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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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ihnen spricht, mit Recht aus dem Text geworfen und ans Ende gestellt. Luther
hat sie ganz abgesondert und unter die Apokryphen verwiesen, für welche sie immer
noch zu schlecht find^ wenn sie auch nicht gerade so albern sind, wie die meisten
Zusätze zu Daniel.

Bei den palästinischen Juden war natürlich an eine derartige willkürliche
leichtfertige Behandlung des heiligen Textes nicht zu denken. Die Schößlinge,
welche die Geschichte trieb, konnten hier nur in Erklärungsschriften und Para¬
phrasen wuchern. Am' deutlichsten treten sie in den aramäischen Paraphrasen
(Targums) auf. Wir haben drei Targums des Buches in einer ziemlich ein¬
fachen Uebersetzung, ferner eine Erweiterung derselben durch viele Zusätze und
dann noch eine besondere abenteuerlich ausgedehnte Umschreibung. In diesen
Zusätzen zur Geschichte wuchert die wildeste Phantasie, von allen Banden der
Vernunft und des Geschmacks gelöst, und dabei zeigt sich doch derselbe Auf¬
wand von spitzfindigen Scharfsinn, wie in so vielen jüdischen Schriften. Als
Beispiele für diese Zusätze möge, nebst einem Hinweis auf die oben gegebene
Ansicht über Esthers Alter, genügen, daß sich Ahasveros in drei Jahren seinen
Thron durch Architekten aus Alexandrien bauen läßt nach dem Muster des sa¬
lomonischen, den er in seiner Gewalt hat. aber auf dem er (man sieht nicht
weshalb) nicht zu sitzen vermag, und daß die Feindschaft Hamans mit davon
abgeleitet wird, daß seine Tochter bei der Candidatur um die erledigte Stelle
Vasthis ausgeschlossen ist, weil sie sich durch göttliche Einwirkung unanständig
aufführte. Der rabbinische Scharfsinn wird aufgeboten bei der Berathung der
hamanschen Familie über die Art, auf welche Mardochai umzubringen sei,
wobei sie eine überraschende Kenntniß der heiligen Schrift zu erkennen geben.
Daß natürlich Gebete eingeschaltet und Gott und Engel in Bewegung gesetzt
werden, versteht sich von selbst.

Uebrigens muß ich wiederholt darauf hinweisen, daß solche Schriften keine
kirchliche Autorität hatten und immer nur neben dem Urtext gebraucht wurden,
während bei den Griechen die so sehr veränderte Uebersetzung das Original
ganz vertreten mußte.


2. Das Buch des Aristccis.

Das Buch enthält den Bericht des Aristeas, eines Hofmannes Königs
Ptolemäus II. Philadelphias (284 -- 247) an seinen Bruder Philokrates über
die von ihm mit veranlaßte Uebersetzung des Pentateuchs ins Griechische.
Das ganze Buch ist daher in Briefform eingekleidet. Der Inhalt ist im Aus¬
zuge folgender:

Der berühmte Demetrius Phalereus hat als Bibliothekar des Philadelphus
zwar eine erstaunliche Masse von Büchern zusammengebracht, aber es fehlen
ihm noch manche. Er stellt dem König vor, daß das Gesetzbuch der Juden


Grenzvoten II. 186S. 17

ihnen spricht, mit Recht aus dem Text geworfen und ans Ende gestellt. Luther
hat sie ganz abgesondert und unter die Apokryphen verwiesen, für welche sie immer
noch zu schlecht find^ wenn sie auch nicht gerade so albern sind, wie die meisten
Zusätze zu Daniel.

Bei den palästinischen Juden war natürlich an eine derartige willkürliche
leichtfertige Behandlung des heiligen Textes nicht zu denken. Die Schößlinge,
welche die Geschichte trieb, konnten hier nur in Erklärungsschriften und Para¬
phrasen wuchern. Am' deutlichsten treten sie in den aramäischen Paraphrasen
(Targums) auf. Wir haben drei Targums des Buches in einer ziemlich ein¬
fachen Uebersetzung, ferner eine Erweiterung derselben durch viele Zusätze und
dann noch eine besondere abenteuerlich ausgedehnte Umschreibung. In diesen
Zusätzen zur Geschichte wuchert die wildeste Phantasie, von allen Banden der
Vernunft und des Geschmacks gelöst, und dabei zeigt sich doch derselbe Auf¬
wand von spitzfindigen Scharfsinn, wie in so vielen jüdischen Schriften. Als
Beispiele für diese Zusätze möge, nebst einem Hinweis auf die oben gegebene
Ansicht über Esthers Alter, genügen, daß sich Ahasveros in drei Jahren seinen
Thron durch Architekten aus Alexandrien bauen läßt nach dem Muster des sa¬
lomonischen, den er in seiner Gewalt hat. aber auf dem er (man sieht nicht
weshalb) nicht zu sitzen vermag, und daß die Feindschaft Hamans mit davon
abgeleitet wird, daß seine Tochter bei der Candidatur um die erledigte Stelle
Vasthis ausgeschlossen ist, weil sie sich durch göttliche Einwirkung unanständig
aufführte. Der rabbinische Scharfsinn wird aufgeboten bei der Berathung der
hamanschen Familie über die Art, auf welche Mardochai umzubringen sei,
wobei sie eine überraschende Kenntniß der heiligen Schrift zu erkennen geben.
Daß natürlich Gebete eingeschaltet und Gott und Engel in Bewegung gesetzt
werden, versteht sich von selbst.

