Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.sündige Erde herabgeblickt hat? Oder sind sie aus der Feder eines wackern sündige Erde herabgeblickt hat? Oder sind sie aus der Feder eines wackern <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0228" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283025"/> <p xml:id="ID_740" prev="#ID_739" next="#ID_741"> sündige Erde herabgeblickt hat? Oder sind sie aus der Feder eines wackern<lb/> deutschen Kleinstädters geflossen, der mit vertrauensvollen Herzen die Gemüth¬<lb/> lichkeit seiner Trinkgevattern auf die alten Römer überträgt, und den Cicero<lb/> mit seinem wohlbeleibten Bürgermeister vergleicht, den Catilina aber mit dem<lb/> unzufriedenen Führer der Stadtverordneten? Zuverlässig dachte Catilina nicht<lb/> daran, „alles mit Feuer und Schwert zu vertilgen", zuverlässig wünschte er,<lb/> daß für ihn und seine Gesellen noch ein gutes Theil des Bestehenden übrig<lb/> bleibe, wer herrschen will, will nicht Fürstin einer menschenleeren Einöde sein.<lb/> Wenn er genöthigt war, einige Quartiere des alten winkligen Roms anzustecken,<lb/> so hegte er doch sicher den Plan, sie dereinst weit schöner wieder aufzu¬<lb/> bauen, auch dabei konnten seine Anhänger große Summen verdienen, und er<lb/> selbst konnte auf die neuen Tempel und Hallen seinen Namen einmeißeln. Aber<lb/> der Verfasser hält auch für zweifelhaft, daß sich Catilina in seiner Jugend an<lb/> den Morden des Sulla betheiligt und mit übelberüchtigten Leuten Gemeinschaft<lb/> gehabt, denn man weiß ja, wie übermäßig'die Sieger den Besiegten verläumden-<lb/> Diese Art Zweifel macht dem Herzen des Verfassers alle Ehre, aber wer<lb/> historische Zeugnisse so behandelt, der ist zu bedenklich, um überhaupt Geschichte<lb/> zu schreiben. Denn die Nachricht, daß Catilina das Schlechte gethan hat, ist<lb/> genau ebenso sicher als der Bericht, daß er überhaupt gelebt hat. Wenn der<lb/> Verfasser die Hälfte bezweifelt, warum nicht das Ganze? Dann ist auch unsicher, daß<lb/> Catilina überhaupt gelebt hat. Freilich behauptet der Verfasser im nächsten Satz<lb/> wieder, daß Catilina die Laster, die man sich gefiel ihm „aufzubürden", zwar besaß,<lb/> daß aber viele andere auch nicht besser waren. Das ist möglich. Wir haben<lb/> Von den Clodius, Curio, Milo und andern Anhängern des Cäsar und Pompejus<lb/> eine sehr schlechte Meinung, sie gehörten zu dem großen Haufen der Verdorbener,<lb/> und Ruchlosen, und wenn Catilina sich begnügt hätte, wie sie zu rauben, Ein¬<lb/> zelnen bei Nacht aufzulauern und durch seine Fechterbanden die Kreuzwege und<lb/> die Straßenecken unsicher zu machen, so würde der Geschichtschreiber keine große<lb/> Ursache haben, ihn vor seines Gleichen auszuzeichnen und Catilina würde,<lb/> da doch auch unter diesem vornehmen Gesindel eine gewisse Stufenreihe der<lb/> Verworfenheit erkennbar ist, sich mit dem bescheidenen Ruhme begnügen müssen,<lb/> unter schlechten Buben einer der schlechtesten zu sein. Was ihn auszeichnete,<lb/> ist grübe die Frechheit, welche gegen etwas zu freveln wagte, das höher steht,<lb/> als das Leben jedes einzelnen Bürgers, gegen den Staat selbst. Er war nicht<lb/> blos ein gemeiner Kehlabschneider, sondern ein Schurke von höherer Potenz.<lb/> „Das ist unmöglich," sagt der Verfasser, „wie konnte er für seine Sache so<lb/> Viele Persönlichkeiten gewinnen und begeistern, ohne eine große und hochherzige<lb/> Idee zu verkünden." Bescheiden wagen wir die Antwort, daß in der Welt¬<lb/> geschichte solche Männer nicht unerhört sind, welche große und hochherzige<lb/> Ideen verkünden, ohne selbst daran zu glauben. Es ist, wie uns dünkt, mehr</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0228]
sündige Erde herabgeblickt hat? Oder sind sie aus der Feder eines wackern
deutschen Kleinstädters geflossen, der mit vertrauensvollen Herzen die Gemüth¬
lichkeit seiner Trinkgevattern auf die alten Römer überträgt, und den Cicero
mit seinem wohlbeleibten Bürgermeister vergleicht, den Catilina aber mit dem
unzufriedenen Führer der Stadtverordneten? Zuverlässig dachte Catilina nicht
daran, „alles mit Feuer und Schwert zu vertilgen", zuverlässig wünschte er,
daß für ihn und seine Gesellen noch ein gutes Theil des Bestehenden übrig
bleibe, wer herrschen will, will nicht Fürstin einer menschenleeren Einöde sein.
