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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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die Reden Heinrich des Vierten und Richard des Dritten in Shakespeares Tra¬
gödien beanspruchen, manche Rede in Thucydides ist wahrscheinlich ebenso zuver
lässig, als der Zeitungsbericht, den ein guter Reporter über eine berühmte
Kammerrede niederschreibe. Es ist möglich, daß Sallust seine Darstellung nach
einer älteren Aufzeichnung gemacht hat, welche die Rede selbst oder doch ihren
Inhalt fixirte. Es ist möglich, aber wir wissen es nicht, und es ist uner¬
laubt, seine Worte als von Cäsar gesprochen anzuführen.

Die Betrachtungen, welche der Verfasser an die Rede und das Verhalten
Cäsars knüpft, sind lehrreich, obgleich in anderer Weise, als der Ver¬
fasser beabsichtigt. So aber spricht Napoleon der Dritte über Cäsar:
"Man kann sich leicht davon überzeugen, daß Cäsar kein Verschwörer war;
diese Anklage findet vielmehr in der Kleinmüthigkeit der Einen und dem Groll
der Andern ihre Erklärung. Denn wer weiß es nicht, daß schwache Regierungen
in Augenblicken der Entscheidung jede Theilnahme für die Angeklagten als
Mitschuld ansehen und ihre Gegner mit Verläumdungen nicht schonen? Q. Catulus
und C. Piso waren von einem so glühenden Haß gegen ihn beseelt, daß sie
den Konsul bestürmt hatten, auch ihn in die gegen die Mitschuldigen Catilinas
gerichteten Verfolgungen hineinzuziehen. Cicero hatte widerstanden. Aber das
Gerüchtseiner Betheiligung am Complot hatte sich darum nicht weniger verbreitet und
war von der Menge der Misvergnügten mit Beflissenheit aufgenommen worden.
Cäsar gehörte nicht zu den Verschworenen; denn sonst hätte sein Einfluß ge¬
nügt, ihre Freisprechung mit Triumph zu erwirken. Er hatte ein zu hohes
Selbstgefühl und genoß zu große Achtung, um auf verstecktem Wege und mit
verwerflichen Mitteln zur Gewalt gelangen zu wollen. So ehrgeizig ein Man"
auch sei. er wird kein Verschwörer, wenn er sein Ziel mit gesetzlichen Mitteln
erreichen kann. Cäsar war des Consulates sehr sicher, und niemals verrieth
Ungeduld seinen Ehrgeiz. Ueberdies hatte er beständig einen ausgesprochenen
Widerwillen gegen den Bürgerkrieg an den Tag gelegt; und wie würde er sich
in eine gemeine Verschwörung mit verrufenen Leuten eingelassen haben, er, der
es zurückwies, mit Lepidus. der damals an der Spitze eines Herres stand, ge¬
meinschaftliche Sache zu machen?-Hätte Cicero den Cäsar für schuldig gehalten,
würde er gezögert haben ihn anzuklagen, während er sich nicht gescheut hatte,
eine so gewichtige Persönlichkeit wie Licinius Crassus mit Hilfe eines falschen
Zeugen zu verdächtigen? Wie hätte er wohl am Tage vor der Verurtheilung
dem Cäsar die Bewachung eines der Verschworenen anvertraut? Würde er ihn
später gerechtfertigt haben, als die Beschuldigung erneuert ward? Wenn endlich,
wie wir später von Plutarch hören werden. Cäsar lieber der Erste in einem
Dorfe der Alpen, als der zweite in Rom sein wollte, wie hätte er sich dazu
verstanden, der zweite neben Catilina zu sein?"

Was soll man zu solcher seichten und phrasenhaften Aburtheilung sagen?


Greiijbole.i II. 186S. 28

die Reden Heinrich des Vierten und Richard des Dritten in Shakespeares Tra¬
gödien beanspruchen, manche Rede in Thucydides ist wahrscheinlich ebenso zuver
lässig, als der Zeitungsbericht, den ein guter Reporter über eine berühmte
Kammerrede niederschreibe. Es ist möglich, daß Sallust seine Darstellung nach
einer älteren Aufzeichnung gemacht hat, welche die Rede selbst oder doch ihren
Inhalt fixirte. Es ist möglich, aber wir wissen es nicht, und es ist uner¬
laubt, seine Worte als von Cäsar gesprochen anzuführen.

