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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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ihrer Verpflichtung enthoben sein sollten. Der Bankhalter, Lieutenant Apel/
hatte uns sämmtlich ausgezogen, als die Trommel das Zeichen zum Aufbruche
gab. Wir schieden -- der Himmel vcrzeihs -- mit der sehr unchristlichen und
überdies laut ausgesprochenen Hoffnung, daß eine feindliche Kugel uns von
unserem Gläubiger befreien würde.

Am 29. September morgens neun Uhr dcbouchirtcn die erste und zweite
Compagnie des Bataillons, zwei Pelotons Jäger an der Töte, aus Drage
und rückten auf dem träger und Eiderdeich langsam gegen Friedrichsstadt vor.
Bevor der Angriff auf die vierhundert Schritt südöstlich der Stadt gelegene
Borkmühlenschanze, welche den Schlüssel zur ganzen Position bildete, eröffnet
werden konnte, mußte zuvor ein kleineres, hart am.Deiche aufgeworfenes und
mit Espignolen armirtes Vorwerk zerstört werden. Diese Aufgabe fiel vier auf
der Eider stationirten Kanonenböten zu. Seitwärts am AbHange des Deiches
stehend und zum Anlauf bereit, konnten wir deutlich die Wirkungen jeder ein¬
zelnen Kugel sehen, und schon nach zwei Stunden wehte die Fahne der ersten
Compagnie auf den Trümmern der von ihrer Besamung verlassenen Schanze.

Der Anfang war also gut. Durch eine Biegung des Deiches vor dem feind¬
lichen Feuer geschützt, aber auch aller Aussicht beraubt, lagerte die erste Com¬
pagnie mit einigen Jägern auf dem feuchten Erdreich. Die Hauptleute des
Bataillons standen weiter zurück in einer Unterhaltung mit Oberst von der
Tann und Major Aldosser begriffen. Da taucht auf dem andern Eiderufcr, von
wo man in die Stadt hineinsehen konnte, plötzlich hinter dem Deiche die unheil¬
bringende Gestalt eines Hornisten auf und bläst das Avancirsignal. Alles springt
^Por, eine kurze Besprechung der vier Lieutenants der Compagnie wird abge¬
blochen durch ein zweites noch rascher wiederholtes Signal und -- fort stürmen
Offiziere und Mannschaften mit Ungestüm gerade auf die furchtbare Schanze los.
Sowie die kleine Sturmcolonne um die schützende Biegung herum in Schußlinie ge¬
fugt, schlagen Kartätschen in sie hinein. Auch nicht einen Moment stutzend laufen
wir unaufhaltsam vorwärts bis dicht unter die Schanze, wo das Feuer von zwei
dänischen Jägercompagnien, die ihre Büchsen auf die Brustwehr gelegt haben,
uns empfängt.

Es war ein warmer Empfang fast im eigentlichen Sinne des Wortes,
denn beinahe fühlten wir das Feuer der uns entgegcnknatternden Schützenreihen.
und die Situation, die jetzt folgte, war der Art, daß ich wohl sagen darf: selten
ist eine Truppe in so kritischer Lage gewesen. Weit zurück stand als einzige Reserve
die zweite Compagnie. Hätte sie auch den Befehl erhalten, uns zu unterstützen:
ehe sie herbeikommen und uns aufnehmen konnte, wäre unser Schicksal längst
entschieden gewesen -- Tod oder Gefangenschaft! Nur ein rascher Rückzug blieb
übrig. Wiederum aber reißen Kartätschenlagen gewaltige Lücken und machen
die Auslösung vollkommen. Ein Offizier, der obenerwähnte Lieutenant Apel,


ihrer Verpflichtung enthoben sein sollten. Der Bankhalter, Lieutenant Apel/
hatte uns sämmtlich ausgezogen, als die Trommel das Zeichen zum Aufbruche
gab. Wir schieden — der Himmel vcrzeihs — mit der sehr unchristlichen und
überdies laut ausgesprochenen Hoffnung, daß eine feindliche Kugel uns von
unserem Gläubiger befreien würde.

Am 29. September morgens neun Uhr dcbouchirtcn die erste und zweite
Compagnie des Bataillons, zwei Pelotons Jäger an der Töte, aus Drage
und rückten auf dem träger und Eiderdeich langsam gegen Friedrichsstadt vor.
Bevor der Angriff auf die vierhundert Schritt südöstlich der Stadt gelegene
Borkmühlenschanze, welche den Schlüssel zur ganzen Position bildete, eröffnet
werden konnte, mußte zuvor ein kleineres, hart am.Deiche aufgeworfenes und
mit Espignolen armirtes Vorwerk zerstört werden. Diese Aufgabe fiel vier auf
der Eider stationirten Kanonenböten zu. Seitwärts am AbHange des Deiches
stehend und zum Anlauf bereit, konnten wir deutlich die Wirkungen jeder ein¬
zelnen Kugel sehen, und schon nach zwei Stunden wehte die Fahne der ersten
Compagnie auf den Trümmern der von ihrer Besamung verlassenen Schanze.

Der Anfang war also gut. Durch eine Biegung des Deiches vor dem feind¬
lichen Feuer geschützt, aber auch aller Aussicht beraubt, lagerte die erste Com¬
pagnie mit einigen Jägern auf dem feuchten Erdreich. Die Hauptleute des
Bataillons standen weiter zurück in einer Unterhaltung mit Oberst von der
Tann und Major Aldosser begriffen. Da taucht auf dem andern Eiderufcr, von
wo man in die Stadt hineinsehen konnte, plötzlich hinter dem Deiche die unheil¬
bringende Gestalt eines Hornisten auf und bläst das Avancirsignal. Alles springt
^Por, eine kurze Besprechung der vier Lieutenants der Compagnie wird abge¬
blochen durch ein zweites noch rascher wiederholtes Signal und — fort stürmen
Offiziere und Mannschaften mit Ungestüm gerade auf die furchtbare Schanze los.
Sowie die kleine Sturmcolonne um die schützende Biegung herum in Schußlinie ge¬
fugt, schlagen Kartätschen in sie hinein. Auch nicht einen Moment stutzend laufen
wir unaufhaltsam vorwärts bis dicht unter die Schanze, wo das Feuer von zwei
dänischen Jägercompagnien, die ihre Büchsen auf die Brustwehr gelegt haben,
uns empfängt.

Es war ein warmer Empfang fast im eigentlichen Sinne des Wortes,
denn beinahe fühlten wir das Feuer der uns entgegcnknatternden Schützenreihen.
und die Situation, die jetzt folgte, war der Art, daß ich wohl sagen darf: selten
ist eine Truppe in so kritischer Lage gewesen. Weit zurück stand als einzige Reserve
die zweite Compagnie. Hätte sie auch den Befehl erhalten, uns zu unterstützen:
ehe sie herbeikommen und uns aufnehmen konnte, wäre unser Schicksal längst
entschieden gewesen — Tod oder Gefangenschaft! Nur ein rascher Rückzug blieb
übrig. Wiederum aber reißen Kartätschenlagen gewaltige Lücken und machen
die Auslösung vollkommen. Ein Offizier, der obenerwähnte Lieutenant Apel,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/195>, abgerufen am 26.06.2024.