Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

bei seiner sorglosen und leichtfertigen Sinnesart nur sehr unklare Begriffe, es
löst eben so leicht und launenhaft die Contracte, wie es dieselben eingeht.
Jeder einzelne Arbeiter hat mit dem Arbeitgeber seine eignen Sondercontracte
und Anforderungen, die beständig umgeworfen und von Neuem wieder zusammen¬
geflickt werden; wer dabei ermüdet, ihm diese Lieblingsunterhaltung zu gewähren,
verliert bald die wenigen Kräfte, die er mühsam zusammengebracht. Nach diesen
Andeutungen wird man verstehen, wie in unserm Expeditionslager noch Woche
auf Woche mit den Ausrüstungen vorgehen konnte, als man schon von Tag
zu Tag an den Aufbruch dachte.

Die elastische Jugend hob meinen geschwächten Körper bald wieder so"
weit, daß ich mit K. kräftig Hand ans Werk legen konnte. Während dieser
in La Convention zurückblieb, um den geschäftlichen Gang der Unternehmung
weiter zu leiten, setzte ich mich an die Spitze einer kleinen Arbeitercolonne von
ausgewählten Indianern und Mulatten, um den neuen Weg, soweit Spuren
von demselben vorhanden, vollständig zu öffnen und weiterhin unter der Führung
der eillbg.iMig.iios durch die Walowildniß anzubahnen. Inzwischen aber rückte das
Pfingstfest heran, und natürlich bestanden auch meine Indianer und Mulatten
darauf, den Freudenbecher der paseuas (Festzeit) nicht an sich vorübergehen zu
lassen. Keine Nation kann eine größere Vorliebe für die rothen Kalendertage
besitzen, als die hispano-amerikanische; alle ihre Racen und Mischracen sind gleich
genußsüchtig und unersättlich, jede Veranlassung einen Feiertag zu ballen wird
mit beiden Händen ergriffen. Ihre Vergnügungssucht umgeben sie mit dem
Nimbus der Religion, und umgekehrt verschmelzen sie auf das innigste jeden reli¬
giösen Act mit sinnlichen Vergnügungen. Nach beiden Richtungen hin werden
dann die Pascuas bis zum Uebermaße ausgebeutet, und ebenso die heiligsten
Dinge entweiht und gemißbraucht, als die äußersten Ausschweifungen mit priester¬
lichen Ceremonien gesalbt. Je elastischer und leichter das Gewissen mit diesem
monströsen Zwitterdinge Abrechnung hält, je harmloser und unempfindlicher
die gedankenlose M"nge das Doppelgericht des Glaubens und der Sinnenlust
ausnimmt und assimilirt, desto wohlgefälliger erachtet sie sich selbst in den Augen
der Heiligen und der alleinseligmachenden Kirche; denn sie alle sind ja getauft,
und somit allein seligwerdende Christen.

Die barbarische Musik und das lärmende Getöse, welches am Abend vor
Pfingsten die Straßen des Pueblo durchzog und die tanzlustige Menge in ein
geräumiges Gebäude neben unserem Lagerplatze zusammendrängte, erinnerte
mich unter schneidenden Kontrasten an das liebliche und trauliche Pfingstfest der
nmddeutscben Heimath. Die festlich angethanen Hochländer stiegen Von ihren
immergrünen Wäldern und Bergen einzeln und truppweise hernieder, breite,
untersetzte und phlegmatisch - wilde Jndianerbursche und dunkelbraune, schwarz¬
haarige Mägde mit bunten Tüchern und flatternden Hutbändern, Väter, Mütter


bei seiner sorglosen und leichtfertigen Sinnesart nur sehr unklare Begriffe, es
löst eben so leicht und launenhaft die Contracte, wie es dieselben eingeht.
Jeder einzelne Arbeiter hat mit dem Arbeitgeber seine eignen Sondercontracte
und Anforderungen, die beständig umgeworfen und von Neuem wieder zusammen¬
geflickt werden; wer dabei ermüdet, ihm diese Lieblingsunterhaltung zu gewähren,
verliert bald die wenigen Kräfte, die er mühsam zusammengebracht. Nach diesen
Andeutungen wird man verstehen, wie in unserm Expeditionslager noch Woche
auf Woche mit den Ausrüstungen vorgehen konnte, als man schon von Tag
zu Tag an den Aufbruch dachte.

