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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Lucius Catilina, der Urenkel jenes tapfern Marcus, besaß zwar noch ein
Haus in der aristokratischen Stadtgegend auf dem Palatin, aber seine Ver-
mögensverhältnisse waren tief zerrüttet, sein Leben durch eine gesetzlose Jugend
und alle Gräuel der Bürgerkriege besteckt. Er war einer der wildesten Blut.
Hunde des Sulla gewesen; unter den Mördern hatte er sich durch seine Raub¬
gier und scheußliche Grausamkeit hervorgethan. Er mordete seinen eigenen
Bruder, der gar nicht geächtet war, und ließ ihn durch Sulla nachträglich
ächten, er mordete den Gemahl seiner Schwester, den greisen Cäcilius, er
mordete die Ritter Titinius. Namüus, Tcmtasius. Volumnius, er ließ den
M. Marius Gratidianus, einen angesehenen und dem Volk werthen Mann,
auf das Grab des Catulus schleppen, welchen früher die Marianer ermordet
hatten, dort ließ er ihm die Augen ausstechen, die Ohren abschneiden, die
Glieder einzeln zerschmettern und abhauen, zur Sühne für die Manen des
Catulus. Das wußte die ganze Stadt, wahrscheinlich trug er seitdem den Bei¬
namen Catilina.*) Dann diente er im Heer und soll sich als tapferer Mann
gehalten haben. Er wurde Prätor und erhielt nach seinem Amtsjahr die Provinz
Afrika; noch war er nicht heimgekehrt, als schon eine Gesandtschaft aus der
Provinz beim Senat über seine Erpressungen klagte. Auch in dieser Zeit einer
immerhin größeren Gesetzlichkeit trieb er es arg. Er kam in Untersuchung wegen
Incest mit der Bestalln Fabia, aus ihm lastete der Verdacht, seinen eigenen
erwachsenen Sohn erdrosselt zu haben, um eine elegante aber liederliche Dame
zu heirathen. Wenn er durch die Straßen ging, mit blutlosen Antlitz, in dem
Angeben bösen Blick, mit ungleichem Schritt, bald hastig bald schleichend, las
das Volk in Miene und Geberde den Wahnsinn eines gottverdammter Ver¬
brechers. Trotz Raub und Erpressungen blieben seine Vnmögensverhältnisse
in wüster Unordnung. Man hielt dafür, daß ihm kein Verbrechen zu schwarz war,
wenn er darauf ausging seine Leidenschaften zu befriedigen, und daß es keine Aus¬
schweifung gab, der er nicht fröhnte. Aber derselbe Mann hatte einen eisernen, fast
unzerstörbaren Körper, " vermochte, wenn es Noth that, Anstrengungen und Ent¬
behrungen zu ertragen wie kein Anderer, sein Geist war verschlagen, waghalsig,
hinterhaltig, voll wilder Pläne, nach dem Höchsten begierig; wie er keine
Scrupel kannte, so kannte er auch keine Furcht, sein Trotz erhob sich nur um so



allerdings nicht überliefert, wiewohl er und seine Processe mehrfach erwähnt werden. Aber die
Weise, in welcher sein jüngerer Zeitgenosse Varro und nach diesem Columella und Plinius seinen
Fischnamen vor dem entsprechenden des Licinius Murcina erwähnen, beweist, daß er ein vor¬
nehmer Mann, kein Emporkömmling war. Plebejische Sergier von irgendwelcher Bedeutung
kennen wir aus dieser Zeit nicht.
") Der Beiname Catilina, welche" der Verschwörer trug, bedeutet Hundefleisch. Die estulina
war alterthümliches Opferfleisch für die sacra einiger unheimlichen Nachtgöttinnen und Laren.
Die Mißlinge des Forums dachten bei diesem Namen sicher auch an das anklingende Wort
v-editio, Napflecker.
Grenzboten II. 1865. 27

Lucius Catilina, der Urenkel jenes tapfern Marcus, besaß zwar noch ein
Haus in der aristokratischen Stadtgegend auf dem Palatin, aber seine Ver-
mögensverhältnisse waren tief zerrüttet, sein Leben durch eine gesetzlose Jugend
und alle Gräuel der Bürgerkriege besteckt. Er war einer der wildesten Blut.
Hunde des Sulla gewesen; unter den Mördern hatte er sich durch seine Raub¬
gier und scheußliche Grausamkeit hervorgethan. Er mordete seinen eigenen
Bruder, der gar nicht geächtet war, und ließ ihn durch Sulla nachträglich
ächten, er mordete den Gemahl seiner Schwester, den greisen Cäcilius, er
mordete die Ritter Titinius. Namüus, Tcmtasius. Volumnius, er ließ den
M. Marius Gratidianus, einen angesehenen und dem Volk werthen Mann,
auf das Grab des Catulus schleppen, welchen früher die Marianer ermordet
hatten, dort ließ er ihm die Augen ausstechen, die Ohren abschneiden, die
Glieder einzeln zerschmettern und abhauen, zur Sühne für die Manen des
Catulus. Das wußte die ganze Stadt, wahrscheinlich trug er seitdem den Bei¬
namen Catilina.*) Dann diente er im Heer und soll sich als tapferer Mann
gehalten haben. Er wurde Prätor und erhielt nach seinem Amtsjahr die Provinz
Afrika; noch war er nicht heimgekehrt, als schon eine Gesandtschaft aus der
Provinz beim Senat über seine Erpressungen klagte. Auch in dieser Zeit einer
immerhin größeren Gesetzlichkeit trieb er es arg. Er kam in Untersuchung wegen
Incest mit der Bestalln Fabia, aus ihm lastete der Verdacht, seinen eigenen
erwachsenen Sohn erdrosselt zu haben, um eine elegante aber liederliche Dame
zu heirathen. Wenn er durch die Straßen ging, mit blutlosen Antlitz, in dem
Angeben bösen Blick, mit ungleichem Schritt, bald hastig bald schleichend, las
das Volk in Miene und Geberde den Wahnsinn eines gottverdammter Ver¬
brechers. Trotz Raub und Erpressungen blieben seine Vnmögensverhältnisse
in wüster Unordnung. Man hielt dafür, daß ihm kein Verbrechen zu schwarz war,
wenn er darauf ausging seine Leidenschaften zu befriedigen, und daß es keine Aus¬
schweifung gab, der er nicht fröhnte. Aber derselbe Mann hatte einen eisernen, fast
unzerstörbaren Körper, « vermochte, wenn es Noth that, Anstrengungen und Ent¬
behrungen zu ertragen wie kein Anderer, sein Geist war verschlagen, waghalsig,
hinterhaltig, voll wilder Pläne, nach dem Höchsten begierig; wie er keine
Scrupel kannte, so kannte er auch keine Furcht, sein Trotz erhob sich nur um so



