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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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eine Demolirung der feindliche" Werke nicht erzielt wurde. Dazu kam. daß
alle Augenblicke die Munition ausging, welche von dem sechs Meilen weit ent¬
fernten Rendsburg wieder ersetzt werden mußte. Erst am letzten Tage war
man im Stande, ein ununterbrochenes, heftiges Feuer auf die Schanzen und
die arme Stadt, aus welcher an mehren Stellen dicker schwarzer Rauch aufstieg
und Flammen cmporzüngelten. zu unterhalten.

So kam der 4. October heran, an dem abgeschlossen werden sollte. Nach¬
mittags halb drei Uhr vertheilten Tann und Aldosser, ganz allein auf dem
Eidcrdeiche stehend, die Rollen. Uns fiel in der Erstürmung der schon er¬
wähnten Borkmühlenschanzc die Hauptpartie zu. Drei andere Sturmcvlonncn.
welche gegen den Grashof, den bedeckten Geschützstand auf der Chaussee und
am Trcenedeich vorgingen, sollten unseren Angriff in der Weise unterstützen,
daß die Aufmerksamkeit des Feindes getheilt wurde. Das ganze Offiziercorps
war von der Erfolglosigkeit des Sturmes überzeugt, es trat somit an die Stelle
des frischen, hoffnungsreichen Muthes das bloße Pflichtbewußtsein. Um die
Stimmung der Soldaten zu heben, erschienen gegen Abend mehre Wagen mit
Spirituosen, aber nur einige profcssionirte Säufer machten davon Gebrauch,
die Uebrigen tadelten laut und unverhohlen das schlechte Arrangement.

Schon waren die Compagnien in Sectionen eingetheilt und aufmarschirt,
als der Statthalter Reventlow bei uns erschien. Eben aus dem in Süderstapel
abgehaltenen Kricgsrathe gekommen, wo man von einem Sturme vorläufig
abgesehen hatte, wollte er vor seiner Rückkehr nach Rendsburg den Truppen
einen Besuch abstatten. Die Ueberraschung darüber, daß denn doch gestürmt
werden sollte, war deutlich auf seinem Gesichte zu lesen; doch faßte er sich bald
und sprach einige ermunternde Worte zu den Soldaten, die indeß eine für
unsere Leute charakteristische Aufnahme fanden. "Dat mot en dummen Keerl
sin", meinte ein Musketier, "wo kann he sonst glowen, dat wir all gesund
wedder torüg kamen." Als bald darauf in unpraktischer Weise die Soldaten
ermahnt wurden, des zu erwartenden Kartätschenfeuers nicht zu achten, da
es in der Dunkelheit der Nacht voraussichtlich nur geringe Wirkung haben würde,
rief eine Stimme aus der zweiten Compagnie unter der augenblicklichen Stille
laut und vernehmlich: "Ach, wer ick bi Mutter" (Ach -- wäre ich daheim)
worauf ein Anderer, der offenbar sich durch die Gedanken an seine Lieben nicht
weich machen lassen wollte, in rauhem Tone erwiderte: "Lat dat dumme Tüg
man Wesen, dat tönt wi hüt Abend gor nich brüten." Punkt fünf Uhr gaben
drei Raketen von den Kanonenböten das verabredete Zeichen. Die Musik
intonirte das Lied "Schleswig-Holstein mcerumschlungen" und die Colonne,
wiederum Jäger voraus, setzte sich in Bewegung. Eine lange Reihe höherer
und niederer Offiziere hatte sich am Deich posiirt. Sie winkten Abschicdsgrüße
zu und drückten einzelnen Vorbeimarschirenden die Hand, zeigten aber keine


eine Demolirung der feindliche» Werke nicht erzielt wurde. Dazu kam. daß
alle Augenblicke die Munition ausging, welche von dem sechs Meilen weit ent¬
fernten Rendsburg wieder ersetzt werden mußte. Erst am letzten Tage war
man im Stande, ein ununterbrochenes, heftiges Feuer auf die Schanzen und
die arme Stadt, aus welcher an mehren Stellen dicker schwarzer Rauch aufstieg
und Flammen cmporzüngelten. zu unterhalten.

So kam der 4. October heran, an dem abgeschlossen werden sollte. Nach¬
mittags halb drei Uhr vertheilten Tann und Aldosser, ganz allein auf dem
Eidcrdeiche stehend, die Rollen. Uns fiel in der Erstürmung der schon er¬
wähnten Borkmühlenschanzc die Hauptpartie zu. Drei andere Sturmcvlonncn.
welche gegen den Grashof, den bedeckten Geschützstand auf der Chaussee und
am Trcenedeich vorgingen, sollten unseren Angriff in der Weise unterstützen,
daß die Aufmerksamkeit des Feindes getheilt wurde. Das ganze Offiziercorps
war von der Erfolglosigkeit des Sturmes überzeugt, es trat somit an die Stelle
des frischen, hoffnungsreichen Muthes das bloße Pflichtbewußtsein. Um die
Stimmung der Soldaten zu heben, erschienen gegen Abend mehre Wagen mit
Spirituosen, aber nur einige profcssionirte Säufer machten davon Gebrauch,
die Uebrigen tadelten laut und unverhohlen das schlechte Arrangement.

