Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Leute, welche nach eignem Grund und Boden strebten, schlössen sich der Kolo¬
nisation am Catatumbo an. Ferner boten mehre Indianer, sogenannte
xractieos oder embg.i-cMaiios, welche auf ihren Jagd- und Schleichwegen das
Catatumbogebiet häufig durchstreift hatten und schon vorübergehend dort an¬
gesessen waren, mithin das Terrain desselben genau kannten, ihre Dienste als
Führer und Rathgeber an, da ihnen daran gelegen war, unter dem Schutze
und der Beihilfe einer zahlreichen Colonie zu Befestigung und Erweiterung
ihres Besitzes zu gelangen, aus dem die unwirthliche, der vereinzelten Menschen¬
kraft spottende Wildniß sie wiederholt schon vertrieben hatte. Sie wurden nicht
müde, die Vorzüge und namentlich die Fruchtbarkeit der waldumsäumtcn Flu߬
ufer zu schildern und zur Occupation des üppigen Landes aufzumuntern.

In jener Zeit der Vorbereitungen war ich nach achtmonatlicher Abwesen¬
heit aus den heiß-feuchten Waldgründen des Magdalencnbeckens, dem soge¬
nannten Torcoroma grande, nach Ocana zurückgekehrt, noch siech und ent¬
kräftet von dem eben übnstandenen gelben Fieber, ohne Hab und Gut,
nur mit der Erfahrung bereichert, daß es ein übermüthiges und sträfliches Be¬
ginnen ist, wenn der Mensch der gewaltigen Naturkraft auf seine Einzelkraft
vertrauend zu trotzen sucht. Meine einzige Zuflucht in dieser sorgenvollen Lage
war Maracaibo, wo ein immer gastliches Haus und unbeschränkter Credit mir
offen standen; aber auf dem gewöhnlichen Wege war jenes Ziel für meine
Mittel und Körperkräfte unerreichbar. Rasch war daher mein Entschluß gefaßt,
der Aufforderung K. s nachzukommen, ihn bei der ersten Expedition nach dem
Catatumbo zu vertreten und von dort mit dem nächsten Fahrzeuge, das strom¬
abwärts gesendet werde, mich nach Maracaibo einzuschiffen.

Nach wenigen Tagen Aufenthalt in Ocana schloß ich mich einer unbefrachtet
nach La Convencivn zurückkehrenden Abtheilung von Maulthieren an, bei welcher
ich für mich und meinen Sattel, für meine alte treue Begleiterin, die viel mi߬
handelte Pflanzenbüchse, und für die wenigen Kleidungsstücke und Bücher, die
ich aus den legten Drangsalen und Gefahren meines Waldlebens gerettet,
einen billigen Frachtpreis bedungen hatte. Nachdem ich noch von meinem gast¬
lichen Wirthe und Freunde die rührendsten Beweise hülfreichen Sinnes erfahren,
schied ich auf Nimmerwiedersehen von Ocana, das mir mit seinen immergrünen
Wäldern und Bergen, seinem blauen Frühlingshimmel und seinem herrlichen
Klima sehr lieb geworden war.

Nur eine augenblickliche Verlegenheit kann in jenen Ländern einen Reisenden
Zum Besteigen eines gemietheten Maulthieres bewegen; denn alle Verkehrtheiten
und tyrannischen Launen der wechselnden Reiter sind auf dasselbe übertragen,
und alle Mißhandlungen, die es erfahren, sucht es durch eine schrecklich beharr¬
liche Opposition gegen seinen jeweiligen Gewalthaber zu rächen. Wer da be¬
obachten will, dem bietet solche Lage sehr überzeugende Beispiele von den geistigen


Leute, welche nach eignem Grund und Boden strebten, schlössen sich der Kolo¬
nisation am Catatumbo an. Ferner boten mehre Indianer, sogenannte
xractieos oder embg.i-cMaiios, welche auf ihren Jagd- und Schleichwegen das
Catatumbogebiet häufig durchstreift hatten und schon vorübergehend dort an¬
gesessen waren, mithin das Terrain desselben genau kannten, ihre Dienste als
Führer und Rathgeber an, da ihnen daran gelegen war, unter dem Schutze
und der Beihilfe einer zahlreichen Colonie zu Befestigung und Erweiterung
ihres Besitzes zu gelangen, aus dem die unwirthliche, der vereinzelten Menschen¬
kraft spottende Wildniß sie wiederholt schon vertrieben hatte. Sie wurden nicht
müde, die Vorzüge und namentlich die Fruchtbarkeit der waldumsäumtcn Flu߬
ufer zu schildern und zur Occupation des üppigen Landes aufzumuntern.

