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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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strikteren Besitz der Herrschaft war, für Behandlung politischer Intriguen war
die Senatspartei doch gut geschult und die Führer -- die Consulare -- wußten,
ohne große Talente zu sein, doch gefährliche Situationen mit Takt und Routine
anzufassen. Sie empfanden vor der ausbrechenden Verschwörung ihre Schwäche und
die Meisten fühlten Furcht um Leben und Gut, sie thaten also, was in ihrer
Lage das Klügste war, sie beschlossen sofort die Verschwörung des Catilina von
den Intriguen der Volkspartei zu isoliren. Des Catilina und seiner Bande
mochten sie Meister werden, eine Verfolgung des Cäsar, des Crassus und der
gesammten Volkspartei bedrohte sie mit einer Gefahr, der sie sich nicht mehr
gewachsen fühlten. Die Einsichtsvolleren durften sogar einen blutigen Sieg über
die Volkspartei nicht wünschen, denn der Senat hätte nicht für sich, nur
für den Pompejus, den auch er fürchtete, gesiegt, er hätte diesem den erwünschtesten
und populärsten Vorwand gegeben, seine Legionen nach Rom zu führen und gegen
den Tempel des Senats aufzustellen, der Senat selbst hätte das neue König¬
thum in Rom eingeführt. Daß diese sehr berechtigte Rücksicht das Thun des
Senates leitete, ist nicht zu verkennen. Es war zuverlässig nicht Cicero allein,
der mit Advocatengewandtheit vermied, diejenigen zu Angeklagten zu machen, welche
ihm den Erfolg seiner Proceßsache verderben konnten, es war offenbar eine
Verabredung. Möglich sogar, daß uns unbekannte Privatverhandlungen mit
Cäsar und Crassus und den Tribunen der Volkspcirtei vorausgegangen sind,
nach denen die Demokraten den Catilina preiszugeben genöthigt waren. Wir
haben keinen Grund, der durch Plutarch erhaltenen Nachricht aus einer verlorenen
Rede Ciceros zu mißtrauen, daß Crassus dem Cicero einst bei Nacht eine Warnung
vor den Anschlägen zugehn ließ. Und fast lächerlich war jene Scene in der
Senatssitzung des leidenschaftlichen 4. December, als ein eingefangener Zeuge
den Crassus unter den Verschworenen nannte. Sogleich erhob sich im Senat
ein lautes Geschrei, welches die Namen, welche etwa noch zurück waren, abschnitt.
"Der Zeuge müsse abgeführt werden, er verkannte angesehene Männer." Daß L.Tar-
quinius kein falscher Zeuge war, den Cicero gedungen hatte, wie Crassus später
Murrte, ist klar; nicht weil Cicero zu redlich, sondern weil er doch viel zu klug
für solch elenden Kunstgriff war und nebenbei viel zu ängstlich bemüht, sich
vor übler Nachrede zu schützen. Hatte er doch sogar verweigert, privatim die
Briefe der Verschwörer, welche man den Allobrogen abgenommen, zu eröffnen,
er ließ dieselben, um jeden Verdacht einer Fälschung zu entfernen, mit ihren
Siegeln dem Senat vorlegen.

Catilina hatte die Stadt verlassen, er hatte sich die Beile der Konsuln
und die Victoren angemaßt und organisirte zwei Legionen, denen Verzweifelte
und Beutelustige zuströmten. Aber am Morgen des dritten December 691
wagte der Konsul Cicero seinen großen-Staatsstreich, er verhaftete zu Rom
die Häupter der Verschwörung. Sie wurden sogleich im Senat verhört


strikteren Besitz der Herrschaft war, für Behandlung politischer Intriguen war
die Senatspartei doch gut geschult und die Führer — die Consulare — wußten,
ohne große Talente zu sein, doch gefährliche Situationen mit Takt und Routine
anzufassen. Sie empfanden vor der ausbrechenden Verschwörung ihre Schwäche und
die Meisten fühlten Furcht um Leben und Gut, sie thaten also, was in ihrer
Lage das Klügste war, sie beschlossen sofort die Verschwörung des Catilina von
den Intriguen der Volkspartei zu isoliren. Des Catilina und seiner Bande
mochten sie Meister werden, eine Verfolgung des Cäsar, des Crassus und der
gesammten Volkspartei bedrohte sie mit einer Gefahr, der sie sich nicht mehr
gewachsen fühlten. Die Einsichtsvolleren durften sogar einen blutigen Sieg über
die Volkspartei nicht wünschen, denn der Senat hätte nicht für sich, nur
für den Pompejus, den auch er fürchtete, gesiegt, er hätte diesem den erwünschtesten
und populärsten Vorwand gegeben, seine Legionen nach Rom zu führen und gegen
den Tempel des Senats aufzustellen, der Senat selbst hätte das neue König¬
thum in Rom eingeführt. Daß diese sehr berechtigte Rücksicht das Thun des
Senates leitete, ist nicht zu verkennen. Es war zuverlässig nicht Cicero allein,
der mit Advocatengewandtheit vermied, diejenigen zu Angeklagten zu machen, welche
ihm den Erfolg seiner Proceßsache verderben konnten, es war offenbar eine
Verabredung. Möglich sogar, daß uns unbekannte Privatverhandlungen mit
Cäsar und Crassus und den Tribunen der Volkspcirtei vorausgegangen sind,
nach denen die Demokraten den Catilina preiszugeben genöthigt waren. Wir
haben keinen Grund, der durch Plutarch erhaltenen Nachricht aus einer verlorenen
Rede Ciceros zu mißtrauen, daß Crassus dem Cicero einst bei Nacht eine Warnung
vor den Anschlägen zugehn ließ. Und fast lächerlich war jene Scene in der
Senatssitzung des leidenschaftlichen 4. December, als ein eingefangener Zeuge
den Crassus unter den Verschworenen nannte. Sogleich erhob sich im Senat
ein lautes Geschrei, welches die Namen, welche etwa noch zurück waren, abschnitt.
„Der Zeuge müsse abgeführt werden, er verkannte angesehene Männer." Daß L.Tar-
quinius kein falscher Zeuge war, den Cicero gedungen hatte, wie Crassus später
Murrte, ist klar; nicht weil Cicero zu redlich, sondern weil er doch viel zu klug
für solch elenden Kunstgriff war und nebenbei viel zu ängstlich bemüht, sich
vor übler Nachrede zu schützen. Hatte er doch sogar verweigert, privatim die
Briefe der Verschwörer, welche man den Allobrogen abgenommen, zu eröffnen,
er ließ dieselben, um jeden Verdacht einer Fälschung zu entfernen, mit ihren
Siegeln dem Senat vorlegen.

