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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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als einmal geschehn, daß hartgesottener Egoismus populäre Zeitideen im
Munde geführt, dadurch die Menge getäuscht und aus einige Zeit Erfolge
erreicht hat. Auch der Jdeenärmste findet Phrasen, und keine Idee ist ruchloser
gemißbraucht worden als die große Idee der Demokratie. Kein Zweifel, daß
auch Catilina für die waghalsige Jugend, für die Veteranen und Provin-
zialen lockende Stichwörter hatte, welche einfache und vertrauungslustige Leute
täuschen konnten. Der unerträgliche Hochmuth der regierenden Kaste sollte ge¬
brochen werden, große Getreidespenden und Aecker sollten unter die Armen
vertheilt werden. Veteranen des Marius zeigte er, den silbernen Legionsadler
des alten Feldherrn, --er, der die Anhänger ihres Feldherrn getödtet und beraubt
hatte. -- den Leuten in der Provinz versprach er die drückende Herrschaft der
Stadt Rom zu brechen. Wann hätte es je an solchen Ideen gefehlt! Aber
nichts in seinem Leben berechtigt uns zu der Ansicht, daß er wirklich ein Politiker
war, dem das Herz von einem großen politischen Gedanken gehoben wurde,
der überzeugt war, daß sein Erfolg ein Glück für den Staat und für das
Gedeihen desselben nothwendig sei. Die Erfolge seines Privatlebens hatte er
im rohen Kampf gegen das bürgerliche Gesetz gesucht, in seinem politischen
Leben war er ein Mörder unter den Adlern Sullas, dann Renegat und ein
Verschwörer vor dem Adler des Marius, dessen Freunde er umgebracht, dessen
Vetter er verstümmelt und geschlachtet hatte. Einem solchen Individuum zu¬
trauen, daß es für eine große Idee lebe, ist allzu gutherzig. Auch das rück¬
sichtsvoll temperirte Urtheil, welches Cicero in späteren Jahren über Catilina
fallen läßt, hätte der Verfasser nicht für sich anführen sollen. In der That be¬
stätigen diese Phrasen Ciceros nur, was wir auch sonst wissen, und selbst wenn
sie etwas Anderes aussagten, Cicero war in der Politik weder consequent noch
beherzt, er litt damals (698) schwer unter der UnPopularität, welche ihm die
ungesetzliche Hinrichtung der Verschworenen zugezogen hatte, ihm war damals
Angst vor Pompejus und Angst vor Cäsar und dessen Stadtanhängern, unter
denen mancher alte Spießgeselle des Catilina sich gegen ihn rührte, das erklärt
zur Genüge seine geschraubten Sätze. Wenn der Verfasser gar noch eine Be¬
stätigung seiner Ansicht darin findet, daß auch Napoleon der Erste den Catilina
nicht für ganz schlecht gehalten habe, so möchten wir nur ungern gegen ein
solches Familiengefühl polemisiren, aber verhehlt soll doch nicht werden, daß die
Urtheile Napoleons des Ersten über Cäsar und seine Zeit zuweilen scharfsinnig
und geistvoll, häufig schief, immer flüchtig sind, wenig geeignet als Autorität
angeführt zu werden.

Jedoch das Urtheil des Verfassers über Catilina ist es nicht, was in
seiner Schilderung der Verschwörung am meisten befremdet. Noch unsicherer
ist, was er über Cäsars Stellung in jener Katastrophe sagt.

Der Verlauf der Verschwörung und ihrer Entdeckung darf hier als bekannt


als einmal geschehn, daß hartgesottener Egoismus populäre Zeitideen im
Munde geführt, dadurch die Menge getäuscht und aus einige Zeit Erfolge
erreicht hat. Auch der Jdeenärmste findet Phrasen, und keine Idee ist ruchloser
gemißbraucht worden als die große Idee der Demokratie. Kein Zweifel, daß
auch Catilina für die waghalsige Jugend, für die Veteranen und Provin-
zialen lockende Stichwörter hatte, welche einfache und vertrauungslustige Leute
täuschen konnten. Der unerträgliche Hochmuth der regierenden Kaste sollte ge¬
brochen werden, große Getreidespenden und Aecker sollten unter die Armen
vertheilt werden. Veteranen des Marius zeigte er, den silbernen Legionsadler
des alten Feldherrn, —er, der die Anhänger ihres Feldherrn getödtet und beraubt
hatte. — den Leuten in der Provinz versprach er die drückende Herrschaft der
Stadt Rom zu brechen. Wann hätte es je an solchen Ideen gefehlt! Aber
nichts in seinem Leben berechtigt uns zu der Ansicht, daß er wirklich ein Politiker
war, dem das Herz von einem großen politischen Gedanken gehoben wurde,
der überzeugt war, daß sein Erfolg ein Glück für den Staat und für das
Gedeihen desselben nothwendig sei. Die Erfolge seines Privatlebens hatte er
im rohen Kampf gegen das bürgerliche Gesetz gesucht, in seinem politischen
Leben war er ein Mörder unter den Adlern Sullas, dann Renegat und ein
Verschwörer vor dem Adler des Marius, dessen Freunde er umgebracht, dessen
Vetter er verstümmelt und geschlachtet hatte. Einem solchen Individuum zu¬
trauen, daß es für eine große Idee lebe, ist allzu gutherzig. Auch das rück¬
sichtsvoll temperirte Urtheil, welches Cicero in späteren Jahren über Catilina
fallen läßt, hätte der Verfasser nicht für sich anführen sollen. In der That be¬
stätigen diese Phrasen Ciceros nur, was wir auch sonst wissen, und selbst wenn
sie etwas Anderes aussagten, Cicero war in der Politik weder consequent noch
beherzt, er litt damals (698) schwer unter der UnPopularität, welche ihm die
ungesetzliche Hinrichtung der Verschworenen zugezogen hatte, ihm war damals
Angst vor Pompejus und Angst vor Cäsar und dessen Stadtanhängern, unter
denen mancher alte Spießgeselle des Catilina sich gegen ihn rührte, das erklärt
zur Genüge seine geschraubten Sätze. Wenn der Verfasser gar noch eine Be¬
stätigung seiner Ansicht darin findet, daß auch Napoleon der Erste den Catilina
nicht für ganz schlecht gehalten habe, so möchten wir nur ungern gegen ein
solches Familiengefühl polemisiren, aber verhehlt soll doch nicht werden, daß die
Urtheile Napoleons des Ersten über Cäsar und seine Zeit zuweilen scharfsinnig
und geistvoll, häufig schief, immer flüchtig sind, wenig geeignet als Autorität
angeführt zu werden.