In jener Zeit der Vorbereitungen war ich nach achtmonatlicher Abwesen¬
heit aus den heiß-feuchten Waldgründen des Magdalencnbeckens, dem soge¬
nannten Torcoroma grande, nach Ocana zurückgekehrt, noch siech und ent¬
kräftet von dem eben übnstandenen gelben Fieber, ohne Hab und Gut,
nur mit der Erfahrung bereichert, daß es ein übermüthiges und sträfliches Be¬
ginnen ist, wenn der Mensch der gewaltigen Naturkraft auf seine Einzelkraft
vertrauend zu trotzen sucht. Meine einzige Zuflucht in dieser sorgenvollen Lage
war Maracaibo, wo ein immer gastliches Haus und unbeschränkter Credit mir
offen standen; aber auf dem gewöhnlichen Wege war jenes Ziel für meine
Mittel und Körperkräfte unerreichbar. Rasch war daher mein Entschluß gefaßt,
der Aufforderung K. s nachzukommen, ihn bei der ersten Expedition nach dem
Catatumbo zu vertreten und von dort mit dem nächsten Fahrzeuge, das strom¬
abwärts gesendet werde, mich nach Maracaibo einzuschiffen.

Nach wenigen Tagen Aufenthalt in Ocana schloß ich mich einer unbefrachtet
nach La Convencivn zurückkehrenden Abtheilung von Maulthieren an, bei welcher
ich für mich und meinen Sattel, für meine alte treue Begleiterin, die viel mi߬
handelte Pflanzenbüchse, und für die wenigen Kleidungsstücke und Bücher, die
ich aus den legten Drangsalen und Gefahren meines Waldlebens gerettet,
einen billigen Frachtpreis bedungen hatte. Nachdem ich noch von meinem gast¬
lichen Wirthe und Freunde die rührendsten Beweise hülfreichen Sinnes erfahren,
schied ich auf Nimmerwiedersehen von Ocana, das mir mit seinen immergrünen
Wäldern und Bergen, seinem blauen Frühlingshimmel und seinem herrlichen
Klima sehr lieb geworden war.

