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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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man selbst ihre Provinzen und Güter begehrte; das Wohl des Volkes, die
Größe der Republik, waren abgenutzte Phrasen, an welche nur noch Einzelne
glaubten. Die Familienbande waren gelockert, die Parteitreue selten, es konnte
rathsam sein, sich morgen mit dem Gegner von heut zu verbinden, oder
morgen seine Stimme zu geben, damit der Parteigenosse von heut auf eine
entlegeneJnsel verbannt werde.

Aber^um Me^rauschte der Strom eines üppigen, vergnügungssüchtigen
Lebens. Unter Festlichkeiten, öffentlichen Spielen und Trinkgelagen witzelte,
lachte und amüsirte man sich. Die bei demselben Gastmahl nebeneinander lagen
und einander über die Schulter Scherzredcn zuriefen und mit einander um die
Becherzahl würfelten, wußten, ^daß sie vielleicht einmal darauf denken würden,
einander die Kehle abzuschneiden oder dem Gastgeber sein Haus, sammt Misch¬
krug und goldenem Becherlein wegzunehmen. Der Gönner, durch welchen man
sich in die Höhe brachte, konnte in naher Zukunft ein gefährlicher Gegner sein,
es war zweifelhaft, ob man nach Jahr und Tag ihm beim Morgengrau in seinem
Atrium aufwarten oder auf der Straße bewaffnete Banden gegen ihn aussenden
würde. Bis dahin lachte man mit ihm über die Epigramme des jungen Catull
und rühmte die Feigenmast seiner Krammetsvögel und Gänselebern. Auch solche
Zeit der Unsicherheit, voll verwegener Pläne und raffinirten Genusses trägt
dazu bei, dem Urtheil über Andere eine kühle Objectivität und eine für unsere
Empfindung unheimliche Bonhommie zu geben, dem Urtheil über hervorragende
Personen etwas Festes, Typisches, wogegen wir uns nur in wenigen Fällen
zu wehren haben. Noch in der Kaiserzeit ist lange dieselbe virtuose Aus¬
bildung der öffentlichen Meinung auffallend. Noch lange blieb der Senat
und das Forum die große Schule für Menschenkenntniß und scharfe Beobachtung,
noch lange erfreut uns die Klarheit, Objectivität und Sicherheit in Würdigung
der Charaktere, und noch bei Tacitus empfindet man, daß die kurzen Striche,
mit denen er charakterisirt. die immer den Kern des Wesens in wenig Worten
erfassen, nicht von ihm allein gefunden, sondern durch die lebhafte Theilnahme
einer großen, geistigen Aristokratie festgestellt sind. Von da gehn freilich der
Geschichtschreibung diese Vorzüge verloren.

Unter allen Gestalten jener scharfsichtigen Periode ist keine einstimmiger
von den Zeitgenossen verurtheilt worden als Catilina. Volkspartei und Senats¬
partei geben genau dasselbe Bild; so groß war der Abscheu, daß die Sergier
noch unpopulär waren, als das Kaisergeschlecht der Julier und Claudier die
Missethaten der Republik durch die größeren Missethaten des Kaiserreiches fast
zu Tugenden erhoben hatte. Noch Plutarch, dessen wohlwollendes Herz und
milder Sinn zuweilen die Stumpfheit seiner Auffassung vergessen machen, nennt
den Catilina unter den drei gemeinschädlichsten Menschen^ welche er in der
ganzen Vergangenheit zu finden weiß.


man selbst ihre Provinzen und Güter begehrte; das Wohl des Volkes, die
Größe der Republik, waren abgenutzte Phrasen, an welche nur noch Einzelne
glaubten. Die Familienbande waren gelockert, die Parteitreue selten, es konnte
rathsam sein, sich morgen mit dem Gegner von heut zu verbinden, oder
morgen seine Stimme zu geben, damit der Parteigenosse von heut auf eine
entlegeneJnsel verbannt werde.

Aber^um Me^rauschte der Strom eines üppigen, vergnügungssüchtigen
Lebens. Unter Festlichkeiten, öffentlichen Spielen und Trinkgelagen witzelte,
lachte und amüsirte man sich. Die bei demselben Gastmahl nebeneinander lagen
und einander über die Schulter Scherzredcn zuriefen und mit einander um die
Becherzahl würfelten, wußten, ^daß sie vielleicht einmal darauf denken würden,
einander die Kehle abzuschneiden oder dem Gastgeber sein Haus, sammt Misch¬
krug und goldenem Becherlein wegzunehmen. Der Gönner, durch welchen man
sich in die Höhe brachte, konnte in naher Zukunft ein gefährlicher Gegner sein,
es war zweifelhaft, ob man nach Jahr und Tag ihm beim Morgengrau in seinem
Atrium aufwarten oder auf der Straße bewaffnete Banden gegen ihn aussenden
würde. Bis dahin lachte man mit ihm über die Epigramme des jungen Catull
und rühmte die Feigenmast seiner Krammetsvögel und Gänselebern. Auch solche
Zeit der Unsicherheit, voll verwegener Pläne und raffinirten Genusses trägt
dazu bei, dem Urtheil über Andere eine kühle Objectivität und eine für unsere
Empfindung unheimliche Bonhommie zu geben, dem Urtheil über hervorragende
Personen etwas Festes, Typisches, wogegen wir uns nur in wenigen Fällen
zu wehren haben. Noch in der Kaiserzeit ist lange dieselbe virtuose Aus¬
bildung der öffentlichen Meinung auffallend. Noch lange blieb der Senat
und das Forum die große Schule für Menschenkenntniß und scharfe Beobachtung,
noch lange erfreut uns die Klarheit, Objectivität und Sicherheit in Würdigung
der Charaktere, und noch bei Tacitus empfindet man, daß die kurzen Striche,
mit denen er charakterisirt. die immer den Kern des Wesens in wenig Worten
erfassen, nicht von ihm allein gefunden, sondern durch die lebhafte Theilnahme
einer großen, geistigen Aristokratie festgestellt sind. Von da gehn freilich der
Geschichtschreibung diese Vorzüge verloren.

Unter allen Gestalten jener scharfsichtigen Periode ist keine einstimmiger
von den Zeitgenossen verurtheilt worden als Catilina. Volkspartei und Senats¬
partei geben genau dasselbe Bild; so groß war der Abscheu, daß die Sergier
noch unpopulär waren, als das Kaisergeschlecht der Julier und Claudier die
Missethaten der Republik durch die größeren Missethaten des Kaiserreiches fast
zu Tugenden erhoben hatte. Noch Plutarch, dessen wohlwollendes Herz und
milder Sinn zuweilen die Stumpfheit seiner Auffassung vergessen machen, nennt
den Catilina unter den drei gemeinschädlichsten Menschen^ welche er in der
ganzen Vergangenheit zu finden weiß.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/223>, abgerufen am 26.06.2024.