Die Betrachtungen, welche der Verfasser an die Rede und das Verhalten
Cäsars knüpft, sind lehrreich, obgleich in anderer Weise, als der Ver¬
fasser beabsichtigt. So aber spricht Napoleon der Dritte über Cäsar:
„Man kann sich leicht davon überzeugen, daß Cäsar kein Verschwörer war;
diese Anklage findet vielmehr in der Kleinmüthigkeit der Einen und dem Groll
der Andern ihre Erklärung. Denn wer weiß es nicht, daß schwache Regierungen
in Augenblicken der Entscheidung jede Theilnahme für die Angeklagten als
Mitschuld ansehen und ihre Gegner mit Verläumdungen nicht schonen? Q. Catulus
und C. Piso waren von einem so glühenden Haß gegen ihn beseelt, daß sie
den Konsul bestürmt hatten, auch ihn in die gegen die Mitschuldigen Catilinas
gerichteten Verfolgungen hineinzuziehen. Cicero hatte widerstanden. Aber das
Gerüchtseiner Betheiligung am Complot hatte sich darum nicht weniger verbreitet und
war von der Menge der Misvergnügten mit Beflissenheit aufgenommen worden.
Cäsar gehörte nicht zu den Verschworenen; denn sonst hätte sein Einfluß ge¬
nügt, ihre Freisprechung mit Triumph zu erwirken. Er hatte ein zu hohes
Selbstgefühl und genoß zu große Achtung, um auf verstecktem Wege und mit
verwerflichen Mitteln zur Gewalt gelangen zu wollen. So ehrgeizig ein Man»
auch sei. er wird kein Verschwörer, wenn er sein Ziel mit gesetzlichen Mitteln
erreichen kann. Cäsar war des Consulates sehr sicher, und niemals verrieth
Ungeduld seinen Ehrgeiz. Ueberdies hatte er beständig einen ausgesprochenen
Widerwillen gegen den Bürgerkrieg an den Tag gelegt; und wie würde er sich
in eine gemeine Verschwörung mit verrufenen Leuten eingelassen haben, er, der
es zurückwies, mit Lepidus. der damals an der Spitze eines Herres stand, ge¬
meinschaftliche Sache zu machen?-Hätte Cicero den Cäsar für schuldig gehalten,
würde er gezögert haben ihn anzuklagen, während er sich nicht gescheut hatte,
eine so gewichtige Persönlichkeit wie Licinius Crassus mit Hilfe eines falschen
Zeugen zu verdächtigen? Wie hätte er wohl am Tage vor der Verurtheilung
dem Cäsar die Bewachung eines der Verschworenen anvertraut? Würde er ihn
später gerechtfertigt haben, als die Beschuldigung erneuert ward? Wenn endlich,
wie wir später von Plutarch hören werden. Cäsar lieber der Erste in einem
Dorfe der Alpen, als der zweite in Rom sein wollte, wie hätte er sich dazu
verstanden, der zweite neben Catilina zu sein?"

Was soll man zu solcher seichten und phrasenhaften Aburtheilung sagen?


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[0233] die Reden Heinrich des Vierten und Richard des Dritten in Shakespeares Tra¬ gödien beanspruchen, manche Rede in Thucydides ist wahrscheinlich ebenso zuver lässig, als der Zeitungsbericht, den ein guter Reporter über eine berühmte Kammerrede niederschreibe. Es ist möglich, daß Sallust seine Darstellung nach einer älteren Aufzeichnung gemacht hat, welche die Rede selbst oder doch ihren Inhalt fixirte. Es ist möglich, aber wir wissen es nicht, und es ist uner¬ laubt, seine Worte als von Cäsar gesprochen anzuführen. Die Betrachtungen, welche der Verfasser an die Rede und das Verhalten Cäsars knüpft, sind lehrreich, obgleich in anderer Weise, als der Ver¬ fasser beabsichtigt. So aber spricht Napoleon der Dritte über Cäsar: „Man kann sich leicht davon überzeugen, daß Cäsar kein Verschwörer war; diese Anklage findet vielmehr in der Kleinmüthigkeit der Einen und dem Groll der Andern ihre Erklärung. Denn wer weiß es nicht, daß schwache Regierungen in Augenblicken der Entscheidung jede Theilnahme für die Angeklagten als Mitschuld ansehen und ihre Gegner mit Verläumdungen nicht schonen? Q. Catulus und C. Piso waren von einem so glühenden Haß gegen ihn beseelt, daß sie den Konsul bestürmt hatten, auch ihn in die gegen die Mitschuldigen Catilinas gerichteten Verfolgungen hineinzuziehen. Cicero hatte widerstanden. Aber das Gerüchtseiner Betheiligung am Complot hatte sich darum nicht weniger verbreitet und war von der Menge der Misvergnügten mit Beflissenheit aufgenommen worden. Cäsar gehörte nicht zu den Verschworenen; denn sonst hätte sein Einfluß ge¬ nügt, ihre Freisprechung mit Triumph zu erwirken. Er hatte ein zu hohes Selbstgefühl und genoß zu große Achtung, um auf verstecktem Wege und mit verwerflichen Mitteln zur Gewalt gelangen zu wollen. So ehrgeizig ein Man» auch sei. er wird kein Verschwörer, wenn er sein Ziel mit gesetzlichen Mitteln erreichen kann. Cäsar war des Consulates sehr sicher, und niemals verrieth Ungeduld seinen Ehrgeiz. Ueberdies hatte er beständig einen ausgesprochenen Widerwillen gegen den Bürgerkrieg an den Tag gelegt; und wie würde er sich in eine gemeine Verschwörung mit verrufenen Leuten eingelassen haben, er, der es zurückwies, mit Lepidus. der damals an der Spitze eines Herres stand, ge¬ meinschaftliche Sache zu machen?-Hätte Cicero den Cäsar für schuldig gehalten, würde er gezögert haben ihn anzuklagen, während er sich nicht gescheut hatte, eine so gewichtige Persönlichkeit wie Licinius Crassus mit Hilfe eines falschen Zeugen zu verdächtigen? Wie hätte er wohl am Tage vor der Verurtheilung dem Cäsar die Bewachung eines der Verschworenen anvertraut? Würde er ihn später gerechtfertigt haben, als die Beschuldigung erneuert ward? Wenn endlich, wie wir später von Plutarch hören werden. Cäsar lieber der Erste in einem Dorfe der Alpen, als der zweite in Rom sein wollte, wie hätte er sich dazu verstanden, der zweite neben Catilina zu sein?" Was soll man zu solcher seichten und phrasenhaften Aburtheilung sagen? Greiijbole.i II. 186S. 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/233>, abgerufen am 26.06.2024.