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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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unbändiger, je mehr ihn die Gefahr umdrängte. Er war kein schlechter Redner,
im Umgange von einer sinnbethörenden Gewalt über Schwächere, zumal über
Jüngere, er wußte ihren Fehlern und Leidenschaften zu schmeicheln und unter¬
richtete sie mit dämonischer Kunst in den eleganten Lastern. Er schaffte ihnen
Mädchen, Jagdhunde und Rennpferde, leitete sie an ihr Geld zu vergeuden,
dann sich durch falsches Zeugniß und falsche Unterschrift Geld zu schaffen; er
lehrte sie gegebenes Wort, eigenes und fremdes Gut gering zu achten und die
Gefahr eines verdammenden Richterspruches zu verlachen, zuletzt ihren Gegnern
nachzustellen und sie geheim bei Seite zu schaffen. Wer von jungen Männern
in seine Gesellschaft kam, der galt in einer Zeit, wo der vornehmen Jugend
vieles Schlechte nachgesehn wurde, für unrettbar verloren. Ihn umgab ein
Schwarm von verarmten Mördern.. ,von Lüstlingen und hoffnungslosen Ver¬
brechern. Er that und lehrte das Böse wie aus Freude daran, um Abwechslung
in das träge Einerlei der Zeit zu bringen.

Bei alledem war er kein Politiker, kein kluger Mann. Wild und aus¬
schweifend war seine Phantasie, unstäte seine Gedanken, unbesonnen bei aller
Verstellung sein Thun. Er war unberechenbar und gefährlich als Verbündeter
und als Gegner. Vier Jahre conspirirte er und immer ward er im Anlauf
zurückgeworfen, jede Niederlage machte ihn toller und furiöser. Wie fascinirend
sein Wesen auf Unerfahrene wirkte, in der Heuchelei und Lüge, in Plänen und
immer neuen Anschlägen war kein anderes stetiges Ziel als die Befriedigung
seiner phantastischen Wallungen; nicht großer Ehrgeiz hob, ihn stachelte
die rohste Selbstsucht. Echt und dauerhaft war nur Eines in ihm, der trotzige
Muth und die Todesverachtung, das Erbe seines Ahnherren; aber es war mehr
der Muth eines Gladiators, als eines Feldherrn.

So etwa schildert die unheimliche Gestalt Sallust, und dasselbe Urtheil
klingt mit seltener Einstimmigkeit aus anderen Berichten der Zeitgenossen und
der folgenden Generation. Wenige Charaktere giebt es, deren Umrisse in der
Hauptsache so zweifellos sind, als die des bösen Mannes.

Wie aber erklärt der Biograph Cäsars das Wesen des Catilina? Es sei
erlaubt, seine Worte anzuführen.

"Zu jeglicher Gewaltthat bereit, träumte Catilina inmitten seiner Orgien
vom Sturz der Oligarchie, doch darf man zweifeln, daß er alles mit Feuer
und Schwert zu vertilgen beabsichtigte, wie Cicero behauptet und die meisten
Geschichtschreiber ihm nacherzählt haben. Von hoher Geburt, im Jahre 677
(das Jahr ist unsicher) Quästor, hatte er sich in Macedonien im Heere des
Curio ausgezeichnet (wir wissen nicht sicher, wo er diente); im Jahre 686 war
er Prätor gewesen und im folgenden Jahre Statthalter in Afüka. Man warf
ihm vor. er habe sich in seiner Jugend an den Morden des Sulla betheiligt,
mit den übelberüchtigtsten Leuten Gemeinschaft gehabt und sich der Blutschande


unbändiger, je mehr ihn die Gefahr umdrängte. Er war kein schlechter Redner,
im Umgange von einer sinnbethörenden Gewalt über Schwächere, zumal über
Jüngere, er wußte ihren Fehlern und Leidenschaften zu schmeicheln und unter¬
richtete sie mit dämonischer Kunst in den eleganten Lastern. Er schaffte ihnen
Mädchen, Jagdhunde und Rennpferde, leitete sie an ihr Geld zu vergeuden,
dann sich durch falsches Zeugniß und falsche Unterschrift Geld zu schaffen; er
lehrte sie gegebenes Wort, eigenes und fremdes Gut gering zu achten und die
Gefahr eines verdammenden Richterspruches zu verlachen, zuletzt ihren Gegnern
nachzustellen und sie geheim bei Seite zu schaffen. Wer von jungen Männern
in seine Gesellschaft kam, der galt in einer Zeit, wo der vornehmen Jugend
vieles Schlechte nachgesehn wurde, für unrettbar verloren. Ihn umgab ein
Schwarm von verarmten Mördern.. ,von Lüstlingen und hoffnungslosen Ver¬
brechern. Er that und lehrte das Böse wie aus Freude daran, um Abwechslung
in das träge Einerlei der Zeit zu bringen.

