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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Mittlerweile wurden die dritte und vierte Compagnie herangezogen! die¬
selben übernahmen den Vorpostendienst, während wir für die Nacht nach Drage
zurückgingen. Die übergroße Ermüdung ließ die trüben Gedanken über das so
ungeschickt begonnene und deshalb trotz unsres tapfern Anlaufs so kläglich ge¬
scheiterte Unternehmen nicht zu ihrem Rechte kommen. Am folgenden Tage reg¬
nete es unausgesetzt vom Morgen bis zum Abend, so daß die Operationen erst
am 1. Oct. wieder aufgenommen werden konnten.

Von nun an fiel der Kampf eine Zeit lang vorzugsweise der Artillerie zu,
für welche man auf dem Eider- und Treenedeich, sowie auf der seether Chaussee
Emplacements hergestellt hatte. Nur die Jäger hatten sich in unmittelbarer
Nähe der Schanzen eingegraben und schössen sich Tag und Nacht mit den
feindlichen Tirailleurs herum. Wir andern lagen weiter zurück und fanden volle
Muße, das bunte Leben zu beobachten, welches sich jetzt am Eiderdeiche ent¬
wickelte. Im schroffen Gegensatz zu der unscheinbaren, von Schmutz starrenden
Infanterie erschien der höhere Kamerad von der Kavallerie in vollem mili¬
tärischen Glanz. Einer, der Dragonerlieutenant C.. büßte seine Neugierde mit
dem Tode, was damals -- so eigenthümlich ist der Mensch geartet --in uns
ein gewisses Gefühl der Befriedigung hervorrief. Hunderte vom Civil wurden
Tag für Tag durch das kriegerische Schauspiel herbeigelockt; sogar Damen
fehlten nicht. Tragisch war das Geschick eines dithmarscher Junkers, welcher
im schönsten Jagdornat, die Flinte auf dem Rücken sich eingestellt hatte, um
sich den Spektakel mit anzusehen. Der unermüdliche Aldosser -- die Hosen
>" große Krempstiefeln gesteckt und ein gewaltiges Fernrohr unter dem Arme
tragend -- erspähete den arglos Dastehenden und befahl sofort, ihn unter all¬
gemeiner Acclamation zu den Laufgräben abzuführen, um da einem edleren
Waidwerk obzuliegen. Der junge Mann mag über diese unbehagliche Aenderung
seiner Lage nicht wenig verblüfft gewesen sein; er soll sich indeß bald in die
neue Situation hineingefunden, auch seine Sache recht brav gemacht haben.

Unter dem Donner des groben Geschützes und dem Geknatter des Klein¬
gewehrfeuers spielten die Musikbanden des ersten Jägercorps und des sechsten
Bataillons ihre lustigsten Weisen, und so konnte es geschehen, daß fidele Ge¬
sellen mit den anwesenden Schönen einen kleinen Ball improvisirten. der nur
auf Augenblicke unterbrochen wurde, wenn einzelne Todte oder Verwundete zurück¬
getragen wurden. Anderswo theilte man Lebensmittel aus. meist solide, aber
auch viele delicate Dinge, welche das benachbarte Dithmarschen in ungeheuren
Quantitäten geliefert hatte. In einem imponirenden Gegensatze stand dazu die
Grabesstille auf Seiten des Feindes. Kaum daß er jeden Tag ein Geschütz
löste, um zu zeigen, er sei noch da und auf dem rechten Platze.

Unsere Artillerie hatte mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. In dem
jähen Marschklei blieben die Kugeln stecken, ohne Bresche zu schießen, so daß


Mittlerweile wurden die dritte und vierte Compagnie herangezogen! die¬
selben übernahmen den Vorpostendienst, während wir für die Nacht nach Drage
zurückgingen. Die übergroße Ermüdung ließ die trüben Gedanken über das so
ungeschickt begonnene und deshalb trotz unsres tapfern Anlaufs so kläglich ge¬
scheiterte Unternehmen nicht zu ihrem Rechte kommen. Am folgenden Tage reg¬
nete es unausgesetzt vom Morgen bis zum Abend, so daß die Operationen erst
am 1. Oct. wieder aufgenommen werden konnten.

Von nun an fiel der Kampf eine Zeit lang vorzugsweise der Artillerie zu,
für welche man auf dem Eider- und Treenedeich, sowie auf der seether Chaussee
Emplacements hergestellt hatte. Nur die Jäger hatten sich in unmittelbarer
Nähe der Schanzen eingegraben und schössen sich Tag und Nacht mit den
feindlichen Tirailleurs herum. Wir andern lagen weiter zurück und fanden volle
Muße, das bunte Leben zu beobachten, welches sich jetzt am Eiderdeiche ent¬
wickelte. Im schroffen Gegensatz zu der unscheinbaren, von Schmutz starrenden
Infanterie erschien der höhere Kamerad von der Kavallerie in vollem mili¬
tärischen Glanz. Einer, der Dragonerlieutenant C.. büßte seine Neugierde mit
dem Tode, was damals — so eigenthümlich ist der Mensch geartet —in uns
ein gewisses Gefühl der Befriedigung hervorrief. Hunderte vom Civil wurden
Tag für Tag durch das kriegerische Schauspiel herbeigelockt; sogar Damen
fehlten nicht. Tragisch war das Geschick eines dithmarscher Junkers, welcher
im schönsten Jagdornat, die Flinte auf dem Rücken sich eingestellt hatte, um
sich den Spektakel mit anzusehen. Der unermüdliche Aldosser — die Hosen
>" große Krempstiefeln gesteckt und ein gewaltiges Fernrohr unter dem Arme
tragend — erspähete den arglos Dastehenden und befahl sofort, ihn unter all¬
gemeiner Acclamation zu den Laufgräben abzuführen, um da einem edleren
Waidwerk obzuliegen. Der junge Mann mag über diese unbehagliche Aenderung
seiner Lage nicht wenig verblüfft gewesen sein; er soll sich indeß bald in die
neue Situation hineingefunden, auch seine Sache recht brav gemacht haben.