allerdings nicht überliefert, wiewohl er und seine Processe mehrfach erwähnt werden. Aber die
Weise, in welcher sein jüngerer Zeitgenosse Varro und nach diesem Columella und Plinius seinen
Fischnamen vor dem entsprechenden des Licinius Murcina erwähnen, beweist, daß er ein vor¬
nehmer Mann, kein Emporkömmling war. Plebejische Sergier von irgendwelcher Bedeutung
kennen wir aus dieser Zeit nicht.
") Der Beiname Catilina, welche» der Verschwörer trug, bedeutet Hundefleisch. Die estulina
war alterthümliches Opferfleisch für die sacra einiger unheimlichen Nachtgöttinnen und Laren.
Die Mißlinge des Forums dachten bei diesem Namen sicher auch an das anklingende Wort
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[0225] Lucius Catilina, der Urenkel jenes tapfern Marcus, besaß zwar noch ein Haus in der aristokratischen Stadtgegend auf dem Palatin, aber seine Ver- mögensverhältnisse waren tief zerrüttet, sein Leben durch eine gesetzlose Jugend und alle Gräuel der Bürgerkriege besteckt. Er war einer der wildesten Blut. Hunde des Sulla gewesen; unter den Mördern hatte er sich durch seine Raub¬ gier und scheußliche Grausamkeit hervorgethan. Er mordete seinen eigenen Bruder, der gar nicht geächtet war, und ließ ihn durch Sulla nachträglich ächten, er mordete den Gemahl seiner Schwester, den greisen Cäcilius, er mordete die Ritter Titinius. Namüus, Tcmtasius. Volumnius, er ließ den M. Marius Gratidianus, einen angesehenen und dem Volk werthen Mann, auf das Grab des Catulus schleppen, welchen früher die Marianer ermordet hatten, dort ließ er ihm die Augen ausstechen, die Ohren abschneiden, die Glieder einzeln zerschmettern und abhauen, zur Sühne für die Manen des Catulus. Das wußte die ganze Stadt, wahrscheinlich trug er seitdem den Bei¬ namen Catilina.*) Dann diente er im Heer und soll sich als tapferer Mann gehalten haben. Er wurde Prätor und erhielt nach seinem Amtsjahr die Provinz Afrika; noch war er nicht heimgekehrt, als schon eine Gesandtschaft aus der Provinz beim Senat über seine Erpressungen klagte. Auch in dieser Zeit einer immerhin größeren Gesetzlichkeit trieb er es arg. Er kam in Untersuchung wegen Incest mit der Bestalln Fabia, aus ihm lastete der Verdacht, seinen eigenen erwachsenen Sohn erdrosselt zu haben, um eine elegante aber liederliche Dame zu heirathen. Wenn er durch die Straßen ging, mit blutlosen Antlitz, in dem Angeben bösen Blick, mit ungleichem Schritt, bald hastig bald schleichend, las das Volk in Miene und Geberde den Wahnsinn eines gottverdammter Ver¬ brechers. Trotz Raub und Erpressungen blieben seine Vnmögensverhältnisse in wüster Unordnung. Man hielt dafür, daß ihm kein Verbrechen zu schwarz war, wenn er darauf ausging seine Leidenschaften zu befriedigen, und daß es keine Aus¬ schweifung gab, der er nicht fröhnte. Aber derselbe Mann hatte einen eisernen, fast unzerstörbaren Körper, « vermochte, wenn es Noth that, Anstrengungen und Ent¬ behrungen zu ertragen wie kein Anderer, sein Geist war verschlagen, waghalsig, hinterhaltig, voll wilder Pläne, nach dem Höchsten begierig; wie er keine Scrupel kannte, so kannte er auch keine Furcht, sein Trotz erhob sich nur um so allerdings nicht überliefert, wiewohl er und seine Processe mehrfach erwähnt werden. Aber die Weise, in welcher sein jüngerer Zeitgenosse Varro und nach diesem Columella und Plinius seinen Fischnamen vor dem entsprechenden des Licinius Murcina erwähnen, beweist, daß er ein vor¬ nehmer Mann, kein Emporkömmling war. Plebejische Sergier von irgendwelcher Bedeutung kennen wir aus dieser Zeit nicht. ") Der Beiname Catilina, welche» der Verschwörer trug, bedeutet Hundefleisch. Die estulina war alterthümliches Opferfleisch für die sacra einiger unheimlichen Nachtgöttinnen und Laren. Die Mißlinge des Forums dachten bei diesem Namen sicher auch an das anklingende Wort v-editio, Napflecker. Grenzboten II. 1865. 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/225>, abgerufen am 26.06.2024.