Catilina hatte die Stadt verlassen, er hatte sich die Beile der Konsuln
und die Victoren angemaßt und organisirte zwei Legionen, denen Verzweifelte
und Beutelustige zuströmten. Aber am Morgen des dritten December 691
wagte der Konsul Cicero seinen großen-Staatsstreich, er verhaftete zu Rom
die Häupter der Verschwörung. Sie wurden sogleich im Senat verhört


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[0231] strikteren Besitz der Herrschaft war, für Behandlung politischer Intriguen war die Senatspartei doch gut geschult und die Führer — die Consulare — wußten, ohne große Talente zu sein, doch gefährliche Situationen mit Takt und Routine anzufassen. Sie empfanden vor der ausbrechenden Verschwörung ihre Schwäche und die Meisten fühlten Furcht um Leben und Gut, sie thaten also, was in ihrer Lage das Klügste war, sie beschlossen sofort die Verschwörung des Catilina von den Intriguen der Volkspartei zu isoliren. Des Catilina und seiner Bande mochten sie Meister werden, eine Verfolgung des Cäsar, des Crassus und der gesammten Volkspartei bedrohte sie mit einer Gefahr, der sie sich nicht mehr gewachsen fühlten. Die Einsichtsvolleren durften sogar einen blutigen Sieg über die Volkspartei nicht wünschen, denn der Senat hätte nicht für sich, nur für den Pompejus, den auch er fürchtete, gesiegt, er hätte diesem den erwünschtesten und populärsten Vorwand gegeben, seine Legionen nach Rom zu führen und gegen den Tempel des Senats aufzustellen, der Senat selbst hätte das neue König¬ thum in Rom eingeführt. Daß diese sehr berechtigte Rücksicht das Thun des Senates leitete, ist nicht zu verkennen. Es war zuverlässig nicht Cicero allein, der mit Advocatengewandtheit vermied, diejenigen zu Angeklagten zu machen, welche ihm den Erfolg seiner Proceßsache verderben konnten, es war offenbar eine Verabredung. Möglich sogar, daß uns unbekannte Privatverhandlungen mit Cäsar und Crassus und den Tribunen der Volkspcirtei vorausgegangen sind, nach denen die Demokraten den Catilina preiszugeben genöthigt waren. Wir haben keinen Grund, der durch Plutarch erhaltenen Nachricht aus einer verlorenen Rede Ciceros zu mißtrauen, daß Crassus dem Cicero einst bei Nacht eine Warnung vor den Anschlägen zugehn ließ. Und fast lächerlich war jene Scene in der Senatssitzung des leidenschaftlichen 4. December, als ein eingefangener Zeuge den Crassus unter den Verschworenen nannte. Sogleich erhob sich im Senat ein lautes Geschrei, welches die Namen, welche etwa noch zurück waren, abschnitt. „Der Zeuge müsse abgeführt werden, er verkannte angesehene Männer." Daß L.Tar- quinius kein falscher Zeuge war, den Cicero gedungen hatte, wie Crassus später Murrte, ist klar; nicht weil Cicero zu redlich, sondern weil er doch viel zu klug für solch elenden Kunstgriff war und nebenbei viel zu ängstlich bemüht, sich vor übler Nachrede zu schützen. Hatte er doch sogar verweigert, privatim die Briefe der Verschwörer, welche man den Allobrogen abgenommen, zu eröffnen, er ließ dieselben, um jeden Verdacht einer Fälschung zu entfernen, mit ihren Siegeln dem Senat vorlegen. Catilina hatte die Stadt verlassen, er hatte sich die Beile der Konsuln und die Victoren angemaßt und organisirte zwei Legionen, denen Verzweifelte und Beutelustige zuströmten. Aber am Morgen des dritten December 691 wagte der Konsul Cicero seinen großen-Staatsstreich, er verhaftete zu Rom die Häupter der Verschwörung. Sie wurden sogleich im Senat verhört

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/231>, abgerufen am 26.06.2024.