Unter dem Donner des groben Geschützes und dem Geknatter des Klein¬
gewehrfeuers spielten die Musikbanden des ersten Jägercorps und des sechsten
Bataillons ihre lustigsten Weisen, und so konnte es geschehen, daß fidele Ge¬
sellen mit den anwesenden Schönen einen kleinen Ball improvisirten. der nur
auf Augenblicke unterbrochen wurde, wenn einzelne Todte oder Verwundete zurück¬
getragen wurden. Anderswo theilte man Lebensmittel aus. meist solide, aber
auch viele delicate Dinge, welche das benachbarte Dithmarschen in ungeheuren
Quantitäten geliefert hatte. In einem imponirenden Gegensatze stand dazu die
Grabesstille auf Seiten des Feindes. Kaum daß er jeden Tag ein Geschütz
löste, um zu zeigen, er sei noch da und auf dem rechten Platze.

Unsere Artillerie hatte mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. In dem
jähen Marschklei blieben die Kugeln stecken, ohne Bresche zu schießen, so daß


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[0197] Mittlerweile wurden die dritte und vierte Compagnie herangezogen! die¬ selben übernahmen den Vorpostendienst, während wir für die Nacht nach Drage zurückgingen. Die übergroße Ermüdung ließ die trüben Gedanken über das so ungeschickt begonnene und deshalb trotz unsres tapfern Anlaufs so kläglich ge¬ scheiterte Unternehmen nicht zu ihrem Rechte kommen. Am folgenden Tage reg¬ nete es unausgesetzt vom Morgen bis zum Abend, so daß die Operationen erst am 1. Oct. wieder aufgenommen werden konnten. Von nun an fiel der Kampf eine Zeit lang vorzugsweise der Artillerie zu, für welche man auf dem Eider- und Treenedeich, sowie auf der seether Chaussee Emplacements hergestellt hatte. Nur die Jäger hatten sich in unmittelbarer Nähe der Schanzen eingegraben und schössen sich Tag und Nacht mit den feindlichen Tirailleurs herum. Wir andern lagen weiter zurück und fanden volle Muße, das bunte Leben zu beobachten, welches sich jetzt am Eiderdeiche ent¬ wickelte. Im schroffen Gegensatz zu der unscheinbaren, von Schmutz starrenden Infanterie erschien der höhere Kamerad von der Kavallerie in vollem mili¬ tärischen Glanz. Einer, der Dragonerlieutenant C.. büßte seine Neugierde mit dem Tode, was damals — so eigenthümlich ist der Mensch geartet —in uns ein gewisses Gefühl der Befriedigung hervorrief. Hunderte vom Civil wurden Tag für Tag durch das kriegerische Schauspiel herbeigelockt; sogar Damen fehlten nicht. Tragisch war das Geschick eines dithmarscher Junkers, welcher im schönsten Jagdornat, die Flinte auf dem Rücken sich eingestellt hatte, um sich den Spektakel mit anzusehen. Der unermüdliche Aldosser — die Hosen >" große Krempstiefeln gesteckt und ein gewaltiges Fernrohr unter dem Arme tragend — erspähete den arglos Dastehenden und befahl sofort, ihn unter all¬ gemeiner Acclamation zu den Laufgräben abzuführen, um da einem edleren Waidwerk obzuliegen. Der junge Mann mag über diese unbehagliche Aenderung seiner Lage nicht wenig verblüfft gewesen sein; er soll sich indeß bald in die neue Situation hineingefunden, auch seine Sache recht brav gemacht haben. Unter dem Donner des groben Geschützes und dem Geknatter des Klein¬ gewehrfeuers spielten die Musikbanden des ersten Jägercorps und des sechsten Bataillons ihre lustigsten Weisen, und so konnte es geschehen, daß fidele Ge¬ sellen mit den anwesenden Schönen einen kleinen Ball improvisirten. der nur auf Augenblicke unterbrochen wurde, wenn einzelne Todte oder Verwundete zurück¬ getragen wurden. Anderswo theilte man Lebensmittel aus. meist solide, aber auch viele delicate Dinge, welche das benachbarte Dithmarschen in ungeheuren Quantitäten geliefert hatte. In einem imponirenden Gegensatze stand dazu die Grabesstille auf Seiten des Feindes. Kaum daß er jeden Tag ein Geschütz löste, um zu zeigen, er sei noch da und auf dem rechten Platze. Unsere Artillerie hatte mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. In dem jähen Marschklei blieben die Kugeln stecken, ohne Bresche zu schießen, so daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/197>, abgerufen am 26.06.2024.