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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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in dem Zusatz am Anfang, daß Mardochai für die Entdeckung des Mordan¬
schlages vom König reich belohnt sei, wodurch ein wesentlicher Zug der Ge¬
schichte vernichtet wird. Nach dieser hat sichs ferner Esther zur höchsten Ehre
anzunehmen, daß sie Königin wird; die strenge jüdische Gesetzlichkeit, welche mit
gutem Fug eheliche Verbindungen zwischen Juden und Heiden verbot, mußte
hieran Anstoß nehmen, und so sagt denn Esther in einem der eingeschobenen
Gebete, daß sie nur gezwungen das Lager des verabscheuten Unbeschnittenen
theile. Und so zeigt sich durchgängig, daß wir hier spätere Zusätze haben.

Von ganz anderm Charakter sind zwei eingeschobene Briefe des Königs.
Dies sind rhetorische Uebungen eines Juden, der ohne Zweifel schon ursprüng¬
lich Griechisch schrieb. Obgleich bombastisch und breit, sind sie doch in ziem¬
lich gutem Griechisch abgefaßt. Eigenthümlich ist ihnen die Polemik gegen die
Macedonier. Es heißt hier, Haman habe die Herrschaft von den Persern an
die Macedonier bringen wollen. Man bedenke hier die mancherlei Reibereien
zwischen den egyptischen Juden und Griechen, welche letztere sich immer noch
gern Macedonier nannten.

Daß der Uebersetzer das Buch übrigens noch nicht mit religiöser Scheu
betrachtete, sehn wir an der Ungenirthcit, mit der es behandelt. Er setzt hin¬
zu, verkürzt und verändert nach Gutdünken, und da seine sehr geringen
hebräischen Kenntnisse ihn zu zahlreichen Fehlern verführten und ihm wahr¬
scheinlich eine vielfach verderbte Handschrift vorlag, so entstand ein Werk, das
seinem Urtext sehr wenig entspricht und unter allen den zahlreichen griechischen
Übersetzungen alttestamentlicher Bücher, wenn man die des Buchs Daniel aus¬
nimmt, die schlechteste ist. Hierzu kamen nun noch die Zusätze der zweiten
Art. In dieser Gestalt las es Josephus, der in seiner platten Weise dem
griechischen Text nachschreibt, indem er mit leiser Hand an Form und In¬
halt bessert.

Diese griechische Gestalt wurde nun später noch wieder einmal ganz will¬
kürlich umgearbeitet. Vieles ward verändert und umgestellt, sehr Vieles ver¬
kürzt. An einigen Stellen fügte der Bearbeiter ganz fabelhafte Zusätze hinzu,
wie z. B. daß Mardochai auf seinem Triumphwagen unsichtbar gewesen sei.
An einigen Stellen sind ihm lächerliche Mißverständnisse seines griechischen Textes
begegnet.

Beide griechische Bearbeitungen sind zwar in den Handschriften vielfach ver¬
mischt, doch gelingt es, sie wieder auszuscheiden.

Die Zusätze zu Esther sind von Hieronymus, der sehr geringschätzig von



") Josephus, welcher das Unpassende der Erwähnung der Macedonier fühlt, sagt dafür:
"an Andere". Die Bezeichnung Hamans als des Macedoniers ist erst aus diesem Brief in
die Uebersetzung des Textes (0, 24) gerathen.

in dem Zusatz am Anfang, daß Mardochai für die Entdeckung des Mordan¬
schlages vom König reich belohnt sei, wodurch ein wesentlicher Zug der Ge¬
schichte vernichtet wird. Nach dieser hat sichs ferner Esther zur höchsten Ehre
anzunehmen, daß sie Königin wird; die strenge jüdische Gesetzlichkeit, welche mit
gutem Fug eheliche Verbindungen zwischen Juden und Heiden verbot, mußte
hieran Anstoß nehmen, und so sagt denn Esther in einem der eingeschobenen
Gebete, daß sie nur gezwungen das Lager des verabscheuten Unbeschnittenen
theile. Und so zeigt sich durchgängig, daß wir hier spätere Zusätze haben.

Von ganz anderm Charakter sind zwei eingeschobene Briefe des Königs.
Dies sind rhetorische Uebungen eines Juden, der ohne Zweifel schon ursprüng¬
lich Griechisch schrieb. Obgleich bombastisch und breit, sind sie doch in ziem¬
lich gutem Griechisch abgefaßt. Eigenthümlich ist ihnen die Polemik gegen die
Macedonier. Es heißt hier, Haman habe die Herrschaft von den Persern an
die Macedonier bringen wollen. Man bedenke hier die mancherlei Reibereien
zwischen den egyptischen Juden und Griechen, welche letztere sich immer noch
gern Macedonier nannten.

