwaltungsbehörde gesetzlich seien, ob insbesondere nach den Straf- oder Disciplinargesetzen irgendeine strafbare Handlung der erforschten Person vorlag, hatte das vernehmende Gericht gar nicht zu prüfen. Denn an dieses war nur die Requisition der dazu — wie gezeigt — berechtigten Staatsanwaltschaft gekommen, nicht die der Verwal- ungsbehörde, und seine Prüfung, ob Grund und Zweck solcher Requisition ge¬ setzlich, ist eben eine unstatthafte Prüfung der Zweckmäßigkeit- der Requisition. Eine Ueberschreitung zweitens der Amtsfunctionen des Gerichtes lag in keinem der behandelten Fälle vor; daß die requirirte Vernehmung ihrer formellen Seite nach dem Gerichte zukam, ist erwiesen. War die Requisition auch in materieller Hinsicht gesetzlich? Die Vorge¬ ladenen begründeten ihre Weigerung mit der Unbestimmtheit der Sachlage, über die sie aussagen sollten. Wohl mochte das Vergehen, dem man auf der Spur zu sein glaubte, vielfach unbestimmt in seiner Natur, zweifelhaft in seiner Existenz sein, zumal wo es sich nur um eine mögliche Disciplinarsache handelte; aber die dem Zeugen vorgelegten Fragen lauteten sehr bestimmt, so vornehm¬ lich, wer der Einsender, der Verfasser des straffälligen Artikels, der indiscret veröffentlichten Nachricht sei. In nicht wenigen Fällen verwiesen die Zeugen darauf, daß sie, wenn sie der gerichtlichen Aufforderung nachkamen, sich selbst einer strafbaren Handlung schuldig bekennen würden. Sie selbst mochten die Verfasser der fraglichen ZeiKn sein; sie mochten den Einsender zur Sendung bewogen, ihm dabei geholfen haben; sie hatten jedenfalls seine Sendung veröffentlicht und damit etwa ein Preßvergehen oder Preßverbrechen begangen u. a. in. Bei diesen Fällen beriefen sie sich dann auf die Gcneralfragen, die jedem Zeugen vorzulegen, ehe er seine Aussage zur Sache abgiebt, und zeigten, daß sie die wesentliche Frage §. 319 Ur. 2 der Criminalordnung, ob sie beim Ausgang der Untersuchung Schaden zu befürchten hätten, mit Ja beantworten müßten, daher nicht in der Sache selbst zeugen dürften. Allein die Richtigkeit dieses Einwandes müssen die Zeugen genau erweisen — sonst wäre die ganze Zeugenpflicht illusorisch —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/262>, abgerufen am 29.06.2024.