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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Wissenschaft haben, hier darf Abneigung nicht beeinträchtigen und Zuneigung
nicht übertreiben; aber die ganze Tendenz des Werkes, sein eigener Geist,
soweit er daraus sichtbar wird, soll von uns gar nicht mit der Unbe¬
fangenheit beurtheilt werden, die wir mühelos einem unbekannten Verfasser
zutheilen.

Daß ein Fürst in so hervorragender Stellung ernsthaft an Lösung einer
wissenschaftlichen Aufgabe geht, ist in der neuen Geschichte nicht unerhört, aber
die Wissenschaft hatte in diesem Falle besonderen Grund, von solcher Thätigkeit
Gutes zu erwarten. Denn es war bekannt, daß der Kaiser die Sache eifrig
anfaßte, und sehr wohl begriff, was er zu leisten vorzugsweise befähigt war.
Viele Stellen in der Lebensgeschichte Cäsars machten Forschungen wünschens-
werth, wie sie nur ein mächtiger Wille aufführen konnte. Die umfassenden
Vorarbeiten des Kaisers haben eine Anzahl Entdeckungen veranlaßt, die Schlacht¬
felder sind bereist und entdeckt, die Lage alter Städte, die Befestigungen von
Alesia, celtische Waffen und Alterthümer sind ermittelt und verzeichnet, und es
ist nicht zu zweifeln, daß das Werk da, wo die Kriege Cäsars geschildert
werden, vieles Neue und manches Bedeutende zu Tage bringen, und daß es
für die Geschichtschreiber nach dieser Hinsicht auch als Quelle dauernden Werth
behalten wird.

Aber der Verfasser hat nicht gut gethan, den Plan des Werkes so breit
anzulegen; hätte er sich begnügt, die militärische Thätigkeit Cäsars in den
Vordergrund zu stellen, so würde er die Mißstände zum größten Theil vermieden
haben, er konnte mehr Gründlichkeit als sein Oheim und bessere Sachkenntnis;
erweisen, und die Anerkennung seiner Leistungen konnte freudiger sein. Jetzt
aber füllt die größere Hälfte des ersten Bandes eine Geschichte des römischen
Staates, von den ersten Anfängen bis auf Cäsar. Dergleichen genügend zu schrei¬
ben ist nach der vierzigjährigen Arbeit deutscher Gelehrten nur möglich, wenn man
die zahlreichen Dctailuntersuchungen selbst nachgearbeitet hat, und wenn man grö¬
ßeren, wissenschaftlich geschulten Scharfsinn für die Aufgabe mitbringt, als dem
Kaiser zu Gebot steht. Daß er nicht vermieden hat, was für ihn zu schwer war. er¬
klärt sich allerdings schon aus der Einleitung und aus dem tendenziösen Bestreben,
eine Apologie des Cäsarismus zu schreiben. Cäsar, der die Landschaften Frankreichs
zuerst in das antike Staatsleben hineinzog. Karl der Große, den auch der Ver¬
fasser für den Gründer der französischen Monarchie hält. Napoleon, der den
modernen Kaiserstaat Frankreich schuf, alle drei nach seiner Auffassung Wohl¬
thäter Frankreichs und Umbildner der politischen Welt, waren seine Vorgänger.
Wie Octavian der Erbe Cäsars wurde, so möchte der Verfasser das neue
Kaiserreich als Resultat und Abschluß einer zweitausendjährigen geschichtlichen Ent¬
wickelung darstellen. Wenn er den Eroberer Galliens feiert, so empfindet er
zu gleicher Zeit die eigene, innige Verbindung mit dem Geiste Cäsars, welcher


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Wissenschaft haben, hier darf Abneigung nicht beeinträchtigen und Zuneigung
nicht übertreiben; aber die ganze Tendenz des Werkes, sein eigener Geist,
soweit er daraus sichtbar wird, soll von uns gar nicht mit der Unbe¬
fangenheit beurtheilt werden, die wir mühelos einem unbekannten Verfasser
zutheilen.

Daß ein Fürst in so hervorragender Stellung ernsthaft an Lösung einer
wissenschaftlichen Aufgabe geht, ist in der neuen Geschichte nicht unerhört, aber
die Wissenschaft hatte in diesem Falle besonderen Grund, von solcher Thätigkeit
Gutes zu erwarten. Denn es war bekannt, daß der Kaiser die Sache eifrig
anfaßte, und sehr wohl begriff, was er zu leisten vorzugsweise befähigt war.
Viele Stellen in der Lebensgeschichte Cäsars machten Forschungen wünschens-
werth, wie sie nur ein mächtiger Wille aufführen konnte. Die umfassenden
Vorarbeiten des Kaisers haben eine Anzahl Entdeckungen veranlaßt, die Schlacht¬
felder sind bereist und entdeckt, die Lage alter Städte, die Befestigungen von
Alesia, celtische Waffen und Alterthümer sind ermittelt und verzeichnet, und es
ist nicht zu zweifeln, daß das Werk da, wo die Kriege Cäsars geschildert
werden, vieles Neue und manches Bedeutende zu Tage bringen, und daß es
für die Geschichtschreiber nach dieser Hinsicht auch als Quelle dauernden Werth
behalten wird.

