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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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und anderer Verbrechen schuldig gemacht; man hätte keine Ursache, seine Schuld
zu bezweifeln, wüßte man nicht, wie verschwenderisch mit Verleumdungen sieg¬
reiche politische Parteien gegen die Besiegten sind. Auch muß man zugeben,
daß er die Laster, die man sich gefiel ihm aufzubürden, mit gar vielen Männern
jener Zeit gemein hatte, unter andern mit Antonius, dem Kollegen des Cicero,
den dieser selbst später vertheidigte (Cicero war sogar Sachwalter des Catilina
gewesen). Mit hoher Einsicht begabt und von seltener Thatkraft, sonnte Ca¬
tilina kaum auf etwas so Unsinniges wie Mord und Brand ausgehn. Das
hieße über Trümmer und Gräber herrschen wollen. Die Wahrheit wird besser
aus dem Bilde hervortreten, das Cicero sieben Jahre später, nach Catilinas
Tode entwarf, als der große Redner, zu einer ruhigeren Würdigung gelangt,
den, welchen er früher so entstellt hatte, mit weniger düstern Farben malte.
"Dieser Catilina. ihr habt ihn, denk ich, nicht vergessen können, besaß, wenn
nicht die Wirklichkeit, wenigstens den Schein der größten Vorzüge. Seine
Gesellschaft bestand aus einer Rotte verderbter Menschen; aber er that, als wenn
er den achtungswerthesten Menschen ergeben sei. Wenn die Ausschweifung
mächtigen Reiz für ihn hatte, so warf er sich doch mit nicht geringerem Eifer
auf die Arbeit und die Geschäfte. Das Feuer der Leidenschaften verzehrte sein
Herz, aber er fand auch Geschmack an den Anstrengungen des Krieges. Nein,
ich glaube nicht, daß jemals ein Mann gelebt, der einen so unnatürlichen Ver¬
ein von so verschiedenen, so entgegengesetzten und in fortwährendem Kampf
begriffenen Leidenschaften und Anlagen gezeigt habe."

Und später ergänzt der Biograph Cäsars- dies sanfte Urtheil durch folgende
Worte: "Daß Catilina, wie alle Anstifter von Revolutionen, sich mit Leuten ver¬
bunden habe, die nichts zu verlieren und alles zu gewinnen hatten, läßt sich
nicht bestreiten; aber wie kann man glauben, daß die Mehrzahl seiner Mit¬
schuldigen aus lasterhaften Verbrechern bestanden habe?" -- "Daß Catilina ein
verderbter und grausamer Mensch von der Art des Marius und Sulla war.
ist glaublich, daß er durch Gewaltthat zur Herrschaft gelangen wollte, ist gewiß;
daß er aber für seine Sache so viele gewichtige Persönlichkeiten gewonnen, daß
er sie begeistert, daß er die Völker Italiens so tief aufgeregt hätte, ohne eine
große und hochherzige Idee zu verkündigen, das ist es, was man als unwahr¬
scheinlich bezeichnen muß."

"Er träumte eine revolutionäre Dictatur. den Untergang der oligarchischenPartei,
und, wie Dio Cassius sagt. (!) durchgreifende Veränderung der Staatsverfassung
und Aufstand der Bundesgenossen. Das Gelingen wäre dennoch ein Unglück
gewesen, ein dauerhaftes Gut kann niemals aus unreinen Händen hervorgehn."

Es wird schwer, ein unwilliges Erstaunen zu unterdrücken, wenn man diese
Worte liest. Hat sie ein kleiner Engel geschrieben, der in seinem weißen
Hemdchen noch in der Klippschule des Himmels sitzt und niemals auf unsere


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und anderer Verbrechen schuldig gemacht; man hätte keine Ursache, seine Schuld
zu bezweifeln, wüßte man nicht, wie verschwenderisch mit Verleumdungen sieg¬
reiche politische Parteien gegen die Besiegten sind. Auch muß man zugeben,
daß er die Laster, die man sich gefiel ihm aufzubürden, mit gar vielen Männern
jener Zeit gemein hatte, unter andern mit Antonius, dem Kollegen des Cicero,
den dieser selbst später vertheidigte (Cicero war sogar Sachwalter des Catilina
gewesen). Mit hoher Einsicht begabt und von seltener Thatkraft, sonnte Ca¬
tilina kaum auf etwas so Unsinniges wie Mord und Brand ausgehn. Das
hieße über Trümmer und Gräber herrschen wollen. Die Wahrheit wird besser
aus dem Bilde hervortreten, das Cicero sieben Jahre später, nach Catilinas
Tode entwarf, als der große Redner, zu einer ruhigeren Würdigung gelangt,
den, welchen er früher so entstellt hatte, mit weniger düstern Farben malte.
„Dieser Catilina. ihr habt ihn, denk ich, nicht vergessen können, besaß, wenn
nicht die Wirklichkeit, wenigstens den Schein der größten Vorzüge. Seine
Gesellschaft bestand aus einer Rotte verderbter Menschen; aber er that, als wenn
er den achtungswerthesten Menschen ergeben sei. Wenn die Ausschweifung
mächtigen Reiz für ihn hatte, so warf er sich doch mit nicht geringerem Eifer
auf die Arbeit und die Geschäfte. Das Feuer der Leidenschaften verzehrte sein
Herz, aber er fand auch Geschmack an den Anstrengungen des Krieges. Nein,
ich glaube nicht, daß jemals ein Mann gelebt, der einen so unnatürlichen Ver¬
ein von so verschiedenen, so entgegengesetzten und in fortwährendem Kampf
begriffenen Leidenschaften und Anlagen gezeigt habe."

