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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Ob der Erzählung irgend etwas Geschichtliches zu Grunde liegt, ist nicht
sicher zu sagen. Der Name Ahasveros deutet allerdings darauf; denn derselbe
ist, wie jetzt allgemein anerkannt wird") identisch mit Xerxes. Möglich ist
immerhin, daß dieser eine Jüdin Esther in sein Serail aufgenommen und daß
diese mit Erfolg für ihr Volk gewirkt hat, aber das Einzelne entzieht sich
durchaus unserer Forschung. Die Erzählung, wie sie ist, hat durchaus keinen
Anspruch darauf, irgendwelchen historischen Combinationen zum Anhaltpunkt
dienen zu dürfen. Auch die vielen Eigennamen sind nicht zu gebrauchen; denn
während ein Theil derselben entschieden Persisch ist, haben manche ein sehr ver¬
dächtiges Ansehn: sie machen im Ganzen den Eindruck, als habe der Verfasser
nach dem Vorbilde von persischen Namen, die zu seiner Zeit in ganz Vorder-
asien weit verbreitet waren, andere selbst gebildet, in der Weise, wie auch wohl
moderne Romanschreiber und Dichter sclbstgebildcte orientalische Namen auf¬
treten lassen.

Der Verfasser hatte den Zweck, die Feier des Purimfcstes zu begründen
und allen Juden zu empfehlen. Ob die Einsetzung dieses dem Pentateuch
fremden Gesetzes mit einer Errettung vieler Juden aus großer Lebensgefahr
zusammenhängt, ist sehr zweifelhaft; jedenfalls können wir so viel sagen, daß die
Veranlassung dieses Freudenfestes nicht die hier genannte war. Der Verfasser
setzt übrigens voraus, daß dies Fest zu seiner Zeit schon von sehr vielen Juden
gefeiert zu werden Pflegte (9, 19); wenn es daher scheint, als wollte er an
einigen Stellen (9, 20, 30. 32) sein Buch für ein Werk des Mardochai selbst
ausgeben, so steht das im Widerspruch mit jener Voraussetzung. Die An-
deutungen über den Zweck des Buches bringen übrigens in den Schluß gegen¬
über der sonst sich rasch abwickelnden Erzählung einige Ungleichförmigkeit, welche
in neuerer Zeit zu der unrichtigen Meinung Veranlassung gegeben hat, hier
seien fremde Bestandtheile eingeschoben.

Die Abfassungszeit läßt sich nicht genauer augeben. Auf jeden Fall ist
das Buch nach dem Untergang des persischen Reichs geschrieben, da auf dieses
mit seinen 127 Provinzen, die sich von Indien bis Aethiopien (Luther: Mohren¬
land) ausdehnen, schon durchaus wie auf ein Reich der Vergangenheit hingewiesen
wird. spätestens gegen Ende des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts ward das
Buch ins Griechische übersetzt aus einer Handschrift, die vielerlei Verderbnisse zeigt,
so daß sie von der UrHandschrift schon ziemlich weit abstehn mußte. Die Periode,
in welche wir das Buch mit Wahrscheinlichkeit setzen können, begrenzt sich also
ungefähr durch die Jahre 300 und 200 vor Chr. Geb. Die stark mit aramäischen
Elementen versetzte Sprache paßt sehr gut zu dieser Bestimmung.



Die hebräische Form ist L,eIia,goüvLi'Ü3eK, die persische VIrsewM'selia, woraus die
Griechen Xei'xes gemacht haben. Der schwierige Amiant Llrsell wird auch in anderen persischen
Wörtern von den Hebräern durch Vocaleinschiebung zu ^el^sen umgestaltet.

Ob der Erzählung irgend etwas Geschichtliches zu Grunde liegt, ist nicht
sicher zu sagen. Der Name Ahasveros deutet allerdings darauf; denn derselbe
ist, wie jetzt allgemein anerkannt wird") identisch mit Xerxes. Möglich ist
immerhin, daß dieser eine Jüdin Esther in sein Serail aufgenommen und daß
diese mit Erfolg für ihr Volk gewirkt hat, aber das Einzelne entzieht sich
durchaus unserer Forschung. Die Erzählung, wie sie ist, hat durchaus keinen
Anspruch darauf, irgendwelchen historischen Combinationen zum Anhaltpunkt
dienen zu dürfen. Auch die vielen Eigennamen sind nicht zu gebrauchen; denn
während ein Theil derselben entschieden Persisch ist, haben manche ein sehr ver¬
dächtiges Ansehn: sie machen im Ganzen den Eindruck, als habe der Verfasser
nach dem Vorbilde von persischen Namen, die zu seiner Zeit in ganz Vorder-
asien weit verbreitet waren, andere selbst gebildet, in der Weise, wie auch wohl
moderne Romanschreiber und Dichter sclbstgebildcte orientalische Namen auf¬
treten lassen.

