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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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und Kinder, alle gleich begierig und ungestüm. Mit heiserem Gutluralge-
sänge unter Cinco'^) und Chucbagcrasscl^) kündigten die herbeieilenden Trupps
schon aus hoher Ferne ihre Annäherung an, brachen jauchzend und angejauchzt
von allen Seiten in den sonst so todten Ort el". zogen lärmend von Haus zu
Haus, von Pulperie zu Pulperie, und ergossen sich wie immer neu anschwel¬
lende Fluthwellen in die Wogen des Tanzes, welch" in den gefüllten Räumen,
den Korridors und Patios des Festplatzes wild aus und abrauschten. Die ver¬
schiedensten Farbenschattirungen, Typen und Trachten; Dürftigkeit und Wohl¬
stand kreisen in allen ihren Gegensätzen, eng zusammen- und durcheinanderge-
worfen, um den einen Mittelpunkt der Sinnenlust. Das blasse, nerv- und
blutlose Gesicht des Mestizen streift vorüber an der rostbraunen, herausfordernden
Stirn des kräftigen, hochgewachsenen Mulatten, die langen schwarzen Zöpfe
der schmucken Hochwald-Indianerin berühren hohnlachend das gekräuselte Haar der
sinnlich- häßlichen Zamba. Durchsichtige, wehende Gewänder aus theuren zart¬
farbigen Geweben, flatternde Seidenbänder und funkelnde, Glasperlen und Ko.
rallen stechen grell ab gegen die fadenscheinige olarräillirund den anspruchs¬
losen down ä'aro"), und die graue Covija und das probe Cotlonhemd
brechen sich unbefangen Bahn durch das steife Faltenhcmde und die wohlge¬
glättete Zsvita (Ueberrock), in welchem ersteren irgendein widerwärtiger
Neger, und in welchem letzteren der parfümirte Mestize mit dem höchsten
Selbstgefühl sich brüstet. Zügellose Roheit neben kindlicher Grazie. Sanftmuth
und Gutmüthizkeit neben Frechheit und Verschmitztheit, und alle jene Leiden¬
schaften . wie sie der Cultur und Uncultur der verschiedenen Racen und Mischungen
eigen, fließen in allen Chamäleonfarben bunt durcheinander.

Dennoch aber, wenn auch die leicht entzündbaren und immer glimmenden
Elemente dieser Gesellschaft jeden Augenblick zu Heller Lohe aufzulodern drohen,
bricht im Ganzen nur selten eine ernstliche Kriegsflamme unter ih>nen aus,
und wenn sie aufschlägt, verfliegt sie wieder ebenso schnell, wie sie ungestüm
und stürmisch aufwirbelte, und der unverwüstliche Humor, wie die unverwüst¬
lich rasselnde Musik rufen nach dem ersten Tumult die Getreuen bald wieder
zu dem tanMoxo zusammen.

Der weiße Europäer, der zufällig an Ort und Stelle, erobert sich die






") eines -- .ein kleines guitarrcähnlichcs Instrument mit fünf dünnen schnarrenden
Sgjtxn, pie unter sich in, Abstand von Nctoven gestimmt sind,
'°) OducKs, (Tschutscha) -- die ausgehöhlte Frucht der OkSLentig-in^ete, mit dem Samen
der Huno ioMes, gefüllt und mit einem Holzgriffc versehen; mit ihrem lauten helltönenden
Gerassex bildet ste ti" beständige Begleitung des eioeo,
'
°) oiMclillit -- der gewöhnliche blaue Zcugstoff der unteren F.r.auenclassen,
'
") Lotorr etoro -- blsMr, mit gelben Knöpfchen gesprenkelter Musselin, das .Sonn¬
tagskleid der ärmeren Frauen.

und Kinder, alle gleich begierig und ungestüm. Mit heiserem Gutluralge-
sänge unter Cinco'^) und Chucbagcrasscl^) kündigten die herbeieilenden Trupps
schon aus hoher Ferne ihre Annäherung an, brachen jauchzend und angejauchzt
von allen Seiten in den sonst so todten Ort el«. zogen lärmend von Haus zu
Haus, von Pulperie zu Pulperie, und ergossen sich wie immer neu anschwel¬
lende Fluthwellen in die Wogen des Tanzes, welch» in den gefüllten Räumen,
den Korridors und Patios des Festplatzes wild aus und abrauschten. Die ver¬
schiedensten Farbenschattirungen, Typen und Trachten; Dürftigkeit und Wohl¬
stand kreisen in allen ihren Gegensätzen, eng zusammen- und durcheinanderge-
worfen, um den einen Mittelpunkt der Sinnenlust. Das blasse, nerv- und
blutlose Gesicht des Mestizen streift vorüber an der rostbraunen, herausfordernden
Stirn des kräftigen, hochgewachsenen Mulatten, die langen schwarzen Zöpfe
der schmucken Hochwald-Indianerin berühren hohnlachend das gekräuselte Haar der
sinnlich- häßlichen Zamba. Durchsichtige, wehende Gewänder aus theuren zart¬
farbigen Geweben, flatternde Seidenbänder und funkelnde, Glasperlen und Ko.
rallen stechen grell ab gegen die fadenscheinige olarräillirund den anspruchs¬
losen down ä'aro"), und die graue Covija und das probe Cotlonhemd
brechen sich unbefangen Bahn durch das steife Faltenhcmde und die wohlge¬
glättete Zsvita (Ueberrock), in welchem ersteren irgendein widerwärtiger
Neger, und in welchem letzteren der parfümirte Mestize mit dem höchsten
Selbstgefühl sich brüstet. Zügellose Roheit neben kindlicher Grazie. Sanftmuth
und Gutmüthizkeit neben Frechheit und Verschmitztheit, und alle jene Leiden¬
schaften . wie sie der Cultur und Uncultur der verschiedenen Racen und Mischungen
eigen, fließen in allen Chamäleonfarben bunt durcheinander.