Und später ergänzt der Biograph Cäsars- dies sanfte Urtheil durch folgende
Worte: „Daß Catilina, wie alle Anstifter von Revolutionen, sich mit Leuten ver¬
bunden habe, die nichts zu verlieren und alles zu gewinnen hatten, läßt sich
nicht bestreiten; aber wie kann man glauben, daß die Mehrzahl seiner Mit¬
schuldigen aus lasterhaften Verbrechern bestanden habe?" — „Daß Catilina ein
verderbter und grausamer Mensch von der Art des Marius und Sulla war.
ist glaublich, daß er durch Gewaltthat zur Herrschaft gelangen wollte, ist gewiß;
daß er aber für seine Sache so viele gewichtige Persönlichkeiten gewonnen, daß
er sie begeistert, daß er die Völker Italiens so tief aufgeregt hätte, ohne eine
große und hochherzige Idee zu verkündigen, das ist es, was man als unwahr¬
scheinlich bezeichnen muß."

„Er träumte eine revolutionäre Dictatur. den Untergang der oligarchischenPartei,
und, wie Dio Cassius sagt. (!) durchgreifende Veränderung der Staatsverfassung
und Aufstand der Bundesgenossen. Das Gelingen wäre dennoch ein Unglück
gewesen, ein dauerhaftes Gut kann niemals aus unreinen Händen hervorgehn."

Es wird schwer, ein unwilliges Erstaunen zu unterdrücken, wenn man diese
Worte liest. Hat sie ein kleiner Engel geschrieben, der in seinem weißen
Hemdchen noch in der Klippschule des Himmels sitzt und niemals auf unsere


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[0227] und anderer Verbrechen schuldig gemacht; man hätte keine Ursache, seine Schuld zu bezweifeln, wüßte man nicht, wie verschwenderisch mit Verleumdungen sieg¬ reiche politische Parteien gegen die Besiegten sind. Auch muß man zugeben, daß er die Laster, die man sich gefiel ihm aufzubürden, mit gar vielen Männern jener Zeit gemein hatte, unter andern mit Antonius, dem Kollegen des Cicero, den dieser selbst später vertheidigte (Cicero war sogar Sachwalter des Catilina gewesen). Mit hoher Einsicht begabt und von seltener Thatkraft, sonnte Ca¬ tilina kaum auf etwas so Unsinniges wie Mord und Brand ausgehn. Das hieße über Trümmer und Gräber herrschen wollen. Die Wahrheit wird besser aus dem Bilde hervortreten, das Cicero sieben Jahre später, nach Catilinas Tode entwarf, als der große Redner, zu einer ruhigeren Würdigung gelangt, den, welchen er früher so entstellt hatte, mit weniger düstern Farben malte. „Dieser Catilina. ihr habt ihn, denk ich, nicht vergessen können, besaß, wenn nicht die Wirklichkeit, wenigstens den Schein der größten Vorzüge. Seine Gesellschaft bestand aus einer Rotte verderbter Menschen; aber er that, als wenn er den achtungswerthesten Menschen ergeben sei. Wenn die Ausschweifung mächtigen Reiz für ihn hatte, so warf er sich doch mit nicht geringerem Eifer auf die Arbeit und die Geschäfte. Das Feuer der Leidenschaften verzehrte sein Herz, aber er fand auch Geschmack an den Anstrengungen des Krieges. Nein, ich glaube nicht, daß jemals ein Mann gelebt, der einen so unnatürlichen Ver¬ ein von so verschiedenen, so entgegengesetzten und in fortwährendem Kampf begriffenen Leidenschaften und Anlagen gezeigt habe." Und später ergänzt der Biograph Cäsars- dies sanfte Urtheil durch folgende Worte: „Daß Catilina, wie alle Anstifter von Revolutionen, sich mit Leuten ver¬ bunden habe, die nichts zu verlieren und alles zu gewinnen hatten, läßt sich nicht bestreiten; aber wie kann man glauben, daß die Mehrzahl seiner Mit¬ schuldigen aus lasterhaften Verbrechern bestanden habe?" — „Daß Catilina ein verderbter und grausamer Mensch von der Art des Marius und Sulla war. ist glaublich, daß er durch Gewaltthat zur Herrschaft gelangen wollte, ist gewiß; daß er aber für seine Sache so viele gewichtige Persönlichkeiten gewonnen, daß er sie begeistert, daß er die Völker Italiens so tief aufgeregt hätte, ohne eine große und hochherzige Idee zu verkündigen, das ist es, was man als unwahr¬ scheinlich bezeichnen muß." „Er träumte eine revolutionäre Dictatur. den Untergang der oligarchischenPartei, und, wie Dio Cassius sagt. (!) durchgreifende Veränderung der Staatsverfassung und Aufstand der Bundesgenossen. Das Gelingen wäre dennoch ein Unglück gewesen, ein dauerhaftes Gut kann niemals aus unreinen Händen hervorgehn." Es wird schwer, ein unwilliges Erstaunen zu unterdrücken, wenn man diese Worte liest. Hat sie ein kleiner Engel geschrieben, der in seinem weißen Hemdchen noch in der Klippschule des Himmels sitzt und niemals auf unsere 27*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/227>, abgerufen am 26.06.2024.