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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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und am Ende der Sitzung einzelnen Senatsmitgliedern zu freiem Ge¬
wahrsam übergeben. Sowohl Cäsar als Crassus erhielten einen dieser Ge¬
fangenen zur Bewachung. Dieser Act des Vertrauens war zugleich eine
herbe Demüthigung und eine gelegte Falle. Wenn sie die Verhafteten dem
Senate bewahrten, verfeindeten sie sich mit der übrigen Rotte der Verschwörer,
wenn sie die Gefangenen entrinnen ließen, gaben sie ein Zeugniß gegen sich.
Auch mochte der Consul Cicero in der Stille überzeugt sein, daß die beiden
Häuser der Demokraten zugleich der sicherste Aufbewahrungsort waren, denn
er fürchtete auch verzweifelte Wagnisse ihrer Genossen. Dies kleine Ereigniß
war wohl die schlaueste politische Maßregel Ciceros und der Senatspartei.
Es war ein Meisterstreich, ebenso boshaft als klug, man erwies den Gegnern
das höchste Vertrauen, indem man sie am tiefsten demüthigte, und man setzte
sie in eine Lage, aus welcher sie ohne Einbuße kaum herauskommen konnten.

Es ist charakteristisch, wie Cäsar und Crassus sich aus der gefährlichen
Stellung, in welche sie durch den Sieg des Senates versetzt waren, heraus¬
halfen. Crassus kam gar nicht in die Senatssitzung, worin den Verschworenen
das Urtheil gesprochen wurde, Cäsar aber erschien und trat der Majorität mit
einer heitern Größe gegenüber, der nur die Ehrlichkeit fehlte.

Der Volkspartei wurde möglich und nöthig gemacht, den Catilina und
seine Gesellen aufzugeben, dessen Complot entdeckt und dem Zorn der Stadt
anheimgefallen war. Aber die ängstliche Sorgfalt, welche Cicero und die
Diplomaten des Senates anwendeten, den Namen Cäsars von der Anklage
freizuhalten, genügte doch nicht, zu verbergen, daß Cäsar seit Jahren mit
Catilina !im engen politischen EinVerständniß war, trotz den mehrjährigen
Mordplänen desselben, und daß er noch vor wenigen Wochen die Versuche be¬
waffneter Banden begünstigt hatte, welche dem Verbrecher das Konsulat schaffen
sollten. Die ehrlichen Eiferer wie Cato und die jungen Männer aus den
Kreisen der Kapitalisten, in diesen Wochen Ciceros Leibgarde, sprachen und
handelten nicht so vorsichtig wie ihr Consul; im Senat wurde dem Cäsar seine
Mitschuld vorgeworfen; als er aus der Sitzung trat, war sein Leben in Ge¬
fahr, und Cicero mußte ihn schützen. Cäsar selbst aber suchte in den Tagen
der Entscheidung sich aus dieser schwärzesten Periode seines politischen Lebens
in charakteristischer Weise herauszuheben.

Der Verfasser der Lebensgeschichte irrt allerdings gröblich, wenn er die
Rede Cäsars, welche Sallust mittheilt, für die wirklich gehaltene Rede Cäsars
hält. Sie ist ein stilistisches Kunstwerk Sallusts wie hundert ähnliche Reden
der griechischen und römischen Historiker. Wir müssen diesen Zusatz freier Er¬
findung bei allen Geschichtswerken des Alterthums in Kauf nehmen. Allerdings
ist die historische Bedeutung dieser Stilübungen nicht bei jedem Geschichtschreiber die¬
selbe. Viele Reden des Livius haben genau den historischen Werth, welchen etwa


und am Ende der Sitzung einzelnen Senatsmitgliedern zu freiem Ge¬
wahrsam übergeben. Sowohl Cäsar als Crassus erhielten einen dieser Ge¬
fangenen zur Bewachung. Dieser Act des Vertrauens war zugleich eine
herbe Demüthigung und eine gelegte Falle. Wenn sie die Verhafteten dem
Senate bewahrten, verfeindeten sie sich mit der übrigen Rotte der Verschwörer,
wenn sie die Gefangenen entrinnen ließen, gaben sie ein Zeugniß gegen sich.
Auch mochte der Consul Cicero in der Stille überzeugt sein, daß die beiden
Häuser der Demokraten zugleich der sicherste Aufbewahrungsort waren, denn
er fürchtete auch verzweifelte Wagnisse ihrer Genossen. Dies kleine Ereigniß
war wohl die schlaueste politische Maßregel Ciceros und der Senatspartei.
Es war ein Meisterstreich, ebenso boshaft als klug, man erwies den Gegnern
das höchste Vertrauen, indem man sie am tiefsten demüthigte, und man setzte
sie in eine Lage, aus welcher sie ohne Einbuße kaum herauskommen konnten.

Es ist charakteristisch, wie Cäsar und Crassus sich aus der gefährlichen
Stellung, in welche sie durch den Sieg des Senates versetzt waren, heraus¬
halfen. Crassus kam gar nicht in die Senatssitzung, worin den Verschworenen
das Urtheil gesprochen wurde, Cäsar aber erschien und trat der Majorität mit
einer heitern Größe gegenüber, der nur die Ehrlichkeit fehlte.