Dennoch aber, wenn auch die leicht entzündbaren und immer glimmenden
Elemente dieser Gesellschaft jeden Augenblick zu Heller Lohe aufzulodern drohen,
bricht im Ganzen nur selten eine ernstliche Kriegsflamme unter ih>nen aus,
und wenn sie aufschlägt, verfliegt sie wieder ebenso schnell, wie sie ungestüm
und stürmisch aufwirbelte, und der unverwüstliche Humor, wie die unverwüst¬
lich rasselnde Musik rufen nach dem ersten Tumult die Getreuen bald wieder
zu dem tanMoxo zusammen.

Der weiße Europäer, der zufällig an Ort und Stelle, erobert sich die






") eines — .ein kleines guitarrcähnlichcs Instrument mit fünf dünnen schnarrenden
Sgjtxn, pie unter sich in, Abstand von Nctoven gestimmt sind,
'°) OducKs, (Tschutscha) — die ausgehöhlte Frucht der OkSLentig-in^ete, mit dem Samen
der Huno ioMes, gefüllt und mit einem Holzgriffc versehen; mit ihrem lauten helltönenden
Gerassex bildet ste ti« beständige Begleitung des eioeo,
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°) oiMclillit — der gewöhnliche blaue Zcugstoff der unteren F.r.auenclassen,
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") Lotorr etoro — blsMr, mit gelben Knöpfchen gesprenkelter Musselin, das .Sonn¬
tagskleid der ärmeren Frauen.
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[0247] und Kinder, alle gleich begierig und ungestüm. Mit heiserem Gutluralge- sänge unter Cinco'^) und Chucbagcrasscl^) kündigten die herbeieilenden Trupps schon aus hoher Ferne ihre Annäherung an, brachen jauchzend und angejauchzt von allen Seiten in den sonst so todten Ort el«. zogen lärmend von Haus zu Haus, von Pulperie zu Pulperie, und ergossen sich wie immer neu anschwel¬ lende Fluthwellen in die Wogen des Tanzes, welch» in den gefüllten Räumen, den Korridors und Patios des Festplatzes wild aus und abrauschten. Die ver¬ schiedensten Farbenschattirungen, Typen und Trachten; Dürftigkeit und Wohl¬ stand kreisen in allen ihren Gegensätzen, eng zusammen- und durcheinanderge- worfen, um den einen Mittelpunkt der Sinnenlust. Das blasse, nerv- und blutlose Gesicht des Mestizen streift vorüber an der rostbraunen, herausfordernden Stirn des kräftigen, hochgewachsenen Mulatten, die langen schwarzen Zöpfe der schmucken Hochwald-Indianerin berühren hohnlachend das gekräuselte Haar der sinnlich- häßlichen Zamba. Durchsichtige, wehende Gewänder aus theuren zart¬ farbigen Geweben, flatternde Seidenbänder und funkelnde, Glasperlen und Ko. rallen stechen grell ab gegen die fadenscheinige olarräillirund den anspruchs¬ losen down ä'aro"), und die graue Covija und das probe Cotlonhemd brechen sich unbefangen Bahn durch das steife Faltenhcmde und die wohlge¬ glättete Zsvita (Ueberrock), in welchem ersteren irgendein widerwärtiger Neger, und in welchem letzteren der parfümirte Mestize mit dem höchsten Selbstgefühl sich brüstet. Zügellose Roheit neben kindlicher Grazie. Sanftmuth und Gutmüthizkeit neben Frechheit und Verschmitztheit, und alle jene Leiden¬ schaften . wie sie der Cultur und Uncultur der verschiedenen Racen und Mischungen eigen, fließen in allen Chamäleonfarben bunt durcheinander. Dennoch aber, wenn auch die leicht entzündbaren und immer glimmenden Elemente dieser Gesellschaft jeden Augenblick zu Heller Lohe aufzulodern drohen, bricht im Ganzen nur selten eine ernstliche Kriegsflamme unter ih>nen aus, und wenn sie aufschlägt, verfliegt sie wieder ebenso schnell, wie sie ungestüm und stürmisch aufwirbelte, und der unverwüstliche Humor, wie die unverwüst¬ lich rasselnde Musik rufen nach dem ersten Tumult die Getreuen bald wieder zu dem tanMoxo zusammen. Der weiße Europäer, der zufällig an Ort und Stelle, erobert sich die ") eines — .ein kleines guitarrcähnlichcs Instrument mit fünf dünnen schnarrenden Sgjtxn, pie unter sich in, Abstand von Nctoven gestimmt sind, '°) OducKs, (Tschutscha) — die ausgehöhlte Frucht der OkSLentig-in^ete, mit dem Samen der Huno ioMes, gefüllt und mit einem Holzgriffc versehen; mit ihrem lauten helltönenden Gerassex bildet ste ti« beständige Begleitung des eioeo, ' °) oiMclillit — der gewöhnliche blaue Zcugstoff der unteren F.r.auenclassen, ' ") Lotorr etoro — blsMr, mit gelben Knöpfchen gesprenkelter Musselin, das .Sonn¬ tagskleid der ärmeren Frauen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/247>, abgerufen am 26.06.2024.