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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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nicht eben mehr jugendliche Köchin und Mutter von drei nicht minder abschrecken¬
den Buben briet und kochte, wusch und plättete inmitten jenes bunten Getümmels.
Sie hatte sich ebenfalls für die neue Ansiedelung am Catatumbo vermiethet,
um einen geliebten und ihr verlobten, aber wenig zuverlässigen Freund nicht
aus den Augen und aus dem Sinn zu verlieren. Sämmtliche Umwohner
und Einwohner des Ortes, mit dem Neverendo Padre und dem Alkalde an
der Spitze, gingen wie in einem Taubenschlag, beständig ein und aus, theils
hergeführt durch die allen Creolen charakteristische Neugierde und Zudringlichkeit,
theils auch angelockt durch die glänzenden Aussichten, welche dem stillen Erd"
Winkel ihrer Wohnsitze durch den neuen Weg und Hafen eröffnet wurden. Es
war fast allein noch die Rede von dem Puerto Catatumbo und den beiden alemaiws
indi-eMos, weiche als Piloten der Cultur und Civilisation ihren gefürchteten
Monte") durchsteuerten. Für K. und mich war unser Zusammentreffen als
ein Begegnen von Männern wesentlich gleicher Bildungsstufe und Landsleuten in
Mitten von rohen, wenn auch nicht bösartigen Natur-Menschen aus der Waldwildniß
ein köstlicher Gewinn. Nur der, welcher jemals viele Monate hindurch aller
Berührung mit der Gesittung entrückt gewesen, kann ganz und voll das Be¬
glückende geselligen und geistig-gebildeten Umganges empfinden, und der lang
entbehrte Laut der Muttersprache schlägt in der Fremde gar süß und mächtig
an das deutsche Herz!

Trotz aller Thätigkeit und eifrigen Andrängens verzögerte sich die Inan¬
griffnahme der Wegearbeiten und der Aufbruch der Expedition von Tag zu
Tag, von Woche zu Woche. Es ist schwer, sich inmitten unsrer großartigen
Berkehrshebel und technischen Hülfskräfte, unsrer geregelten und comfortablen
Lebenseinrichtungen, eine rechte Vorstellung zu machen von den unsäglichen
Plackereien und Schwierigkeiten, den Zeit- und Geldopfern, welche in diesen
fast gänzlich Verkehrs- und hülfsmittellosen Ländern sich jeglicher, auch der ge¬
ringsten Unternehmung entgegenstellen. Jede Kleinigkeit verlangt peinlichste
Berücksichtigung, der winzigste Gegenstand sorgfältigste Aufbewahrung und Fort-
schaffung. Die Transportmittel sind unzureichend, sie gestatten selten die Mit¬
nahme kostbarer Dinge und solcher Gegenstände, die anderswo vielleicht nicht
wieder ersetzt werden können und zu dem bestimmten Zwecke doch unentbehr¬
lich sind. Die nothwendigsten Handreichungen, fördernde Dienstleistungen sind
oft unerreichbar und unbezahlbar, niemals zuverlässig und von Bestand.

Von dem Werthe der Zeit und der Energie der Handlung hat das Volk



") Ickovte -- im eigentlichen Sinne! Wald, Wildniß, aber der Creole bezeichnet mit
wovtö alles Erdreich, das in uncultiviitem oder verwilderten Zustande beharrt, ebenso das
gestrüppartige Unkraut zwischen den Culturpflanzen; endlich ist ihm alles worde, was nicht
Unmittelbar sei" Haus umgiebt und nicht von ihm berührt wird.

nicht eben mehr jugendliche Köchin und Mutter von drei nicht minder abschrecken¬
den Buben briet und kochte, wusch und plättete inmitten jenes bunten Getümmels.
Sie hatte sich ebenfalls für die neue Ansiedelung am Catatumbo vermiethet,
um einen geliebten und ihr verlobten, aber wenig zuverlässigen Freund nicht
aus den Augen und aus dem Sinn zu verlieren. Sämmtliche Umwohner
und Einwohner des Ortes, mit dem Neverendo Padre und dem Alkalde an
der Spitze, gingen wie in einem Taubenschlag, beständig ein und aus, theils
hergeführt durch die allen Creolen charakteristische Neugierde und Zudringlichkeit,
theils auch angelockt durch die glänzenden Aussichten, welche dem stillen Erd«
Winkel ihrer Wohnsitze durch den neuen Weg und Hafen eröffnet wurden. Es
war fast allein noch die Rede von dem Puerto Catatumbo und den beiden alemaiws
indi-eMos, weiche als Piloten der Cultur und Civilisation ihren gefürchteten
Monte") durchsteuerten. Für K. und mich war unser Zusammentreffen als
ein Begegnen von Männern wesentlich gleicher Bildungsstufe und Landsleuten in
Mitten von rohen, wenn auch nicht bösartigen Natur-Menschen aus der Waldwildniß
ein köstlicher Gewinn. Nur der, welcher jemals viele Monate hindurch aller
Berührung mit der Gesittung entrückt gewesen, kann ganz und voll das Be¬
glückende geselligen und geistig-gebildeten Umganges empfinden, und der lang
entbehrte Laut der Muttersprache schlägt in der Fremde gar süß und mächtig
an das deutsche Herz!

