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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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und ihre Motive wenig in dem Buche findet. Fast überall, wo wir ein
eigenes, originelles Urtheil erwarten, rauscht mißtönend das welke Laub der
Phrasen, grade da ist das Seichte, Unklare und Banate in der Auffassung peinlich.

An einem Beispiel soll das gezeigt werden. Kein Moment der römischen
Geschichte ist dazu besser geeignet als die Verschwörung des Catilina. Wir
sind darüber genauer unterrichtet, als über die meisten andern Trauerscenen
der untergehenden Republik. Die Reden und Briefe des Cicero und die kleine
Monographie des Sallust nebst den ergänzenden Nachrichten späterer Schrift¬
steller gestatten uns einen Einblick auch in Einzelheiten und geben eine so ge¬
naue Schilderung des dramatischen Verlaufes, wie aus Begebenheiten der nächst-
vergangenen Jahrhunderte nur etwa gute Memoiren oder die Gesandtschaftsberichte
der Venetianer und Niederländer.

Die beiden Hauptschriftsteller waren Zeitgenossen, Cicero, selbst Lenker
des Kampfes und der thätigste Gegner des Catilina, Sallust, zwar damals noch
ein junger Mann, aber wahrscheinlich schon in den Straßen Roms heimisch
und wohl bekannt mit Antlitz und Geberde und dem Ruf römischer
Politiker.*)

Es ist wahr, Sallust schrieb als Parteigänger Cäsars, das vermögen wir
noch in manchen Stellen seiner Schrift zu erkennen, aber fast nur daraus, daß
er Einzelnes verschweigt, was er sehr gut wußte. Bei allem, was er sagt, zu¬
meist aber bei seinem Urtheil über Charaktere und Ereignisse, welche in der
Oeffentlichkeit oder im Senat vor sich gingen, ist er -- von Gedächtnißfehlern
abgesehen -- ein höchst zuverlässiger Gewährsmann. Nicht weil sein glänzendes
Talent durch einen Charakter geadelt war, der besondere Hochachtung beansprucht,
sondern weil er unter dem Zwange einer Macht schrieb, die auch einem Partei-
süchtigen und leidenschaftlich Hassenden, was er nicht war, fast unübcrsieig-
liche Grenzen feste, unter dem Zwange der öffentlichen Meinung einer
großen Stadt, der damals nicht zu widersprechen war, wenn der Schreiber
sich nicht völlig discrcditiren wollte. Denn es hat bis auf die neue Zeit kaum
eine andere Periode der Weltgeschichte gegeben, wo das Urtheil der Zeitgenossen
über die handelnden Politiker so sicher und gcmeingiltig war, als in dem
letzten Jahrhundert der römischen Republik. Noch unsere schreibselige Zeit
ist in ihrer Auffassung der lebenden Fürsten und ihrer Staatsmänner weit un¬
sicherer als die öffentliche Meinung des alten Roms vor der Kaiserzeit. Der
Sohn aus einem Hause der Nobilität wuchs heran unter den Augen einer



') Sallust war im Jahr 691. als die Verschwörung zum Ausbruch kam, 23 Jahre alt.
Sie war der große Eindruck seiner Jugend, der ihn wohl von der Lectüre des Thuchdides in die
Irrwege der Politik trieb. Er muß gute Verbindungen gehabt haben; denn er war etwa acht
Jahre später Quäftor, im Jahr 701 Tribun und ein rühriger Intriguant der Volkspartei.

und ihre Motive wenig in dem Buche findet. Fast überall, wo wir ein
eigenes, originelles Urtheil erwarten, rauscht mißtönend das welke Laub der
Phrasen, grade da ist das Seichte, Unklare und Banate in der Auffassung peinlich.

An einem Beispiel soll das gezeigt werden. Kein Moment der römischen
Geschichte ist dazu besser geeignet als die Verschwörung des Catilina. Wir
sind darüber genauer unterrichtet, als über die meisten andern Trauerscenen
der untergehenden Republik. Die Reden und Briefe des Cicero und die kleine
Monographie des Sallust nebst den ergänzenden Nachrichten späterer Schrift¬
steller gestatten uns einen Einblick auch in Einzelheiten und geben eine so ge¬
naue Schilderung des dramatischen Verlaufes, wie aus Begebenheiten der nächst-
vergangenen Jahrhunderte nur etwa gute Memoiren oder die Gesandtschaftsberichte
der Venetianer und Niederländer.

Die beiden Hauptschriftsteller waren Zeitgenossen, Cicero, selbst Lenker
des Kampfes und der thätigste Gegner des Catilina, Sallust, zwar damals noch
ein junger Mann, aber wahrscheinlich schon in den Straßen Roms heimisch
und wohl bekannt mit Antlitz und Geberde und dem Ruf römischer
Politiker.*)

Es ist wahr, Sallust schrieb als Parteigänger Cäsars, das vermögen wir
noch in manchen Stellen seiner Schrift zu erkennen, aber fast nur daraus, daß
er Einzelnes verschweigt, was er sehr gut wußte. Bei allem, was er sagt, zu¬
meist aber bei seinem Urtheil über Charaktere und Ereignisse, welche in der
Oeffentlichkeit oder im Senat vor sich gingen, ist er — von Gedächtnißfehlern
abgesehen — ein höchst zuverlässiger Gewährsmann. Nicht weil sein glänzendes
Talent durch einen Charakter geadelt war, der besondere Hochachtung beansprucht,
sondern weil er unter dem Zwange einer Macht schrieb, die auch einem Partei-
süchtigen und leidenschaftlich Hassenden, was er nicht war, fast unübcrsieig-
liche Grenzen feste, unter dem Zwange der öffentlichen Meinung einer
großen Stadt, der damals nicht zu widersprechen war, wenn der Schreiber
sich nicht völlig discrcditiren wollte. Denn es hat bis auf die neue Zeit kaum
eine andere Periode der Weltgeschichte gegeben, wo das Urtheil der Zeitgenossen
über die handelnden Politiker so sicher und gcmeingiltig war, als in dem
letzten Jahrhundert der römischen Republik. Noch unsere schreibselige Zeit
ist in ihrer Auffassung der lebenden Fürsten und ihrer Staatsmänner weit un¬
sicherer als die öffentliche Meinung des alten Roms vor der Kaiserzeit. Der
Sohn aus einem Hause der Nobilität wuchs heran unter den Augen einer



') Sallust war im Jahr 691. als die Verschwörung zum Ausbruch kam, 23 Jahre alt.
Sie war der große Eindruck seiner Jugend, der ihn wohl von der Lectüre des Thuchdides in die
Irrwege der Politik trieb. Er muß gute Verbindungen gehabt haben; denn er war etwa acht
Jahre später Quäftor, im Jahr 701 Tribun und ein rühriger Intriguant der Volkspartei.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/221>, abgerufen am 26.06.2024.