Bei alledem war er kein Politiker, kein kluger Mann. Wild und aus¬
schweifend war seine Phantasie, unstäte seine Gedanken, unbesonnen bei aller
Verstellung sein Thun. Er war unberechenbar und gefährlich als Verbündeter
und als Gegner. Vier Jahre conspirirte er und immer ward er im Anlauf
zurückgeworfen, jede Niederlage machte ihn toller und furiöser. Wie fascinirend
sein Wesen auf Unerfahrene wirkte, in der Heuchelei und Lüge, in Plänen und
immer neuen Anschlägen war kein anderes stetiges Ziel als die Befriedigung
seiner phantastischen Wallungen; nicht großer Ehrgeiz hob, ihn stachelte
die rohste Selbstsucht. Echt und dauerhaft war nur Eines in ihm, der trotzige
Muth und die Todesverachtung, das Erbe seines Ahnherren; aber es war mehr
der Muth eines Gladiators, als eines Feldherrn.

So etwa schildert die unheimliche Gestalt Sallust, und dasselbe Urtheil
klingt mit seltener Einstimmigkeit aus anderen Berichten der Zeitgenossen und
der folgenden Generation. Wenige Charaktere giebt es, deren Umrisse in der
Hauptsache so zweifellos sind, als die des bösen Mannes.

Wie aber erklärt der Biograph Cäsars das Wesen des Catilina? Es sei
erlaubt, seine Worte anzuführen.

„Zu jeglicher Gewaltthat bereit, träumte Catilina inmitten seiner Orgien
vom Sturz der Oligarchie, doch darf man zweifeln, daß er alles mit Feuer
und Schwert zu vertilgen beabsichtigte, wie Cicero behauptet und die meisten
Geschichtschreiber ihm nacherzählt haben. Von hoher Geburt, im Jahre 677
(das Jahr ist unsicher) Quästor, hatte er sich in Macedonien im Heere des
Curio ausgezeichnet (wir wissen nicht sicher, wo er diente); im Jahre 686 war
er Prätor gewesen und im folgenden Jahre Statthalter in Afüka. Man warf
ihm vor. er habe sich in seiner Jugend an den Morden des Sulla betheiligt,
mit den übelberüchtigtsten Leuten Gemeinschaft gehabt und sich der Blutschande


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[0226] unbändiger, je mehr ihn die Gefahr umdrängte. Er war kein schlechter Redner, im Umgange von einer sinnbethörenden Gewalt über Schwächere, zumal über Jüngere, er wußte ihren Fehlern und Leidenschaften zu schmeicheln und unter¬ richtete sie mit dämonischer Kunst in den eleganten Lastern. Er schaffte ihnen Mädchen, Jagdhunde und Rennpferde, leitete sie an ihr Geld zu vergeuden, dann sich durch falsches Zeugniß und falsche Unterschrift Geld zu schaffen; er lehrte sie gegebenes Wort, eigenes und fremdes Gut gering zu achten und die Gefahr eines verdammenden Richterspruches zu verlachen, zuletzt ihren Gegnern nachzustellen und sie geheim bei Seite zu schaffen. Wer von jungen Männern in seine Gesellschaft kam, der galt in einer Zeit, wo der vornehmen Jugend vieles Schlechte nachgesehn wurde, für unrettbar verloren. Ihn umgab ein Schwarm von verarmten Mördern.. ,von Lüstlingen und hoffnungslosen Ver¬ brechern. Er that und lehrte das Böse wie aus Freude daran, um Abwechslung in das träge Einerlei der Zeit zu bringen. Bei alledem war er kein Politiker, kein kluger Mann. Wild und aus¬ schweifend war seine Phantasie, unstäte seine Gedanken, unbesonnen bei aller Verstellung sein Thun. Er war unberechenbar und gefährlich als Verbündeter und als Gegner. Vier Jahre conspirirte er und immer ward er im Anlauf zurückgeworfen, jede Niederlage machte ihn toller und furiöser. Wie fascinirend sein Wesen auf Unerfahrene wirkte, in der Heuchelei und Lüge, in Plänen und immer neuen Anschlägen war kein anderes stetiges Ziel als die Befriedigung seiner phantastischen Wallungen; nicht großer Ehrgeiz hob, ihn stachelte die rohste Selbstsucht. Echt und dauerhaft war nur Eines in ihm, der trotzige Muth und die Todesverachtung, das Erbe seines Ahnherren; aber es war mehr der Muth eines Gladiators, als eines Feldherrn. So etwa schildert die unheimliche Gestalt Sallust, und dasselbe Urtheil klingt mit seltener Einstimmigkeit aus anderen Berichten der Zeitgenossen und der folgenden Generation. Wenige Charaktere giebt es, deren Umrisse in der Hauptsache so zweifellos sind, als die des bösen Mannes. Wie aber erklärt der Biograph Cäsars das Wesen des Catilina? Es sei erlaubt, seine Worte anzuführen. „Zu jeglicher Gewaltthat bereit, träumte Catilina inmitten seiner Orgien vom Sturz der Oligarchie, doch darf man zweifeln, daß er alles mit Feuer und Schwert zu vertilgen beabsichtigte, wie Cicero behauptet und die meisten Geschichtschreiber ihm nacherzählt haben. Von hoher Geburt, im Jahre 677 (das Jahr ist unsicher) Quästor, hatte er sich in Macedonien im Heere des Curio ausgezeichnet (wir wissen nicht sicher, wo er diente); im Jahre 686 war er Prätor gewesen und im folgenden Jahre Statthalter in Afüka. Man warf ihm vor. er habe sich in seiner Jugend an den Morden des Sulla betheiligt, mit den übelberüchtigtsten Leuten Gemeinschaft gehabt und sich der Blutschande

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/226>, abgerufen am 26.06.2024.