Trotz aller Thätigkeit und eifrigen Andrängens verzögerte sich die Inan¬
griffnahme der Wegearbeiten und der Aufbruch der Expedition von Tag zu
Tag, von Woche zu Woche. Es ist schwer, sich inmitten unsrer großartigen
Berkehrshebel und technischen Hülfskräfte, unsrer geregelten und comfortablen
Lebenseinrichtungen, eine rechte Vorstellung zu machen von den unsäglichen
Plackereien und Schwierigkeiten, den Zeit- und Geldopfern, welche in diesen
fast gänzlich Verkehrs- und hülfsmittellosen Ländern sich jeglicher, auch der ge¬
ringsten Unternehmung entgegenstellen. Jede Kleinigkeit verlangt peinlichste
Berücksichtigung, der winzigste Gegenstand sorgfältigste Aufbewahrung und Fort-
schaffung. Die Transportmittel sind unzureichend, sie gestatten selten die Mit¬
nahme kostbarer Dinge und solcher Gegenstände, die anderswo vielleicht nicht
wieder ersetzt werden können und zu dem bestimmten Zwecke doch unentbehr¬
lich sind. Die nothwendigsten Handreichungen, fördernde Dienstleistungen sind
oft unerreichbar und unbezahlbar, niemals zuverlässig und von Bestand.

Von dem Werthe der Zeit und der Energie der Handlung hat das Volk



") Ickovte — im eigentlichen Sinne! Wald, Wildniß, aber der Creole bezeichnet mit
wovtö alles Erdreich, das in uncultiviitem oder verwilderten Zustande beharrt, ebenso das
gestrüppartige Unkraut zwischen den Culturpflanzen; endlich ist ihm alles worde, was nicht
Unmittelbar sei» Haus umgiebt und nicht von ihm berührt wird.
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[0245] nicht eben mehr jugendliche Köchin und Mutter von drei nicht minder abschrecken¬ den Buben briet und kochte, wusch und plättete inmitten jenes bunten Getümmels. Sie hatte sich ebenfalls für die neue Ansiedelung am Catatumbo vermiethet, um einen geliebten und ihr verlobten, aber wenig zuverlässigen Freund nicht aus den Augen und aus dem Sinn zu verlieren. Sämmtliche Umwohner und Einwohner des Ortes, mit dem Neverendo Padre und dem Alkalde an der Spitze, gingen wie in einem Taubenschlag, beständig ein und aus, theils hergeführt durch die allen Creolen charakteristische Neugierde und Zudringlichkeit, theils auch angelockt durch die glänzenden Aussichten, welche dem stillen Erd« Winkel ihrer Wohnsitze durch den neuen Weg und Hafen eröffnet wurden. Es war fast allein noch die Rede von dem Puerto Catatumbo und den beiden alemaiws indi-eMos, weiche als Piloten der Cultur und Civilisation ihren gefürchteten Monte") durchsteuerten. Für K. und mich war unser Zusammentreffen als ein Begegnen von Männern wesentlich gleicher Bildungsstufe und Landsleuten in Mitten von rohen, wenn auch nicht bösartigen Natur-Menschen aus der Waldwildniß ein köstlicher Gewinn. Nur der, welcher jemals viele Monate hindurch aller Berührung mit der Gesittung entrückt gewesen, kann ganz und voll das Be¬ glückende geselligen und geistig-gebildeten Umganges empfinden, und der lang entbehrte Laut der Muttersprache schlägt in der Fremde gar süß und mächtig an das deutsche Herz! Trotz aller Thätigkeit und eifrigen Andrängens verzögerte sich die Inan¬ griffnahme der Wegearbeiten und der Aufbruch der Expedition von Tag zu Tag, von Woche zu Woche. Es ist schwer, sich inmitten unsrer großartigen Berkehrshebel und technischen Hülfskräfte, unsrer geregelten und comfortablen Lebenseinrichtungen, eine rechte Vorstellung zu machen von den unsäglichen Plackereien und Schwierigkeiten, den Zeit- und Geldopfern, welche in diesen fast gänzlich Verkehrs- und hülfsmittellosen Ländern sich jeglicher, auch der ge¬ ringsten Unternehmung entgegenstellen. Jede Kleinigkeit verlangt peinlichste Berücksichtigung, der winzigste Gegenstand sorgfältigste Aufbewahrung und Fort- schaffung. Die Transportmittel sind unzureichend, sie gestatten selten die Mit¬ nahme kostbarer Dinge und solcher Gegenstände, die anderswo vielleicht nicht wieder ersetzt werden können und zu dem bestimmten Zwecke doch unentbehr¬ lich sind. Die nothwendigsten Handreichungen, fördernde Dienstleistungen sind oft unerreichbar und unbezahlbar, niemals zuverlässig und von Bestand. Von dem Werthe der Zeit und der Energie der Handlung hat das Volk ") Ickovte — im eigentlichen Sinne! Wald, Wildniß, aber der Creole bezeichnet mit wovtö alles Erdreich, das in uncultiviitem oder verwilderten Zustande beharrt, ebenso das gestrüppartige Unkraut zwischen den Culturpflanzen; endlich ist ihm alles worde, was nicht Unmittelbar sei» Haus umgiebt und nicht von ihm berührt wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/245>, abgerufen am 26.06.2024.