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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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bauung in der Praxis des königlichen Obertribunals kann die Staatsanwalt¬
schaft das Gericht veranlassen, vor Eröffnung einer Voruntersuchung und vor,
Erhebung einer Anklage im sogenannten Skrutinia lverlfahren diejenigen
Ermittlungen anzustellen, welche etwa eine Voruntersuchung ermöglichen. Da¬
zu gehören auch eidliche Vernehmungen. Das gerichtliche Skrutinialver-
fahren erscheint wesentlich begründet, wenn durch Zeugenvernehmungen u. a.
Beweismittel die noch unfertigen Verdachtsgründe zu beseitigen oder soweit-
zu verstärken sind, daß sie den Antrag auf Voruntersuchung rechtfertigen.

Die oben erwähnten Fälle nun, in welchen die Redacteure der Just er-
burger Zeitung (Dr. Hagen), der Danziger Zeitung (Rickert), der
Magdeburger Zeitung (damals Dr. Hoppe) u. a. mit den erwähnten
gesetzlichen Bestimmungen in Kollision geriethen, lagen fast ausnahmlos so, daß
auf Requisition einer Verwaltungsbehörde (Militärbehörde im insterburger
Falle) an den zuständigen Staatsanwalt, und des Staatsanwalts an das zu¬
ständige Gericht im Skrutinialstadium oder noch vor diesem der betreffende
Redacteur vorgeladen und aufgefordert wurde, dem inquirirenden Richter den
Namen des Einsenders, Verfassers u. s. f. bestimmter Nachrichten, Aufsätze und
dergl. eidlich anzugeben. Nur wenige der Vorgeladenen, unter den Obigen --
wenn wir nicht irren -- Rickert in Danzig, zogen es vor, die Collision mit den-
angeführten Strafgesetzen zu vermeiden, sie gaben -- theilweise unter protokol¬
larischem Protest gegen ihre Vernehmung -- einfach den Namen des Einsenders
an. Die überwiegende Zahl der bedrohten Redacteure erachteten es "zum
Nutzen aller Staatsangehörigen und zum Heile der hierbei gefährdeten Presse
für nothwendig", lieber ihr Vermögen und ihre persönliche Freiheit aufs Spiel
ZU setzen, als einem nach ihrer und Vieler, auch sehr berühmter Juristen Ansicht
unbegründeten Verlangen der Staatsbehörde sich zu fügen. Sie sahen durch
das Vorgehen der letzteren die gedeihliche Wirksamkeit der Presse vor allem
bedroht, da der Zeugenzwang gegen Redacteure die Mitarbeiter eines Blattes,
einer Zeitschrift völlig blos stellte und so der schon durch das Preßgesetz genug
umdrohten Presse ihre sichersten und reichsten Hilfsquellen abzugraben im
Stande war. So verweigerten sie die geforderte Auskunft und büßten mit
härterem oder milderem Geld- und Gefängnißzwang.

Wendet man obige Gesetzesvorschriften auf diese Fälle an, so ergiebt sich,
daßj hier keine Vernehmung eines Angeklagten oder nur Beschuldigten, sondern
eine eidliche Zeugenvernehmung sei es auf bloße Requisition, vor begonnenen
oder beabsichtigten Skrutinialverfahren, sei es in diesem Verfahren vorliegt.
Das folgt schon aus dem, was oben betreffs der Vernehmung des Ange¬
schuldigten gesagt ist. Aber die Vorgeladenen unterstützten ihre Weigerung
damit, daß sie darauf verwiesen, es liege in ihrem Falle gar keine strafrecht¬
liche Untersuchung, Voruntersuchung, ja überhaupt kein Anfang irgendeines


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bauung in der Praxis des königlichen Obertribunals kann die Staatsanwalt¬
schaft das Gericht veranlassen, vor Eröffnung einer Voruntersuchung und vor,
Erhebung einer Anklage im sogenannten Skrutinia lverlfahren diejenigen
Ermittlungen anzustellen, welche etwa eine Voruntersuchung ermöglichen. Da¬
zu gehören auch eidliche Vernehmungen. Das gerichtliche Skrutinialver-
fahren erscheint wesentlich begründet, wenn durch Zeugenvernehmungen u. a.
Beweismittel die noch unfertigen Verdachtsgründe zu beseitigen oder soweit-
zu verstärken sind, daß sie den Antrag auf Voruntersuchung rechtfertigen.