Uebrigens muß ich wiederholt darauf hinweisen, daß solche Schriften keine
kirchliche Autorität hatten und immer nur neben dem Urtext gebraucht wurden,
während bei den Griechen die so sehr veränderte Uebersetzung das Original
ganz vertreten mußte.


2. Das Buch des Aristccis.

Das Buch enthält den Bericht des Aristeas, eines Hofmannes Königs
Ptolemäus II. Philadelphias (284 — 247) an seinen Bruder Philokrates über
die von ihm mit veranlaßte Uebersetzung des Pentateuchs ins Griechische.
Das ganze Buch ist daher in Briefform eingekleidet. Der Inhalt ist im Aus¬
zuge folgender:

Der berühmte Demetrius Phalereus hat als Bibliothekar des Philadelphus
zwar eine erstaunliche Masse von Büchern zusammengebracht, aber es fehlen
ihm noch manche. Er stellt dem König vor, daß das Gesetzbuch der Juden


Grenzvoten II. 186S. 17
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[0141] ihnen spricht, mit Recht aus dem Text geworfen und ans Ende gestellt. Luther hat sie ganz abgesondert und unter die Apokryphen verwiesen, für welche sie immer noch zu schlecht find^ wenn sie auch nicht gerade so albern sind, wie die meisten Zusätze zu Daniel. Bei den palästinischen Juden war natürlich an eine derartige willkürliche leichtfertige Behandlung des heiligen Textes nicht zu denken. Die Schößlinge, welche die Geschichte trieb, konnten hier nur in Erklärungsschriften und Para¬ phrasen wuchern. Am' deutlichsten treten sie in den aramäischen Paraphrasen (Targums) auf. Wir haben drei Targums des Buches in einer ziemlich ein¬ fachen Uebersetzung, ferner eine Erweiterung derselben durch viele Zusätze und dann noch eine besondere abenteuerlich ausgedehnte Umschreibung. In diesen Zusätzen zur Geschichte wuchert die wildeste Phantasie, von allen Banden der Vernunft und des Geschmacks gelöst, und dabei zeigt sich doch derselbe Auf¬ wand von spitzfindigen Scharfsinn, wie in so vielen jüdischen Schriften. Als Beispiele für diese Zusätze möge, nebst einem Hinweis auf die oben gegebene Ansicht über Esthers Alter, genügen, daß sich Ahasveros in drei Jahren seinen Thron durch Architekten aus Alexandrien bauen läßt nach dem Muster des sa¬ lomonischen, den er in seiner Gewalt hat. aber auf dem er (man sieht nicht weshalb) nicht zu sitzen vermag, und daß die Feindschaft Hamans mit davon abgeleitet wird, daß seine Tochter bei der Candidatur um die erledigte Stelle Vasthis ausgeschlossen ist, weil sie sich durch göttliche Einwirkung unanständig aufführte. Der rabbinische Scharfsinn wird aufgeboten bei der Berathung der hamanschen Familie über die Art, auf welche Mardochai umzubringen sei, wobei sie eine überraschende Kenntniß der heiligen Schrift zu erkennen geben. Daß natürlich Gebete eingeschaltet und Gott und Engel in Bewegung gesetzt werden, versteht sich von selbst. Uebrigens muß ich wiederholt darauf hinweisen, daß solche Schriften keine kirchliche Autorität hatten und immer nur neben dem Urtext gebraucht wurden, während bei den Griechen die so sehr veränderte Uebersetzung das Original ganz vertreten mußte. 2. Das Buch des Aristccis. Das Buch enthält den Bericht des Aristeas, eines Hofmannes Königs Ptolemäus II. Philadelphias (284 — 247) an seinen Bruder Philokrates über die von ihm mit veranlaßte Uebersetzung des Pentateuchs ins Griechische. Das ganze Buch ist daher in Briefform eingekleidet. Der Inhalt ist im Aus¬ zuge folgender: Der berühmte Demetrius Phalereus hat als Bibliothekar des Philadelphus zwar eine erstaunliche Masse von Büchern zusammengebracht, aber es fehlen ihm noch manche. Er stellt dem König vor, daß das Gesetzbuch der Juden Grenzvoten II. 186S. 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/141>, abgerufen am 12.12.2024.