Jedoch das Urtheil des Verfassers über Catilina ist es nicht, was in
seiner Schilderung der Verschwörung am meisten befremdet. Noch unsicherer
ist, was er über Cäsars Stellung in jener Katastrophe sagt.

Der Verlauf der Verschwörung und ihrer Entdeckung darf hier als bekannt


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[0229] als einmal geschehn, daß hartgesottener Egoismus populäre Zeitideen im Munde geführt, dadurch die Menge getäuscht und aus einige Zeit Erfolge erreicht hat. Auch der Jdeenärmste findet Phrasen, und keine Idee ist ruchloser gemißbraucht worden als die große Idee der Demokratie. Kein Zweifel, daß auch Catilina für die waghalsige Jugend, für die Veteranen und Provin- zialen lockende Stichwörter hatte, welche einfache und vertrauungslustige Leute täuschen konnten. Der unerträgliche Hochmuth der regierenden Kaste sollte ge¬ brochen werden, große Getreidespenden und Aecker sollten unter die Armen vertheilt werden. Veteranen des Marius zeigte er, den silbernen Legionsadler des alten Feldherrn, —er, der die Anhänger ihres Feldherrn getödtet und beraubt hatte. — den Leuten in der Provinz versprach er die drückende Herrschaft der Stadt Rom zu brechen. Wann hätte es je an solchen Ideen gefehlt! Aber nichts in seinem Leben berechtigt uns zu der Ansicht, daß er wirklich ein Politiker war, dem das Herz von einem großen politischen Gedanken gehoben wurde, der überzeugt war, daß sein Erfolg ein Glück für den Staat und für das Gedeihen desselben nothwendig sei. Die Erfolge seines Privatlebens hatte er im rohen Kampf gegen das bürgerliche Gesetz gesucht, in seinem politischen Leben war er ein Mörder unter den Adlern Sullas, dann Renegat und ein Verschwörer vor dem Adler des Marius, dessen Freunde er umgebracht, dessen Vetter er verstümmelt und geschlachtet hatte. Einem solchen Individuum zu¬ trauen, daß es für eine große Idee lebe, ist allzu gutherzig. Auch das rück¬ sichtsvoll temperirte Urtheil, welches Cicero in späteren Jahren über Catilina fallen läßt, hätte der Verfasser nicht für sich anführen sollen. In der That be¬ stätigen diese Phrasen Ciceros nur, was wir auch sonst wissen, und selbst wenn sie etwas Anderes aussagten, Cicero war in der Politik weder consequent noch beherzt, er litt damals (698) schwer unter der UnPopularität, welche ihm die ungesetzliche Hinrichtung der Verschworenen zugezogen hatte, ihm war damals Angst vor Pompejus und Angst vor Cäsar und dessen Stadtanhängern, unter denen mancher alte Spießgeselle des Catilina sich gegen ihn rührte, das erklärt zur Genüge seine geschraubten Sätze. Wenn der Verfasser gar noch eine Be¬ stätigung seiner Ansicht darin findet, daß auch Napoleon der Erste den Catilina nicht für ganz schlecht gehalten habe, so möchten wir nur ungern gegen ein solches Familiengefühl polemisiren, aber verhehlt soll doch nicht werden, daß die Urtheile Napoleons des Ersten über Cäsar und seine Zeit zuweilen scharfsinnig und geistvoll, häufig schief, immer flüchtig sind, wenig geeignet als Autorität angeführt zu werden. Jedoch das Urtheil des Verfassers über Catilina ist es nicht, was in seiner Schilderung der Verschwörung am meisten befremdet. Noch unsicherer ist, was er über Cäsars Stellung in jener Katastrophe sagt. Der Verlauf der Verschwörung und ihrer Entdeckung darf hier als bekannt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/229>, abgerufen am 26.06.2024.