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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Lucius Sergius Catilina stammte von einem der ältesten Herrengeschlechter
des römischen Bodens. Die Gens der Sergier gehörte, wie die Fabler, Aemi-
licr, Cornelier zu dem Kern der alten Lateiner. Nach ihr war in vorgeschicht¬
licher Zeit ein Gau der römischen Landschaft genannt und eine der besten
Olivenarten, welche die benachbarten Sabiner die Königsolive nannten, be¬
wahrte den Namen des Geschlechts seit den ersten Jahrhunderten, in welchen
die Feldherrn und Consuln des jungen Roms noch selbst ihre Keltern und Oel-
pressen beaufsichtigten. Unter den Patricierhäusern des blühenden Roms zählten
sie zu den Vornehmsten der Vornehmen; denn sie rühmten sich troischer Ab¬
kunft und daß ihr Ahnherr Sergestus als Gefährte des Aeneas im schwarzen
Meerschiff aus Ilium zum Tiberstrand gerudert war. Ein Haus dieses alten
Geschlechtes hatte im vierten Jahrhundert der Stadt die höchsten Staatsämter
bekleidet und wacker in den Vejenterkriegen gefochten, seine Söhne waren
Decemvirn, Consuln, Kriegstribunen gewesen und hatten den ehrenvollen Bei¬
namen: Sieger von Fidenä (?la<zriÄtss) geführt. Aber das war lange her,
das Geschlecht war allmälig heruntergekommen, lange Zeit war in den Ver¬
zeichnissen der höchsten Staatsbeamten kein Sergier verzeichnet worden. Endlich
hatte im zweiten punischen Kriege ein anderes Haus des Geschlechtes: "die
Stülpnassn" (Lili) einen Krieger gestellt, der unter den vielen Tapfern jener
harten Zeit einer der Tapfersten war. Marcus Sergius zog als armer Mann
in den Krieg, nur von einem Sklaven begleitet, er verlor in seiner zweiten
Campagne die rechte Hand, erhielt in zwei Feldzügen 23 Wunden, wurde zweimal
von Hannibal gefangen, zwanzig Monate mit Kette oder Strick an seinen
schwachen Füßen in feindlichem Verwahrsam gehalten, entfloh zweimal aus der Ge¬
fangenschaft. Kein Glied war noch kräftig, und doch diente er weiter, mit der
linken Hand kämpfte er noch in vier Schlachten, zweimal wurde ihm das Pferd
unter dem Leib erstochen, mit der eisernen Hand, die er sich machen ließ, be¬
freite er als Unterführer das belagerte Cremona, schützte Placentia, eroberte in
Gallien zwölfmal das Lager der Feinde. Als er nach dem Kriege zum Prätor
gewählt war und ihn seine College" als einen hinfälligen Mann beim Antritt
des Amtes von den heiligen Handlungen und dadurch von der Geschäftsführung
ausschließen wollten, berief er sich in einer Rede auf das Volk und zählte darin
beweglich seine Thaten und Leiden auf. Seine Nachkommen erreichten nicht seinen
Ruf, wieder kam seine Familie herab. Aber ein Sergier von anderer Art
beschäftigte zwei Generationen später die Feinschmecker Roms. Dieser führte
den Beinamen Goldfisch (Orata), weil er künstliche Fischzucht getrieben und
zuerst Austern gemästet hatte und durch den Verkauf derselben steinreich ge¬
worden war.*)



") Ob Orata aus patricischem Blut, oder von Freigelassenen des Geschlechts stammte, ist

Lucius Sergius Catilina stammte von einem der ältesten Herrengeschlechter
des römischen Bodens. Die Gens der Sergier gehörte, wie die Fabler, Aemi-
licr, Cornelier zu dem Kern der alten Lateiner. Nach ihr war in vorgeschicht¬
licher Zeit ein Gau der römischen Landschaft genannt und eine der besten
Olivenarten, welche die benachbarten Sabiner die Königsolive nannten, be¬
wahrte den Namen des Geschlechts seit den ersten Jahrhunderten, in welchen
die Feldherrn und Consuln des jungen Roms noch selbst ihre Keltern und Oel-
pressen beaufsichtigten. Unter den Patricierhäusern des blühenden Roms zählten
sie zu den Vornehmsten der Vornehmen; denn sie rühmten sich troischer Ab¬
kunft und daß ihr Ahnherr Sergestus als Gefährte des Aeneas im schwarzen
Meerschiff aus Ilium zum Tiberstrand gerudert war. Ein Haus dieses alten
Geschlechtes hatte im vierten Jahrhundert der Stadt die höchsten Staatsämter
bekleidet und wacker in den Vejenterkriegen gefochten, seine Söhne waren
Decemvirn, Consuln, Kriegstribunen gewesen und hatten den ehrenvollen Bei¬
namen: Sieger von Fidenä (?la<zriÄtss) geführt. Aber das war lange her,
das Geschlecht war allmälig heruntergekommen, lange Zeit war in den Ver¬
zeichnissen der höchsten Staatsbeamten kein Sergier verzeichnet worden. Endlich
hatte im zweiten punischen Kriege ein anderes Haus des Geschlechtes: „die
Stülpnassn" (Lili) einen Krieger gestellt, der unter den vielen Tapfern jener
harten Zeit einer der Tapfersten war. Marcus Sergius zog als armer Mann
in den Krieg, nur von einem Sklaven begleitet, er verlor in seiner zweiten
Campagne die rechte Hand, erhielt in zwei Feldzügen 23 Wunden, wurde zweimal
von Hannibal gefangen, zwanzig Monate mit Kette oder Strick an seinen
schwachen Füßen in feindlichem Verwahrsam gehalten, entfloh zweimal aus der Ge¬
fangenschaft. Kein Glied war noch kräftig, und doch diente er weiter, mit der
linken Hand kämpfte er noch in vier Schlachten, zweimal wurde ihm das Pferd
unter dem Leib erstochen, mit der eisernen Hand, die er sich machen ließ, be¬
freite er als Unterführer das belagerte Cremona, schützte Placentia, eroberte in
Gallien zwölfmal das Lager der Feinde. Als er nach dem Kriege zum Prätor
gewählt war und ihn seine College» als einen hinfälligen Mann beim Antritt
des Amtes von den heiligen Handlungen und dadurch von der Geschäftsführung
ausschließen wollten, berief er sich in einer Rede auf das Volk und zählte darin
beweglich seine Thaten und Leiden auf. Seine Nachkommen erreichten nicht seinen
Ruf, wieder kam seine Familie herab. Aber ein Sergier von anderer Art
beschäftigte zwei Generationen später die Feinschmecker Roms. Dieser führte
den Beinamen Goldfisch (Orata), weil er künstliche Fischzucht getrieben und
zuerst Austern gemästet hatte und durch den Verkauf derselben steinreich ge¬
worden war.*)