Schon waren die Compagnien in Sectionen eingetheilt und aufmarschirt,
als der Statthalter Reventlow bei uns erschien. Eben aus dem in Süderstapel
abgehaltenen Kricgsrathe gekommen, wo man von einem Sturme vorläufig
abgesehen hatte, wollte er vor seiner Rückkehr nach Rendsburg den Truppen
einen Besuch abstatten. Die Ueberraschung darüber, daß denn doch gestürmt
werden sollte, war deutlich auf seinem Gesichte zu lesen; doch faßte er sich bald
und sprach einige ermunternde Worte zu den Soldaten, die indeß eine für
unsere Leute charakteristische Aufnahme fanden. „Dat mot en dummen Keerl
sin", meinte ein Musketier, „wo kann he sonst glowen, dat wir all gesund
wedder torüg kamen." Als bald darauf in unpraktischer Weise die Soldaten
ermahnt wurden, des zu erwartenden Kartätschenfeuers nicht zu achten, da
es in der Dunkelheit der Nacht voraussichtlich nur geringe Wirkung haben würde,
rief eine Stimme aus der zweiten Compagnie unter der augenblicklichen Stille
laut und vernehmlich: „Ach, wer ick bi Mutter" (Ach — wäre ich daheim)
worauf ein Anderer, der offenbar sich durch die Gedanken an seine Lieben nicht
weich machen lassen wollte, in rauhem Tone erwiderte: „Lat dat dumme Tüg
man Wesen, dat tönt wi hüt Abend gor nich brüten." Punkt fünf Uhr gaben
drei Raketen von den Kanonenböten das verabredete Zeichen. Die Musik
intonirte das Lied „Schleswig-Holstein mcerumschlungen" und die Colonne,
wiederum Jäger voraus, setzte sich in Bewegung. Eine lange Reihe höherer
und niederer Offiziere hatte sich am Deich posiirt. Sie winkten Abschicdsgrüße
zu und drückten einzelnen Vorbeimarschirenden die Hand, zeigten aber keine


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[0198] eine Demolirung der feindliche» Werke nicht erzielt wurde. Dazu kam. daß alle Augenblicke die Munition ausging, welche von dem sechs Meilen weit ent¬ fernten Rendsburg wieder ersetzt werden mußte. Erst am letzten Tage war man im Stande, ein ununterbrochenes, heftiges Feuer auf die Schanzen und die arme Stadt, aus welcher an mehren Stellen dicker schwarzer Rauch aufstieg und Flammen cmporzüngelten. zu unterhalten. So kam der 4. October heran, an dem abgeschlossen werden sollte. Nach¬ mittags halb drei Uhr vertheilten Tann und Aldosser, ganz allein auf dem Eidcrdeiche stehend, die Rollen. Uns fiel in der Erstürmung der schon er¬ wähnten Borkmühlenschanzc die Hauptpartie zu. Drei andere Sturmcvlonncn. welche gegen den Grashof, den bedeckten Geschützstand auf der Chaussee und am Trcenedeich vorgingen, sollten unseren Angriff in der Weise unterstützen, daß die Aufmerksamkeit des Feindes getheilt wurde. Das ganze Offiziercorps war von der Erfolglosigkeit des Sturmes überzeugt, es trat somit an die Stelle des frischen, hoffnungsreichen Muthes das bloße Pflichtbewußtsein. Um die Stimmung der Soldaten zu heben, erschienen gegen Abend mehre Wagen mit Spirituosen, aber nur einige profcssionirte Säufer machten davon Gebrauch, die Uebrigen tadelten laut und unverhohlen das schlechte Arrangement. Schon waren die Compagnien in Sectionen eingetheilt und aufmarschirt, als der Statthalter Reventlow bei uns erschien. Eben aus dem in Süderstapel abgehaltenen Kricgsrathe gekommen, wo man von einem Sturme vorläufig abgesehen hatte, wollte er vor seiner Rückkehr nach Rendsburg den Truppen einen Besuch abstatten. Die Ueberraschung darüber, daß denn doch gestürmt werden sollte, war deutlich auf seinem Gesichte zu lesen; doch faßte er sich bald und sprach einige ermunternde Worte zu den Soldaten, die indeß eine für unsere Leute charakteristische Aufnahme fanden. „Dat mot en dummen Keerl sin", meinte ein Musketier, „wo kann he sonst glowen, dat wir all gesund wedder torüg kamen." Als bald darauf in unpraktischer Weise die Soldaten ermahnt wurden, des zu erwartenden Kartätschenfeuers nicht zu achten, da es in der Dunkelheit der Nacht voraussichtlich nur geringe Wirkung haben würde, rief eine Stimme aus der zweiten Compagnie unter der augenblicklichen Stille laut und vernehmlich: „Ach, wer ick bi Mutter" (Ach — wäre ich daheim) worauf ein Anderer, der offenbar sich durch die Gedanken an seine Lieben nicht weich machen lassen wollte, in rauhem Tone erwiderte: „Lat dat dumme Tüg man Wesen, dat tönt wi hüt Abend gor nich brüten." Punkt fünf Uhr gaben drei Raketen von den Kanonenböten das verabredete Zeichen. Die Musik intonirte das Lied „Schleswig-Holstein mcerumschlungen" und die Colonne, wiederum Jäger voraus, setzte sich in Bewegung. Eine lange Reihe höherer und niederer Offiziere hatte sich am Deich posiirt. Sie winkten Abschicdsgrüße zu und drückten einzelnen Vorbeimarschirenden die Hand, zeigten aber keine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/198>, abgerufen am 26.06.2024.