Die elastische Jugend hob meinen geschwächten Körper bald wieder so»
weit, daß ich mit K. kräftig Hand ans Werk legen konnte. Während dieser
in La Convention zurückblieb, um den geschäftlichen Gang der Unternehmung
weiter zu leiten, setzte ich mich an die Spitze einer kleinen Arbeitercolonne von
ausgewählten Indianern und Mulatten, um den neuen Weg, soweit Spuren
von demselben vorhanden, vollständig zu öffnen und weiterhin unter der Führung
der eillbg.iMig.iios durch die Walowildniß anzubahnen. Inzwischen aber rückte das
Pfingstfest heran, und natürlich bestanden auch meine Indianer und Mulatten
darauf, den Freudenbecher der paseuas (Festzeit) nicht an sich vorübergehen zu
lassen. Keine Nation kann eine größere Vorliebe für die rothen Kalendertage
besitzen, als die hispano-amerikanische; alle ihre Racen und Mischracen sind gleich
genußsüchtig und unersättlich, jede Veranlassung einen Feiertag zu ballen wird
mit beiden Händen ergriffen. Ihre Vergnügungssucht umgeben sie mit dem
Nimbus der Religion, und umgekehrt verschmelzen sie auf das innigste jeden reli¬
giösen Act mit sinnlichen Vergnügungen. Nach beiden Richtungen hin werden
dann die Pascuas bis zum Uebermaße ausgebeutet, und ebenso die heiligsten
Dinge entweiht und gemißbraucht, als die äußersten Ausschweifungen mit priester¬
lichen Ceremonien gesalbt. Je elastischer und leichter das Gewissen mit diesem
monströsen Zwitterdinge Abrechnung hält, je harmloser und unempfindlicher
die gedankenlose M«nge das Doppelgericht des Glaubens und der Sinnenlust
ausnimmt und assimilirt, desto wohlgefälliger erachtet sie sich selbst in den Augen
der Heiligen und der alleinseligmachenden Kirche; denn sie alle sind ja getauft,
und somit allein seligwerdende Christen.

Die barbarische Musik und das lärmende Getöse, welches am Abend vor
Pfingsten die Straßen des Pueblo durchzog und die tanzlustige Menge in ein
geräumiges Gebäude neben unserem Lagerplatze zusammendrängte, erinnerte
mich unter schneidenden Kontrasten an das liebliche und trauliche Pfingstfest der
nmddeutscben Heimath. Die festlich angethanen Hochländer stiegen Von ihren
immergrünen Wäldern und Bergen einzeln und truppweise hernieder, breite,
untersetzte und phlegmatisch - wilde Jndianerbursche und dunkelbraune, schwarz¬
haarige Mägde mit bunten Tüchern und flatternden Hutbändern, Väter, Mütter