") Ob Orata aus patricischem Blut, oder von Freigelassenen des Geschlechts stammte, ist
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[0224] Lucius Sergius Catilina stammte von einem der ältesten Herrengeschlechter des römischen Bodens. Die Gens der Sergier gehörte, wie die Fabler, Aemi- licr, Cornelier zu dem Kern der alten Lateiner. Nach ihr war in vorgeschicht¬ licher Zeit ein Gau der römischen Landschaft genannt und eine der besten Olivenarten, welche die benachbarten Sabiner die Königsolive nannten, be¬ wahrte den Namen des Geschlechts seit den ersten Jahrhunderten, in welchen die Feldherrn und Consuln des jungen Roms noch selbst ihre Keltern und Oel- pressen beaufsichtigten. Unter den Patricierhäusern des blühenden Roms zählten sie zu den Vornehmsten der Vornehmen; denn sie rühmten sich troischer Ab¬ kunft und daß ihr Ahnherr Sergestus als Gefährte des Aeneas im schwarzen Meerschiff aus Ilium zum Tiberstrand gerudert war. Ein Haus dieses alten Geschlechtes hatte im vierten Jahrhundert der Stadt die höchsten Staatsämter bekleidet und wacker in den Vejenterkriegen gefochten, seine Söhne waren Decemvirn, Consuln, Kriegstribunen gewesen und hatten den ehrenvollen Bei¬ namen: Sieger von Fidenä (?la<zriÄtss) geführt. Aber das war lange her, das Geschlecht war allmälig heruntergekommen, lange Zeit war in den Ver¬ zeichnissen der höchsten Staatsbeamten kein Sergier verzeichnet worden. Endlich hatte im zweiten punischen Kriege ein anderes Haus des Geschlechtes: „die Stülpnassn" (Lili) einen Krieger gestellt, der unter den vielen Tapfern jener harten Zeit einer der Tapfersten war. Marcus Sergius zog als armer Mann in den Krieg, nur von einem Sklaven begleitet, er verlor in seiner zweiten Campagne die rechte Hand, erhielt in zwei Feldzügen 23 Wunden, wurde zweimal von Hannibal gefangen, zwanzig Monate mit Kette oder Strick an seinen schwachen Füßen in feindlichem Verwahrsam gehalten, entfloh zweimal aus der Ge¬ fangenschaft. Kein Glied war noch kräftig, und doch diente er weiter, mit der linken Hand kämpfte er noch in vier Schlachten, zweimal wurde ihm das Pferd unter dem Leib erstochen, mit der eisernen Hand, die er sich machen ließ, be¬ freite er als Unterführer das belagerte Cremona, schützte Placentia, eroberte in Gallien zwölfmal das Lager der Feinde. Als er nach dem Kriege zum Prätor gewählt war und ihn seine College» als einen hinfälligen Mann beim Antritt des Amtes von den heiligen Handlungen und dadurch von der Geschäftsführung ausschließen wollten, berief er sich in einer Rede auf das Volk und zählte darin beweglich seine Thaten und Leiden auf. Seine Nachkommen erreichten nicht seinen Ruf, wieder kam seine Familie herab. Aber ein Sergier von anderer Art beschäftigte zwei Generationen später die Feinschmecker Roms. Dieser führte den Beinamen Goldfisch (Orata), weil er künstliche Fischzucht getrieben und zuerst Austern gemästet hatte und durch den Verkauf derselben steinreich ge¬ worden war.*) ") Ob Orata aus patricischem Blut, oder von Freigelassenen des Geschlechts stammte, ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/224>, abgerufen am 05.12.2024.