Daß der Uebersetzer das Buch übrigens noch nicht mit religiöser Scheu
betrachtete, sehn wir an der Ungenirthcit, mit der es behandelt. Er setzt hin¬
zu, verkürzt und verändert nach Gutdünken, und da seine sehr geringen
hebräischen Kenntnisse ihn zu zahlreichen Fehlern verführten und ihm wahr¬
scheinlich eine vielfach verderbte Handschrift vorlag, so entstand ein Werk, das
seinem Urtext sehr wenig entspricht und unter allen den zahlreichen griechischen
Übersetzungen alttestamentlicher Bücher, wenn man die des Buchs Daniel aus¬
nimmt, die schlechteste ist. Hierzu kamen nun noch die Zusätze der zweiten
Art. In dieser Gestalt las es Josephus, der in seiner platten Weise dem
griechischen Text nachschreibt, indem er mit leiser Hand an Form und In¬
halt bessert.

Diese griechische Gestalt wurde nun später noch wieder einmal ganz will¬
kürlich umgearbeitet. Vieles ward verändert und umgestellt, sehr Vieles ver¬
kürzt. An einigen Stellen fügte der Bearbeiter ganz fabelhafte Zusätze hinzu,
wie z. B. daß Mardochai auf seinem Triumphwagen unsichtbar gewesen sei.
An einigen Stellen sind ihm lächerliche Mißverständnisse seines griechischen Textes
begegnet.

Beide griechische Bearbeitungen sind zwar in den Handschriften vielfach ver¬
mischt, doch gelingt es, sie wieder auszuscheiden.

Die Zusätze zu Esther sind von Hieronymus, der sehr geringschätzig von



") Josephus, welcher das Unpassende der Erwähnung der Macedonier fühlt, sagt dafür:
„an Andere". Die Bezeichnung Hamans als des Macedoniers ist erst aus diesem Brief in
die Uebersetzung des Textes (0, 24) gerathen.
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[0140] in dem Zusatz am Anfang, daß Mardochai für die Entdeckung des Mordan¬ schlages vom König reich belohnt sei, wodurch ein wesentlicher Zug der Ge¬ schichte vernichtet wird. Nach dieser hat sichs ferner Esther zur höchsten Ehre anzunehmen, daß sie Königin wird; die strenge jüdische Gesetzlichkeit, welche mit gutem Fug eheliche Verbindungen zwischen Juden und Heiden verbot, mußte hieran Anstoß nehmen, und so sagt denn Esther in einem der eingeschobenen Gebete, daß sie nur gezwungen das Lager des verabscheuten Unbeschnittenen theile. Und so zeigt sich durchgängig, daß wir hier spätere Zusätze haben. Von ganz anderm Charakter sind zwei eingeschobene Briefe des Königs. Dies sind rhetorische Uebungen eines Juden, der ohne Zweifel schon ursprüng¬ lich Griechisch schrieb. Obgleich bombastisch und breit, sind sie doch in ziem¬ lich gutem Griechisch abgefaßt. Eigenthümlich ist ihnen die Polemik gegen die Macedonier. Es heißt hier, Haman habe die Herrschaft von den Persern an die Macedonier bringen wollen. Man bedenke hier die mancherlei Reibereien zwischen den egyptischen Juden und Griechen, welche letztere sich immer noch gern Macedonier nannten. Daß der Uebersetzer das Buch übrigens noch nicht mit religiöser Scheu betrachtete, sehn wir an der Ungenirthcit, mit der es behandelt. Er setzt hin¬ zu, verkürzt und verändert nach Gutdünken, und da seine sehr geringen hebräischen Kenntnisse ihn zu zahlreichen Fehlern verführten und ihm wahr¬ scheinlich eine vielfach verderbte Handschrift vorlag, so entstand ein Werk, das seinem Urtext sehr wenig entspricht und unter allen den zahlreichen griechischen Übersetzungen alttestamentlicher Bücher, wenn man die des Buchs Daniel aus¬ nimmt, die schlechteste ist. Hierzu kamen nun noch die Zusätze der zweiten Art. In dieser Gestalt las es Josephus, der in seiner platten Weise dem griechischen Text nachschreibt, indem er mit leiser Hand an Form und In¬ halt bessert. Diese griechische Gestalt wurde nun später noch wieder einmal ganz will¬ kürlich umgearbeitet. Vieles ward verändert und umgestellt, sehr Vieles ver¬ kürzt. An einigen Stellen fügte der Bearbeiter ganz fabelhafte Zusätze hinzu, wie z. B. daß Mardochai auf seinem Triumphwagen unsichtbar gewesen sei. An einigen Stellen sind ihm lächerliche Mißverständnisse seines griechischen Textes begegnet. Beide griechische Bearbeitungen sind zwar in den Handschriften vielfach ver¬ mischt, doch gelingt es, sie wieder auszuscheiden. Die Zusätze zu Esther sind von Hieronymus, der sehr geringschätzig von ") Josephus, welcher das Unpassende der Erwähnung der Macedonier fühlt, sagt dafür: „an Andere". Die Bezeichnung Hamans als des Macedoniers ist erst aus diesem Brief in die Uebersetzung des Textes (0, 24) gerathen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/140>, abgerufen am 12.12.2024.