Die oben erwähnten Fälle nun, in welchen die Redacteure der Just er-
burger Zeitung (Dr. Hagen), der Danziger Zeitung (Rickert), der
Magdeburger Zeitung (damals Dr. Hoppe) u. a. mit den erwähnten
gesetzlichen Bestimmungen in Kollision geriethen, lagen fast ausnahmlos so, daß
auf Requisition einer Verwaltungsbehörde (Militärbehörde im insterburger
Falle) an den zuständigen Staatsanwalt, und des Staatsanwalts an das zu¬
ständige Gericht im Skrutinialstadium oder noch vor diesem der betreffende
Redacteur vorgeladen und aufgefordert wurde, dem inquirirenden Richter den
Namen des Einsenders, Verfassers u. s. f. bestimmter Nachrichten, Aufsätze und
dergl. eidlich anzugeben. Nur wenige der Vorgeladenen, unter den Obigen —
wenn wir nicht irren — Rickert in Danzig, zogen es vor, die Collision mit den-
angeführten Strafgesetzen zu vermeiden, sie gaben — theilweise unter protokol¬
larischem Protest gegen ihre Vernehmung — einfach den Namen des Einsenders
an. Die überwiegende Zahl der bedrohten Redacteure erachteten es „zum
Nutzen aller Staatsangehörigen und zum Heile der hierbei gefährdeten Presse
für nothwendig", lieber ihr Vermögen und ihre persönliche Freiheit aufs Spiel
ZU setzen, als einem nach ihrer und Vieler, auch sehr berühmter Juristen Ansicht
unbegründeten Verlangen der Staatsbehörde sich zu fügen. Sie sahen durch
das Vorgehen der letzteren die gedeihliche Wirksamkeit der Presse vor allem
bedroht, da der Zeugenzwang gegen Redacteure die Mitarbeiter eines Blattes,
einer Zeitschrift völlig blos stellte und so der schon durch das Preßgesetz genug
umdrohten Presse ihre sichersten und reichsten Hilfsquellen abzugraben im
Stande war. So verweigerten sie die geforderte Auskunft und büßten mit
härterem oder milderem Geld- und Gefängnißzwang.

Wendet man obige Gesetzesvorschriften auf diese Fälle an, so ergiebt sich,
daßj hier keine Vernehmung eines Angeklagten oder nur Beschuldigten, sondern
eine eidliche Zeugenvernehmung sei es auf bloße Requisition, vor begonnenen
oder beabsichtigten Skrutinialverfahren, sei es in diesem Verfahren vorliegt.
Das folgt schon aus dem, was oben betreffs der Vernehmung des Ange¬
schuldigten gesagt ist. Aber die Vorgeladenen unterstützten ihre Weigerung
damit, daß sie darauf verwiesen, es liege in ihrem Falle gar keine strafrecht¬
liche Untersuchung, Voruntersuchung, ja überhaupt kein Anfang irgendeines


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[0261] bauung in der Praxis des königlichen Obertribunals kann die Staatsanwalt¬ schaft das Gericht veranlassen, vor Eröffnung einer Voruntersuchung und vor, Erhebung einer Anklage im sogenannten Skrutinia lverlfahren diejenigen Ermittlungen anzustellen, welche etwa eine Voruntersuchung ermöglichen. Da¬ zu gehören auch eidliche Vernehmungen. Das gerichtliche Skrutinialver- fahren erscheint wesentlich begründet, wenn durch Zeugenvernehmungen u. a. Beweismittel die noch unfertigen Verdachtsgründe zu beseitigen oder soweit- zu verstärken sind, daß sie den Antrag auf Voruntersuchung rechtfertigen. Die oben erwähnten Fälle nun, in welchen die Redacteure der Just er- burger Zeitung (Dr. Hagen), der Danziger Zeitung (Rickert), der Magdeburger Zeitung (damals Dr. Hoppe) u. a. mit den erwähnten gesetzlichen Bestimmungen in Kollision geriethen, lagen fast ausnahmlos so, daß auf Requisition einer Verwaltungsbehörde (Militärbehörde im insterburger Falle) an den zuständigen Staatsanwalt, und des Staatsanwalts an das zu¬ ständige Gericht im Skrutinialstadium oder noch vor diesem der betreffende Redacteur vorgeladen und aufgefordert wurde, dem inquirirenden Richter den Namen des Einsenders, Verfassers u. s. f. bestimmter Nachrichten, Aufsätze und dergl. eidlich anzugeben. Nur wenige der Vorgeladenen, unter den Obigen — wenn wir nicht irren — Rickert in Danzig, zogen es vor, die Collision mit den- angeführten Strafgesetzen zu vermeiden, sie gaben — theilweise unter protokol¬ larischem Protest gegen ihre Vernehmung — einfach den Namen des Einsenders an. Die überwiegende Zahl der bedrohten Redacteure erachteten es „zum Nutzen aller Staatsangehörigen und zum Heile der hierbei gefährdeten Presse für nothwendig", lieber ihr Vermögen und ihre persönliche Freiheit aufs Spiel ZU setzen, als einem nach ihrer und Vieler, auch sehr berühmter Juristen Ansicht unbegründeten Verlangen der Staatsbehörde sich zu fügen. Sie sahen durch das Vorgehen der letzteren die gedeihliche Wirksamkeit der Presse vor allem bedroht, da der Zeugenzwang gegen Redacteure die Mitarbeiter eines Blattes, einer Zeitschrift völlig blos stellte und so der schon durch das Preßgesetz genug umdrohten Presse ihre sichersten und reichsten Hilfsquellen abzugraben im Stande war. So verweigerten sie die geforderte Auskunft und büßten mit härterem oder milderem Geld- und Gefängnißzwang. Wendet man obige Gesetzesvorschriften auf diese Fälle an, so ergiebt sich, daßj hier keine Vernehmung eines Angeklagten oder nur Beschuldigten, sondern eine eidliche Zeugenvernehmung sei es auf bloße Requisition, vor begonnenen oder beabsichtigten Skrutinialverfahren, sei es in diesem Verfahren vorliegt. Das folgt schon aus dem, was oben betreffs der Vernehmung des Ange¬ schuldigten gesagt ist. Aber die Vorgeladenen unterstützten ihre Weigerung damit, daß sie darauf verwiesen, es liege in ihrem Falle gar keine strafrecht¬ liche Untersuchung, Voruntersuchung, ja überhaupt kein Anfang irgendeines 31*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/261>, abgerufen am 29.06.2024.