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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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und 60 Mann bedeckten todt oder schwer verwundet mit ihren Körpern den auf
der Innenseite des Deiches sich Hinzichenden Weg. Ein grauenvolles Bild der Ver¬
wüstung bot sich uns dar, als wir bald darauf die Todten und Verwundeten abholden,
Kaum ein Fleck, der nicht von den furchtbaren Wirkungen der Kartätschen Zeug¬
niß ablegte. Einem Musketier Thöming war der Leib aufgerissen, so daß die
Eingeweide weit umher ausgestreut lagen. Ein anderer saß halb aufrecht gegen
die Böschung des Deiches gelehnt; einige Schritte davon lag der Kopf, wie ein
Kürbis ausgehöhlt. Die Leiche des Lieutenant Apel wurde von den unterdeß
herbeigeeilten Hauptleuten aufgehoben und zurückgetragen. Der halbe Kopf war
ihm glatt abgeschossen. Noch ein wehmüthiger Blick auf das entstellte bleiche
Antlitz, und der übergeschlagene Mantel entzog uns für immer den Anblick des
lieben Kameraden. Den unbewachten Augenblick schlau benutzend, hatte sich in
einiger Entfernung der große Wolfshund des Hauptmanns Lassen daran gemacht,
die Blutlachen auszulecken, welches thierische Geschäft er selbstverständlich nicht
vollenden konnte. Von den Verwundeten sind nur wenige mit dem Leben da¬
von gekommen. (Grobes Geschütz spottet bekanntlich aller ärztlicher Kunst.)
Einer derselben, ein Gefreiter Wiedebusch aus Kiel, dem beide Beine abge¬
schossen waren, wälzte sich vor den Augen der nahenden Ambulance in die Eider,
so seinem trostlosen Dasein ein Ende machend.

Die an Ort und Stelle vorgenommene Visitirung der Todten ergab bedeu¬
tende Geldsummen, und erinnere ich mich genau, daß die bei einigen der Leute
vorgefundene Baarschaft 92 Mark Courant betrug. Die gute Verpflegung und
bedeutende Löhnung, verbunden mit einer angeborenen Sparsamkeit waren Ver¬
anlassung, daß unsere Soldaten Summen bei sich führten, welche sie in den
Augen östreichischer und preußischer Soldaten zu halben Millionärs gemacht
haben würden. Wir wollen nicht einer geringen Löhnung das Wort reden; aber
noch weit bedenklicher ist, wenn der Felddienst zu einer einträglichen Erwerbs¬
quelle ausgebeutet werden kann.

Oberst v. der Tann und Major Aldosser standen, wie schon bemerkt, viel
zu weit zurück, um das Geschehene inhibiren zu können. Letzterer kam in
voller Aufregung herbei und rief mir in seinem bayrischen Dialect zu: "Kame¬
rad, was machen Sie da, können Sie nicht warten, bis ich das Nest mit
meinen Kanonen zusammengeschossen habe?" Nur wenig harmonirten mit diesen
vielversprechenden Worten die winzigen zehnpfündigen Mörser, deren einige gerade
an uns vorüber getragen wurden. Zu einer Beschießung der dänischen Schanzen
kam es auch an diesem Tage nicht; denn die Kanonenböte hatten sich verschossen,
und die requirirte 12pfundige Batterie Ur. 2 war noch nicht angelangt. Nur
die am südlichen Eiderufer bei Se. Annen stehende Batterie warf dann und
wann eine Granate in die unglückliche Stadt hinein, deren Zerplatzen auf den
Dächern deutlich an unser Ohr schlug.


und 60 Mann bedeckten todt oder schwer verwundet mit ihren Körpern den auf
der Innenseite des Deiches sich Hinzichenden Weg. Ein grauenvolles Bild der Ver¬
wüstung bot sich uns dar, als wir bald darauf die Todten und Verwundeten abholden,
Kaum ein Fleck, der nicht von den furchtbaren Wirkungen der Kartätschen Zeug¬
niß ablegte. Einem Musketier Thöming war der Leib aufgerissen, so daß die
Eingeweide weit umher ausgestreut lagen. Ein anderer saß halb aufrecht gegen
die Böschung des Deiches gelehnt; einige Schritte davon lag der Kopf, wie ein
Kürbis ausgehöhlt. Die Leiche des Lieutenant Apel wurde von den unterdeß
herbeigeeilten Hauptleuten aufgehoben und zurückgetragen. Der halbe Kopf war
ihm glatt abgeschossen. Noch ein wehmüthiger Blick auf das entstellte bleiche
Antlitz, und der übergeschlagene Mantel entzog uns für immer den Anblick des
lieben Kameraden. Den unbewachten Augenblick schlau benutzend, hatte sich in
einiger Entfernung der große Wolfshund des Hauptmanns Lassen daran gemacht,
die Blutlachen auszulecken, welches thierische Geschäft er selbstverständlich nicht
vollenden konnte. Von den Verwundeten sind nur wenige mit dem Leben da¬
von gekommen. (Grobes Geschütz spottet bekanntlich aller ärztlicher Kunst.)
Einer derselben, ein Gefreiter Wiedebusch aus Kiel, dem beide Beine abge¬
schossen waren, wälzte sich vor den Augen der nahenden Ambulance in die Eider,
so seinem trostlosen Dasein ein Ende machend.

Die an Ort und Stelle vorgenommene Visitirung der Todten ergab bedeu¬
tende Geldsummen, und erinnere ich mich genau, daß die bei einigen der Leute
vorgefundene Baarschaft 92 Mark Courant betrug. Die gute Verpflegung und
bedeutende Löhnung, verbunden mit einer angeborenen Sparsamkeit waren Ver¬
anlassung, daß unsere Soldaten Summen bei sich führten, welche sie in den
Augen östreichischer und preußischer Soldaten zu halben Millionärs gemacht
haben würden. Wir wollen nicht einer geringen Löhnung das Wort reden; aber
noch weit bedenklicher ist, wenn der Felddienst zu einer einträglichen Erwerbs¬
quelle ausgebeutet werden kann.

Oberst v. der Tann und Major Aldosser standen, wie schon bemerkt, viel
zu weit zurück, um das Geschehene inhibiren zu können. Letzterer kam in
voller Aufregung herbei und rief mir in seinem bayrischen Dialect zu: „Kame¬
rad, was machen Sie da, können Sie nicht warten, bis ich das Nest mit
meinen Kanonen zusammengeschossen habe?" Nur wenig harmonirten mit diesen
vielversprechenden Worten die winzigen zehnpfündigen Mörser, deren einige gerade
an uns vorüber getragen wurden. Zu einer Beschießung der dänischen Schanzen
kam es auch an diesem Tage nicht; denn die Kanonenböte hatten sich verschossen,
und die requirirte 12pfundige Batterie Ur. 2 war noch nicht angelangt. Nur
die am südlichen Eiderufer bei Se. Annen stehende Batterie warf dann und
wann eine Granate in die unglückliche Stadt hinein, deren Zerplatzen auf den
Dächern deutlich an unser Ohr schlug.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/196>, abgerufen am 26.06.2024.