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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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andere, die majestätischen Kronen schlanker Palmen emporragen, drängen sich die
gelichteten und gelüfteten Culturfelder, --> beide. Wildniß und Cultur um den
Besitz des Bodens streitend, jene mit unbeugsamer Kraft, diese mit unbeugsamer
Beharrlichkeit. Eben da. wo veredelnder Menschenfleiß und wilde Naturkraft
gegen einander arbeiten, erscheint die Natur in ihrer vollkommensten und abge¬
rundetsten Schönheit.

Von einem Bergvorsprunge aus. der mehre hundert Fuß ziemlich steil in
eine große, von einem schäumenden Waldstrom durchrauschte Thalschlucht ab¬
fällt, wird der Pueblo in der Entfernung von etwa einer halben Meile an dem
jenseitigen AbHange der Schlucht zuerst sichtbar. Seine wenigen Häuser und
Straßen mit einer kleinen freundlichen Kirche und der viereckigen großen Plaza
in der Mitte, ruhen auf der schrägen Fläche eines sanft abfallenden Abhanges,
von Zuckerrohr- und Bananenfeldern umsäumt und im weiten Hintergrunde von
dunkelbewaldeten Hügelketten wellenförmig umkreist. Die Anlage und Bau¬
art der Ortschaften ist in Südamerika überall gleich; die Anlage der Straßen
und Plätze zweckmäßiger und freundlicher, als die Construction der Gebäude.
Die erste Anlage einer entstehenden Ortschaft bildet stets die große, regelmäßig
quadratförmige Plaza, um welche sich zuerst die Kirche und die ersten Wohn-
gebäude der Colonie ansetzen. Von diesen laufen die ersten Ttraßen aus. die
breit und gerade angelegt, sich unter gleichmäßigen Quadraten rechtwinklig
schneiden. Die Häuser sind einstöckig, kunstlos, ohne alle Verzierungen aus
gestampfter Erde aufgeführt und von einem steilen Dache von Hohlziegeln oder
Palmenstäben oder Savannenstroh überragt. Mehrstöckige Häuser und Tbüime
sind unzulässig wegen der stets drohenden Erschütterungen des vulkanischen
Bodens; flache oder niedrige Dächer würden den in der Regenzeit mit großer
Gewalt herabstürzenden Güssen zu geringes Gefälle geben. Den inneren rein¬
lichen und häusig mit kleinen Blumenbeeten und Ziergesträuchen angelegten
patio") umläuft ein offenwandiger, galerieartiger Corridor an der Rückseite und
den Seitenflügeln des Hauptgebäudes, der durch die Verlängerung des Daches
zugleich überdacht ist. Ebenso prunklos wie das Aeußere ist das Innere des
Hauses. Die meist getünchten oder geschmacklos bunt gemalten Wände der
Zimmer reichen nur bis zum Ansatz des Dachstuhles hinan und tragen keine
Zimmerdecke, so daß die Stuben unvollständig von einander abgetrennt und nur
unmittelbar durch den Dachstuhl selbst überdeckt sind. Jedes Geräusch dringt
daher durch die freie Oeffnung unter dem Dachstuhl ungeschwächt aus dem einen
Zimmerraum in den andern. Die Fensteröffnungen ermangeln gänzlich der
Glasscheiben, sind durch ein Holzgitter von der Straße abgegrenzt und werden



°) ?ittio, der innere, vom Hauptgebäude und den Seitenflügeln eingeschlossene Hof
">s Gegensatz zu dem äußeren Schmutzhof, dem solar.
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andere, die majestätischen Kronen schlanker Palmen emporragen, drängen sich die
gelichteten und gelüfteten Culturfelder, —> beide. Wildniß und Cultur um den
Besitz des Bodens streitend, jene mit unbeugsamer Kraft, diese mit unbeugsamer
Beharrlichkeit. Eben da. wo veredelnder Menschenfleiß und wilde Naturkraft
gegen einander arbeiten, erscheint die Natur in ihrer vollkommensten und abge¬
rundetsten Schönheit.