Wenn er genöthigt war, einige Quartiere des alten winkligen Roms anzustecken,
so hegte er doch sicher den Plan, sie dereinst weit schöner wieder aufzu¬
bauen, auch dabei konnten seine Anhänger große Summen verdienen, und er
selbst konnte auf die neuen Tempel und Hallen seinen Namen einmeißeln. Aber
der Verfasser hält auch für zweifelhaft, daß sich Catilina in seiner Jugend an
den Morden des Sulla betheiligt und mit übelberüchtigten Leuten Gemeinschaft
gehabt, denn man weiß ja, wie übermäßig'die Sieger den Besiegten verläumden-
Diese Art Zweifel macht dem Herzen des Verfassers alle Ehre, aber wer
historische Zeugnisse so behandelt, der ist zu bedenklich, um überhaupt Geschichte
zu schreiben. Denn die Nachricht, daß Catilina das Schlechte gethan hat, ist
genau ebenso sicher als der Bericht, daß er überhaupt gelebt hat. Wenn der
Verfasser die Hälfte bezweifelt, warum nicht das Ganze? Dann ist auch unsicher, daß
Catilina überhaupt gelebt hat. Freilich behauptet der Verfasser im nächsten Satz
wieder, daß Catilina die Laster, die man sich gefiel ihm „aufzubürden", zwar besaß,
daß aber viele andere auch nicht besser waren. Das ist möglich. Wir haben
Von den Clodius, Curio, Milo und andern Anhängern des Cäsar und Pompejus
eine sehr schlechte Meinung, sie gehörten zu dem großen Haufen der Verdorbener,
und Ruchlosen, und wenn Catilina sich begnügt hätte, wie sie zu rauben, Ein¬
zelnen bei Nacht aufzulauern und durch seine Fechterbanden die Kreuzwege und
die Straßenecken unsicher zu machen, so würde der Geschichtschreiber keine große
Ursache haben, ihn vor seines Gleichen auszuzeichnen und Catilina würde,
da doch auch unter diesem vornehmen Gesindel eine gewisse Stufenreihe der
Verworfenheit erkennbar ist, sich mit dem bescheidenen Ruhme begnügen müssen,
unter schlechten Buben einer der schlechtesten zu sein. Was ihn auszeichnete,
ist grübe die Frechheit, welche gegen etwas zu freveln wagte, das höher steht,
als das Leben jedes einzelnen Bürgers, gegen den Staat selbst. Er war nicht
blos ein gemeiner Kehlabschneider, sondern ein Schurke von höherer Potenz.
„Das ist unmöglich," sagt der Verfasser, „wie konnte er für seine Sache so
Viele Persönlichkeiten gewinnen und begeistern, ohne eine große und hochherzige
Idee zu verkünden." Bescheiden wagen wir die Antwort, daß in der Welt¬
geschichte solche Männer nicht unerhört sind, welche große und hochherzige
Ideen verkünden, ohne selbst daran zu glauben. Es ist, wie uns dünkt, mehr
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