Der Volkspartei wurde möglich und nöthig gemacht, den Catilina und
seine Gesellen aufzugeben, dessen Complot entdeckt und dem Zorn der Stadt
anheimgefallen war. Aber die ängstliche Sorgfalt, welche Cicero und die
Diplomaten des Senates anwendeten, den Namen Cäsars von der Anklage
freizuhalten, genügte doch nicht, zu verbergen, daß Cäsar seit Jahren mit
Catilina !im engen politischen EinVerständniß war, trotz den mehrjährigen
Mordplänen desselben, und daß er noch vor wenigen Wochen die Versuche be¬
waffneter Banden begünstigt hatte, welche dem Verbrecher das Konsulat schaffen
sollten. Die ehrlichen Eiferer wie Cato und die jungen Männer aus den
Kreisen der Kapitalisten, in diesen Wochen Ciceros Leibgarde, sprachen und
handelten nicht so vorsichtig wie ihr Consul; im Senat wurde dem Cäsar seine
Mitschuld vorgeworfen; als er aus der Sitzung trat, war sein Leben in Ge¬
fahr, und Cicero mußte ihn schützen. Cäsar selbst aber suchte in den Tagen
der Entscheidung sich aus dieser schwärzesten Periode seines politischen Lebens
in charakteristischer Weise herauszuheben.

Der Verfasser der Lebensgeschichte irrt allerdings gröblich, wenn er die
Rede Cäsars, welche Sallust mittheilt, für die wirklich gehaltene Rede Cäsars
hält. Sie ist ein stilistisches Kunstwerk Sallusts wie hundert ähnliche Reden
der griechischen und römischen Historiker. Wir müssen diesen Zusatz freier Er¬
findung bei allen Geschichtswerken des Alterthums in Kauf nehmen. Allerdings
ist die historische Bedeutung dieser Stilübungen nicht bei jedem Geschichtschreiber die¬
selbe. Viele Reden des Livius haben genau den historischen Werth, welchen etwa


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[0232] und am Ende der Sitzung einzelnen Senatsmitgliedern zu freiem Ge¬ wahrsam übergeben. Sowohl Cäsar als Crassus erhielten einen dieser Ge¬ fangenen zur Bewachung. Dieser Act des Vertrauens war zugleich eine herbe Demüthigung und eine gelegte Falle. Wenn sie die Verhafteten dem Senate bewahrten, verfeindeten sie sich mit der übrigen Rotte der Verschwörer, wenn sie die Gefangenen entrinnen ließen, gaben sie ein Zeugniß gegen sich. Auch mochte der Consul Cicero in der Stille überzeugt sein, daß die beiden Häuser der Demokraten zugleich der sicherste Aufbewahrungsort waren, denn er fürchtete auch verzweifelte Wagnisse ihrer Genossen. Dies kleine Ereigniß war wohl die schlaueste politische Maßregel Ciceros und der Senatspartei. Es war ein Meisterstreich, ebenso boshaft als klug, man erwies den Gegnern das höchste Vertrauen, indem man sie am tiefsten demüthigte, und man setzte sie in eine Lage, aus welcher sie ohne Einbuße kaum herauskommen konnten. Es ist charakteristisch, wie Cäsar und Crassus sich aus der gefährlichen Stellung, in welche sie durch den Sieg des Senates versetzt waren, heraus¬ halfen. Crassus kam gar nicht in die Senatssitzung, worin den Verschworenen das Urtheil gesprochen wurde, Cäsar aber erschien und trat der Majorität mit einer heitern Größe gegenüber, der nur die Ehrlichkeit fehlte. Der Volkspartei wurde möglich und nöthig gemacht, den Catilina und seine Gesellen aufzugeben, dessen Complot entdeckt und dem Zorn der Stadt anheimgefallen war. Aber die ängstliche Sorgfalt, welche Cicero und die Diplomaten des Senates anwendeten, den Namen Cäsars von der Anklage freizuhalten, genügte doch nicht, zu verbergen, daß Cäsar seit Jahren mit Catilina !im engen politischen EinVerständniß war, trotz den mehrjährigen Mordplänen desselben, und daß er noch vor wenigen Wochen die Versuche be¬ waffneter Banden begünstigt hatte, welche dem Verbrecher das Konsulat schaffen sollten. Die ehrlichen Eiferer wie Cato und die jungen Männer aus den Kreisen der Kapitalisten, in diesen Wochen Ciceros Leibgarde, sprachen und handelten nicht so vorsichtig wie ihr Consul; im Senat wurde dem Cäsar seine Mitschuld vorgeworfen; als er aus der Sitzung trat, war sein Leben in Ge¬ fahr, und Cicero mußte ihn schützen. Cäsar selbst aber suchte in den Tagen der Entscheidung sich aus dieser schwärzesten Periode seines politischen Lebens in charakteristischer Weise herauszuheben. Der Verfasser der Lebensgeschichte irrt allerdings gröblich, wenn er die Rede Cäsars, welche Sallust mittheilt, für die wirklich gehaltene Rede Cäsars hält. Sie ist ein stilistisches Kunstwerk Sallusts wie hundert ähnliche Reden der griechischen und römischen Historiker. Wir müssen diesen Zusatz freier Er¬ findung bei allen Geschichtswerken des Alterthums in Kauf nehmen. Allerdings ist die historische Bedeutung dieser Stilübungen nicht bei jedem Geschichtschreiber die¬ selbe. Viele Reden des Livius haben genau den historischen Werth, welchen etwa

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/232>, abgerufen am 26.06.2024.