Von einem Bergvorsprunge aus. der mehre hundert Fuß ziemlich steil in
eine große, von einem schäumenden Waldstrom durchrauschte Thalschlucht ab¬
fällt, wird der Pueblo in der Entfernung von etwa einer halben Meile an dem
jenseitigen AbHange der Schlucht zuerst sichtbar. Seine wenigen Häuser und
Straßen mit einer kleinen freundlichen Kirche und der viereckigen großen Plaza
in der Mitte, ruhen auf der schrägen Fläche eines sanft abfallenden Abhanges,
von Zuckerrohr- und Bananenfeldern umsäumt und im weiten Hintergrunde von
dunkelbewaldeten Hügelketten wellenförmig umkreist. Die Anlage und Bau¬
art der Ortschaften ist in Südamerika überall gleich; die Anlage der Straßen
und Plätze zweckmäßiger und freundlicher, als die Construction der Gebäude.
Die erste Anlage einer entstehenden Ortschaft bildet stets die große, regelmäßig
quadratförmige Plaza, um welche sich zuerst die Kirche und die ersten Wohn-
gebäude der Colonie ansetzen. Von diesen laufen die ersten Ttraßen aus. die
breit und gerade angelegt, sich unter gleichmäßigen Quadraten rechtwinklig
schneiden. Die Häuser sind einstöckig, kunstlos, ohne alle Verzierungen aus
gestampfter Erde aufgeführt und von einem steilen Dache von Hohlziegeln oder
Palmenstäben oder Savannenstroh überragt. Mehrstöckige Häuser und Tbüime
sind unzulässig wegen der stets drohenden Erschütterungen des vulkanischen
Bodens; flache oder niedrige Dächer würden den in der Regenzeit mit großer
Gewalt herabstürzenden Güssen zu geringes Gefälle geben. Den inneren rein¬
lichen und häusig mit kleinen Blumenbeeten und Ziergesträuchen angelegten
patio") umläuft ein offenwandiger, galerieartiger Corridor an der Rückseite und
den Seitenflügeln des Hauptgebäudes, der durch die Verlängerung des Daches
zugleich überdacht ist. Ebenso prunklos wie das Aeußere ist das Innere des
Hauses. Die meist getünchten oder geschmacklos bunt gemalten Wände der
Zimmer reichen nur bis zum Ansatz des Dachstuhles hinan und tragen keine
Zimmerdecke, so daß die Stuben unvollständig von einander abgetrennt und nur
unmittelbar durch den Dachstuhl selbst überdeckt sind. Jedes Geräusch dringt
daher durch die freie Oeffnung unter dem Dachstuhl ungeschwächt aus dem einen
Zimmerraum in den andern. Die Fensteröffnungen ermangeln gänzlich der
Glasscheiben, sind durch ein Holzgitter von der Straße abgegrenzt und werden



°) ?ittio, der innere, vom Hauptgebäude und den Seitenflügeln eingeschlossene Hof
«>s Gegensatz zu dem äußeren Schmutzhof, dem solar.
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[0243] andere, die majestätischen Kronen schlanker Palmen emporragen, drängen sich die gelichteten und gelüfteten Culturfelder, —> beide. Wildniß und Cultur um den Besitz des Bodens streitend, jene mit unbeugsamer Kraft, diese mit unbeugsamer Beharrlichkeit. Eben da. wo veredelnder Menschenfleiß und wilde Naturkraft gegen einander arbeiten, erscheint die Natur in ihrer vollkommensten und abge¬ rundetsten Schönheit. Von einem Bergvorsprunge aus. der mehre hundert Fuß ziemlich steil in eine große, von einem schäumenden Waldstrom durchrauschte Thalschlucht ab¬ fällt, wird der Pueblo in der Entfernung von etwa einer halben Meile an dem jenseitigen AbHange der Schlucht zuerst sichtbar. Seine wenigen Häuser und Straßen mit einer kleinen freundlichen Kirche und der viereckigen großen Plaza in der Mitte, ruhen auf der schrägen Fläche eines sanft abfallenden Abhanges, von Zuckerrohr- und Bananenfeldern umsäumt und im weiten Hintergrunde von dunkelbewaldeten Hügelketten wellenförmig umkreist. Die Anlage und Bau¬ art der Ortschaften ist in Südamerika überall gleich; die Anlage der Straßen und Plätze zweckmäßiger und freundlicher, als die Construction der Gebäude. Die erste Anlage einer entstehenden Ortschaft bildet stets die große, regelmäßig quadratförmige Plaza, um welche sich zuerst die Kirche und die ersten Wohn- gebäude der Colonie ansetzen. Von diesen laufen die ersten Ttraßen aus. die breit und gerade angelegt, sich unter gleichmäßigen Quadraten rechtwinklig schneiden. Die Häuser sind einstöckig, kunstlos, ohne alle Verzierungen aus gestampfter Erde aufgeführt und von einem steilen Dache von Hohlziegeln oder Palmenstäben oder Savannenstroh überragt. Mehrstöckige Häuser und Tbüime sind unzulässig wegen der stets drohenden Erschütterungen des vulkanischen Bodens; flache oder niedrige Dächer würden den in der Regenzeit mit großer Gewalt herabstürzenden Güssen zu geringes Gefälle geben. Den inneren rein¬ lichen und häusig mit kleinen Blumenbeeten und Ziergesträuchen angelegten patio") umläuft ein offenwandiger, galerieartiger Corridor an der Rückseite und den Seitenflügeln des Hauptgebäudes, der durch die Verlängerung des Daches zugleich überdacht ist. Ebenso prunklos wie das Aeußere ist das Innere des Hauses. Die meist getünchten oder geschmacklos bunt gemalten Wände der Zimmer reichen nur bis zum Ansatz des Dachstuhles hinan und tragen keine Zimmerdecke, so daß die Stuben unvollständig von einander abgetrennt und nur unmittelbar durch den Dachstuhl selbst überdeckt sind. Jedes Geräusch dringt daher durch die freie Oeffnung unter dem Dachstuhl ungeschwächt aus dem einen Zimmerraum in den andern. Die Fensteröffnungen ermangeln gänzlich der Glasscheiben, sind durch ein Holzgitter von der Straße abgegrenzt und werden °) ?ittio, der innere, vom Hauptgebäude und den Seitenflügeln eingeschlossene Hof «>s Gegensatz zu dem äußeren Schmutzhof, dem solar. 29*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/243>, abgerufen am 26.06.2024.