Nur eine augenblickliche Verlegenheit kann in jenen Ländern einen Reisenden
Zum Besteigen eines gemietheten Maulthieres bewegen; denn alle Verkehrtheiten
und tyrannischen Launen der wechselnden Reiter sind auf dasselbe übertragen,
und alle Mißhandlungen, die es erfahren, sucht es durch eine schrecklich beharr¬
liche Opposition gegen seinen jeweiligen Gewalthaber zu rächen. Wer da be¬
obachten will, dem bietet solche Lage sehr überzeugende Beispiele von den geistigen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0239" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283036"/>
          <p xml:id="ID_777" prev="#ID_776"> Leute, welche nach eignem Grund und Boden strebten, schlössen sich der Kolo¬<lb/>
nisation am Catatumbo an. Ferner boten mehre Indianer, sogenannte<lb/>
xractieos oder embg.i-cMaiios, welche auf ihren Jagd- und Schleichwegen das<lb/>
Catatumbogebiet häufig durchstreift hatten und schon vorübergehend dort an¬<lb/>
gesessen waren, mithin das Terrain desselben genau kannten, ihre Dienste als<lb/>
Führer und Rathgeber an, da ihnen daran gelegen war, unter dem Schutze<lb/>
und der Beihilfe einer zahlreichen Colonie zu Befestigung und Erweiterung<lb/>
ihres Besitzes zu gelangen, aus dem die unwirthliche, der vereinzelten Menschen¬<lb/>
kraft spottende Wildniß sie wiederholt schon vertrieben hatte. Sie wurden nicht<lb/>
müde, die Vorzüge und namentlich die Fruchtbarkeit der waldumsäumtcn Flu߬<lb/>
ufer zu schildern und zur Occupation des üppigen Landes aufzumuntern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_778"> In jener Zeit der Vorbereitungen war ich nach achtmonatlicher Abwesen¬<lb/>
heit aus den heiß-feuchten Waldgründen des Magdalencnbeckens, dem soge¬<lb/>
nannten Torcoroma grande, nach Ocana zurückgekehrt, noch siech und ent¬<lb/>
kräftet von dem eben übnstandenen gelben Fieber, ohne Hab und Gut,<lb/>
nur mit der Erfahrung bereichert, daß es ein übermüthiges und sträfliches Be¬<lb/>
ginnen ist, wenn der Mensch der gewaltigen Naturkraft auf seine Einzelkraft<lb/>
vertrauend zu trotzen sucht. Meine einzige Zuflucht in dieser sorgenvollen Lage<lb/>
war Maracaibo, wo ein immer gastliches Haus und unbeschränkter Credit mir<lb/>
offen standen; aber auf dem gewöhnlichen Wege war jenes Ziel für meine<lb/>
Mittel und Körperkräfte unerreichbar. Rasch war daher mein Entschluß gefaßt,<lb/>
der Aufforderung K. s nachzukommen, ihn bei der ersten Expedition nach dem<lb/>
Catatumbo zu vertreten und von dort mit dem nächsten Fahrzeuge, das strom¬<lb/>
abwärts gesendet werde, mich nach Maracaibo einzuschiffen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_779"> Nach wenigen Tagen Aufenthalt in Ocana schloß ich mich einer unbefrachtet<lb/>
nach La Convencivn zurückkehrenden Abtheilung von Maulthieren an, bei welcher<lb/>
ich für mich und meinen Sattel, für meine alte treue Begleiterin, die viel mi߬<lb/>
handelte Pflanzenbüchse, und für die wenigen Kleidungsstücke und Bücher, die<lb/>
ich aus den legten Drangsalen und Gefahren meines Waldlebens gerettet,<lb/>
einen billigen Frachtpreis bedungen hatte. Nachdem ich noch von meinem gast¬<lb/>
lichen Wirthe und Freunde die rührendsten Beweise hülfreichen Sinnes erfahren,<lb/>
schied ich auf Nimmerwiedersehen von Ocana, das mir mit seinen immergrünen<lb/>
Wäldern und Bergen, seinem blauen Frühlingshimmel und seinem herrlichen<lb/>
Klima sehr lieb geworden war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_780" next="#ID_781"> Nur eine augenblickliche Verlegenheit kann in jenen Ländern einen Reisenden<lb/>
Zum Besteigen eines gemietheten Maulthieres bewegen; denn alle Verkehrtheiten<lb/>
und tyrannischen Launen der wechselnden Reiter sind auf dasselbe übertragen,<lb/>
und alle Mißhandlungen, die es erfahren, sucht es durch eine schrecklich beharr¬<lb/>
liche Opposition gegen seinen jeweiligen Gewalthaber zu rächen. Wer da be¬<lb/>
obachten will, dem bietet solche Lage sehr überzeugende Beispiele von den geistigen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0239] Leute, welche nach eignem Grund und Boden strebten, schlössen sich der Kolo¬ nisation am Catatumbo an. Ferner boten mehre Indianer, sogenannte xractieos oder embg.i-cMaiios, welche auf ihren Jagd- und Schleichwegen das Catatumbogebiet häufig durchstreift hatten und schon vorübergehend dort an¬ gesessen waren, mithin das Terrain desselben genau kannten, ihre Dienste als Führer und Rathgeber an, da ihnen daran gelegen war, unter dem Schutze und der Beihilfe einer zahlreichen Colonie zu Befestigung und Erweiterung ihres Besitzes zu gelangen, aus dem die unwirthliche, der vereinzelten Menschen¬ kraft spottende Wildniß sie wiederholt schon vertrieben hatte. Sie wurden nicht müde, die Vorzüge und namentlich die Fruchtbarkeit der waldumsäumtcn Flu߬ ufer zu schildern und zur Occupation des üppigen Landes aufzumuntern. In jener Zeit der Vorbereitungen war ich nach achtmonatlicher Abwesen¬ heit aus den heiß-feuchten Waldgründen des Magdalencnbeckens, dem soge¬ nannten Torcoroma grande, nach Ocana zurückgekehrt, noch siech und ent¬ kräftet von dem eben übnstandenen gelben Fieber, ohne Hab und Gut, nur mit der Erfahrung bereichert, daß es ein übermüthiges und sträfliches Be¬ ginnen ist, wenn der Mensch der gewaltigen Naturkraft auf seine Einzelkraft vertrauend zu trotzen sucht. Meine einzige Zuflucht in dieser sorgenvollen Lage war Maracaibo, wo ein immer gastliches Haus und unbeschränkter Credit mir offen standen; aber auf dem gewöhnlichen Wege war jenes Ziel für meine Mittel und Körperkräfte unerreichbar. Rasch war daher mein Entschluß gefaßt, der Aufforderung K. s nachzukommen, ihn bei der ersten Expedition nach dem Catatumbo zu vertreten und von dort mit dem nächsten Fahrzeuge, das strom¬ abwärts gesendet werde, mich nach Maracaibo einzuschiffen. Nach wenigen Tagen Aufenthalt in Ocana schloß ich mich einer unbefrachtet nach La Convencivn zurückkehrenden Abtheilung von Maulthieren an, bei welcher ich für mich und meinen Sattel, für meine alte treue Begleiterin, die viel mi߬ handelte Pflanzenbüchse, und für die wenigen Kleidungsstücke und Bücher, die ich aus den legten Drangsalen und Gefahren meines Waldlebens gerettet, einen billigen Frachtpreis bedungen hatte. Nachdem ich noch von meinem gast¬ lichen Wirthe und Freunde die rührendsten Beweise hülfreichen Sinnes erfahren, schied ich auf Nimmerwiedersehen von Ocana, das mir mit seinen immergrünen Wäldern und Bergen, seinem blauen Frühlingshimmel und seinem herrlichen Klima sehr lieb geworden war. Nur eine augenblickliche Verlegenheit kann in jenen Ländern einen Reisenden Zum Besteigen eines gemietheten Maulthieres bewegen; denn alle Verkehrtheiten und tyrannischen Launen der wechselnden Reiter sind auf dasselbe übertragen, und alle Mißhandlungen, die es erfahren, sucht es durch eine schrecklich beharr¬ liche Opposition gegen seinen jeweiligen Gewalthaber zu rächen. Wer da be¬ obachten will, dem bietet solche Lage sehr überzeugende Beispiele von den geistigen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/239
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/239>, abgerufen am 26.06.2024.