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0246" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283043"/>
          <p xml:id="ID_795" prev="#ID_794"> bei seiner sorglosen und leichtfertigen Sinnesart nur sehr unklare Begriffe, es<lb/>
löst eben so leicht und launenhaft die Contracte, wie es dieselben eingeht.<lb/>
Jeder einzelne Arbeiter hat mit dem Arbeitgeber seine eignen Sondercontracte<lb/>
und Anforderungen, die beständig umgeworfen und von Neuem wieder zusammen¬<lb/>
geflickt werden; wer dabei ermüdet, ihm diese Lieblingsunterhaltung zu gewähren,<lb/>
verliert bald die wenigen Kräfte, die er mühsam zusammengebracht. Nach diesen<lb/>
Andeutungen wird man verstehen, wie in unserm Expeditionslager noch Woche<lb/>
auf Woche mit den Ausrüstungen vorgehen konnte, als man schon von Tag<lb/>
zu Tag an den Aufbruch dachte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_796"> Die elastische Jugend hob meinen geschwächten Körper bald wieder so»<lb/>
weit, daß ich mit K. kräftig Hand ans Werk legen konnte. Während dieser<lb/>
in La Convention zurückblieb, um den geschäftlichen Gang der Unternehmung<lb/>
weiter zu leiten, setzte ich mich an die Spitze einer kleinen Arbeitercolonne von<lb/>
ausgewählten Indianern und Mulatten, um den neuen Weg, soweit Spuren<lb/>
von demselben vorhanden, vollständig zu öffnen und weiterhin unter der Führung<lb/>
der eillbg.iMig.iios durch die Walowildniß anzubahnen. Inzwischen aber rückte das<lb/>
Pfingstfest heran, und natürlich bestanden auch meine Indianer und Mulatten<lb/>
darauf, den Freudenbecher der paseuas (Festzeit) nicht an sich vorübergehen zu<lb/>
lassen. Keine Nation kann eine größere Vorliebe für die rothen Kalendertage<lb/>
besitzen, als die hispano-amerikanische; alle ihre Racen und Mischracen sind gleich<lb/>
genußsüchtig und unersättlich, jede Veranlassung einen Feiertag zu ballen wird<lb/>
mit beiden Händen ergriffen. Ihre Vergnügungssucht umgeben sie mit dem<lb/>
Nimbus der Religion, und umgekehrt verschmelzen sie auf das innigste jeden reli¬<lb/>
giösen Act mit sinnlichen Vergnügungen. Nach beiden Richtungen hin werden<lb/>
dann die Pascuas bis zum Uebermaße ausgebeutet, und ebenso die heiligsten<lb/>
Dinge entweiht und gemißbraucht, als die äußersten Ausschweifungen mit priester¬<lb/>
lichen Ceremonien gesalbt. Je elastischer und leichter das Gewissen mit diesem<lb/>
monströsen Zwitterdinge Abrechnung hält, je harmloser und unempfindlicher<lb/>
die gedankenlose M«nge das Doppelgericht des Glaubens und der Sinnenlust<lb/>
ausnimmt und assimilirt, desto wohlgefälliger erachtet sie sich selbst in den Augen<lb/>
der Heiligen und der alleinseligmachenden Kirche; denn sie alle sind ja getauft,<lb/>
und somit allein seligwerdende Christen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_797" next="#ID_798"> Die barbarische Musik und das lärmende Getöse, welches am Abend vor<lb/>
Pfingsten die Straßen des Pueblo durchzog und die tanzlustige Menge in ein<lb/>
geräumiges Gebäude neben unserem Lagerplatze zusammendrängte, erinnerte<lb/>
mich unter schneidenden Kontrasten an das liebliche und trauliche Pfingstfest der<lb/>
nmddeutscben Heimath. Die festlich angethanen Hochländer stiegen Von ihren<lb/>
immergrünen Wäldern und Bergen einzeln und truppweise hernieder, breite,<lb/>
untersetzte und phlegmatisch - wilde Jndianerbursche und dunkelbraune, schwarz¬<lb/>
haarige Mägde mit bunten Tüchern und flatternden Hutbändern, Väter, Mütter</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0246] bei seiner sorglosen und leichtfertigen Sinnesart nur sehr unklare Begriffe, es löst eben so leicht und launenhaft die Contracte, wie es dieselben eingeht. Jeder einzelne Arbeiter hat mit dem Arbeitgeber seine eignen Sondercontracte und Anforderungen, die beständig umgeworfen und von Neuem wieder zusammen¬ geflickt werden; wer dabei ermüdet, ihm diese Lieblingsunterhaltung zu gewähren, verliert bald die wenigen Kräfte, die er mühsam zusammengebracht. Nach diesen Andeutungen wird man verstehen, wie in unserm Expeditionslager noch Woche auf Woche mit den Ausrüstungen vorgehen konnte, als man schon von Tag zu Tag an den Aufbruch dachte. Die elastische Jugend hob meinen geschwächten Körper bald wieder so» weit, daß ich mit K. kräftig Hand ans Werk legen konnte. Während dieser in La Convention zurückblieb, um den geschäftlichen Gang der Unternehmung weiter zu leiten, setzte ich mich an die Spitze einer kleinen Arbeitercolonne von ausgewählten Indianern und Mulatten, um den neuen Weg, soweit Spuren von demselben vorhanden, vollständig zu öffnen und weiterhin unter der Führung der eillbg.iMig.iios durch die Walowildniß anzubahnen. Inzwischen aber rückte das Pfingstfest heran, und natürlich bestanden auch meine Indianer und Mulatten darauf, den Freudenbecher der paseuas (Festzeit) nicht an sich vorübergehen zu lassen. Keine Nation kann eine größere Vorliebe für die rothen Kalendertage besitzen, als die hispano-amerikanische; alle ihre Racen und Mischracen sind gleich genußsüchtig und unersättlich, jede Veranlassung einen Feiertag zu ballen wird mit beiden Händen ergriffen. Ihre Vergnügungssucht umgeben sie mit dem Nimbus der Religion, und umgekehrt verschmelzen sie auf das innigste jeden reli¬ giösen Act mit sinnlichen Vergnügungen. Nach beiden Richtungen hin werden dann die Pascuas bis zum Uebermaße ausgebeutet, und ebenso die heiligsten Dinge entweiht und gemißbraucht, als die äußersten Ausschweifungen mit priester¬ lichen Ceremonien gesalbt. Je elastischer und leichter das Gewissen mit diesem monströsen Zwitterdinge Abrechnung hält, je harmloser und unempfindlicher die gedankenlose M«nge das Doppelgericht des Glaubens und der Sinnenlust ausnimmt und assimilirt, desto wohlgefälliger erachtet sie sich selbst in den Augen der Heiligen und der alleinseligmachenden Kirche; denn sie alle sind ja getauft, und somit allein seligwerdende Christen. Die barbarische Musik und das lärmende Getöse, welches am Abend vor Pfingsten die Straßen des Pueblo durchzog und die tanzlustige Menge in ein geräumiges Gebäude neben unserem Lagerplatze zusammendrängte, erinnerte mich unter schneidenden Kontrasten an das liebliche und trauliche Pfingstfest der nmddeutscben Heimath. Die festlich angethanen Hochländer stiegen Von ihren immergrünen Wäldern und Bergen einzeln und truppweise hernieder, breite, untersetzte und phlegmatisch - wilde Jndianerbursche und dunkelbraune, schwarz¬ haarige Mägde mit bunten Tüchern und flatternden Hutbändern, Väter, Mütter

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/246
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/246>, abgerufen am 26.06.2024.