Aber der Verfasser hat nicht gut gethan, den Plan des Werkes so breit
anzulegen; hätte er sich begnügt, die militärische Thätigkeit Cäsars in den
Vordergrund zu stellen, so würde er die Mißstände zum größten Theil vermieden
haben, er konnte mehr Gründlichkeit als sein Oheim und bessere Sachkenntnis;
erweisen, und die Anerkennung seiner Leistungen konnte freudiger sein. Jetzt
aber füllt die größere Hälfte des ersten Bandes eine Geschichte des römischen
Staates, von den ersten Anfängen bis auf Cäsar. Dergleichen genügend zu schrei¬
ben ist nach der vierzigjährigen Arbeit deutscher Gelehrten nur möglich, wenn man
die zahlreichen Dctailuntersuchungen selbst nachgearbeitet hat, und wenn man grö¬
ßeren, wissenschaftlich geschulten Scharfsinn für die Aufgabe mitbringt, als dem
Kaiser zu Gebot steht. Daß er nicht vermieden hat, was für ihn zu schwer war. er¬
klärt sich allerdings schon aus der Einleitung und aus dem tendenziösen Bestreben,
eine Apologie des Cäsarismus zu schreiben. Cäsar, der die Landschaften Frankreichs
zuerst in das antike Staatsleben hineinzog. Karl der Große, den auch der Ver¬
fasser für den Gründer der französischen Monarchie hält. Napoleon, der den
modernen Kaiserstaat Frankreich schuf, alle drei nach seiner Auffassung Wohl¬
thäter Frankreichs und Umbildner der politischen Welt, waren seine Vorgänger.
Wie Octavian der Erbe Cäsars wurde, so möchte der Verfasser das neue
Kaiserreich als Resultat und Abschluß einer zweitausendjährigen geschichtlichen Ent¬
wickelung darstellen. Wenn er den Eroberer Galliens feiert, so empfindet er
zu gleicher Zeit die eigene, innige Verbindung mit dem Geiste Cäsars, welcher


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[0219] Wissenschaft haben, hier darf Abneigung nicht beeinträchtigen und Zuneigung nicht übertreiben; aber die ganze Tendenz des Werkes, sein eigener Geist, soweit er daraus sichtbar wird, soll von uns gar nicht mit der Unbe¬ fangenheit beurtheilt werden, die wir mühelos einem unbekannten Verfasser zutheilen. Daß ein Fürst in so hervorragender Stellung ernsthaft an Lösung einer wissenschaftlichen Aufgabe geht, ist in der neuen Geschichte nicht unerhört, aber die Wissenschaft hatte in diesem Falle besonderen Grund, von solcher Thätigkeit Gutes zu erwarten. Denn es war bekannt, daß der Kaiser die Sache eifrig anfaßte, und sehr wohl begriff, was er zu leisten vorzugsweise befähigt war. Viele Stellen in der Lebensgeschichte Cäsars machten Forschungen wünschens- werth, wie sie nur ein mächtiger Wille aufführen konnte. Die umfassenden Vorarbeiten des Kaisers haben eine Anzahl Entdeckungen veranlaßt, die Schlacht¬ felder sind bereist und entdeckt, die Lage alter Städte, die Befestigungen von Alesia, celtische Waffen und Alterthümer sind ermittelt und verzeichnet, und es ist nicht zu zweifeln, daß das Werk da, wo die Kriege Cäsars geschildert werden, vieles Neue und manches Bedeutende zu Tage bringen, und daß es für die Geschichtschreiber nach dieser Hinsicht auch als Quelle dauernden Werth behalten wird. Aber der Verfasser hat nicht gut gethan, den Plan des Werkes so breit anzulegen; hätte er sich begnügt, die militärische Thätigkeit Cäsars in den Vordergrund zu stellen, so würde er die Mißstände zum größten Theil vermieden haben, er konnte mehr Gründlichkeit als sein Oheim und bessere Sachkenntnis; erweisen, und die Anerkennung seiner Leistungen konnte freudiger sein. Jetzt aber füllt die größere Hälfte des ersten Bandes eine Geschichte des römischen Staates, von den ersten Anfängen bis auf Cäsar. Dergleichen genügend zu schrei¬ ben ist nach der vierzigjährigen Arbeit deutscher Gelehrten nur möglich, wenn man die zahlreichen Dctailuntersuchungen selbst nachgearbeitet hat, und wenn man grö¬ ßeren, wissenschaftlich geschulten Scharfsinn für die Aufgabe mitbringt, als dem Kaiser zu Gebot steht. Daß er nicht vermieden hat, was für ihn zu schwer war. er¬ klärt sich allerdings schon aus der Einleitung und aus dem tendenziösen Bestreben, eine Apologie des Cäsarismus zu schreiben. Cäsar, der die Landschaften Frankreichs zuerst in das antike Staatsleben hineinzog. Karl der Große, den auch der Ver¬ fasser für den Gründer der französischen Monarchie hält. Napoleon, der den modernen Kaiserstaat Frankreich schuf, alle drei nach seiner Auffassung Wohl¬ thäter Frankreichs und Umbildner der politischen Welt, waren seine Vorgänger. Wie Octavian der Erbe Cäsars wurde, so möchte der Verfasser das neue Kaiserreich als Resultat und Abschluß einer zweitausendjährigen geschichtlichen Ent¬ wickelung darstellen. Wenn er den Eroberer Galliens feiert, so empfindet er zu gleicher Zeit die eigene, innige Verbindung mit dem Geiste Cäsars, welcher 26*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/219>, abgerufen am 05.12.2024.