Der Verfasser hatte den Zweck, die Feier des Purimfcstes zu begründen
und allen Juden zu empfehlen. Ob die Einsetzung dieses dem Pentateuch
fremden Gesetzes mit einer Errettung vieler Juden aus großer Lebensgefahr
zusammenhängt, ist sehr zweifelhaft; jedenfalls können wir so viel sagen, daß die
Veranlassung dieses Freudenfestes nicht die hier genannte war. Der Verfasser
setzt übrigens voraus, daß dies Fest zu seiner Zeit schon von sehr vielen Juden
gefeiert zu werden Pflegte (9, 19); wenn es daher scheint, als wollte er an
einigen Stellen (9, 20, 30. 32) sein Buch für ein Werk des Mardochai selbst
ausgeben, so steht das im Widerspruch mit jener Voraussetzung. Die An-
deutungen über den Zweck des Buches bringen übrigens in den Schluß gegen¬
über der sonst sich rasch abwickelnden Erzählung einige Ungleichförmigkeit, welche
in neuerer Zeit zu der unrichtigen Meinung Veranlassung gegeben hat, hier
seien fremde Bestandtheile eingeschoben.

Die Abfassungszeit läßt sich nicht genauer augeben. Auf jeden Fall ist
das Buch nach dem Untergang des persischen Reichs geschrieben, da auf dieses
mit seinen 127 Provinzen, die sich von Indien bis Aethiopien (Luther: Mohren¬
land) ausdehnen, schon durchaus wie auf ein Reich der Vergangenheit hingewiesen
wird. spätestens gegen Ende des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts ward das
Buch ins Griechische übersetzt aus einer Handschrift, die vielerlei Verderbnisse zeigt,
so daß sie von der UrHandschrift schon ziemlich weit abstehn mußte. Die Periode,
in welche wir das Buch mit Wahrscheinlichkeit setzen können, begrenzt sich also
ungefähr durch die Jahre 300 und 200 vor Chr. Geb. Die stark mit aramäischen
Elementen versetzte Sprache paßt sehr gut zu dieser Bestimmung.



Die hebräische Form ist L,eIia,goüvLi'Ü3eK, die persische VIrsewM'selia, woraus die
Griechen Xei'xes gemacht haben. Der schwierige Amiant Llrsell wird auch in anderen persischen
Wörtern von den Hebräern durch Vocaleinschiebung zu ^el^sen umgestaltet.
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[0137] Ob der Erzählung irgend etwas Geschichtliches zu Grunde liegt, ist nicht sicher zu sagen. Der Name Ahasveros deutet allerdings darauf; denn derselbe ist, wie jetzt allgemein anerkannt wird") identisch mit Xerxes. Möglich ist immerhin, daß dieser eine Jüdin Esther in sein Serail aufgenommen und daß diese mit Erfolg für ihr Volk gewirkt hat, aber das Einzelne entzieht sich durchaus unserer Forschung. Die Erzählung, wie sie ist, hat durchaus keinen Anspruch darauf, irgendwelchen historischen Combinationen zum Anhaltpunkt dienen zu dürfen. Auch die vielen Eigennamen sind nicht zu gebrauchen; denn während ein Theil derselben entschieden Persisch ist, haben manche ein sehr ver¬ dächtiges Ansehn: sie machen im Ganzen den Eindruck, als habe der Verfasser nach dem Vorbilde von persischen Namen, die zu seiner Zeit in ganz Vorder- asien weit verbreitet waren, andere selbst gebildet, in der Weise, wie auch wohl moderne Romanschreiber und Dichter sclbstgebildcte orientalische Namen auf¬ treten lassen. Der Verfasser hatte den Zweck, die Feier des Purimfcstes zu begründen und allen Juden zu empfehlen. Ob die Einsetzung dieses dem Pentateuch fremden Gesetzes mit einer Errettung vieler Juden aus großer Lebensgefahr zusammenhängt, ist sehr zweifelhaft; jedenfalls können wir so viel sagen, daß die Veranlassung dieses Freudenfestes nicht die hier genannte war. Der Verfasser setzt übrigens voraus, daß dies Fest zu seiner Zeit schon von sehr vielen Juden gefeiert zu werden Pflegte (9, 19); wenn es daher scheint, als wollte er an einigen Stellen (9, 20, 30. 32) sein Buch für ein Werk des Mardochai selbst ausgeben, so steht das im Widerspruch mit jener Voraussetzung. Die An- deutungen über den Zweck des Buches bringen übrigens in den Schluß gegen¬ über der sonst sich rasch abwickelnden Erzählung einige Ungleichförmigkeit, welche in neuerer Zeit zu der unrichtigen Meinung Veranlassung gegeben hat, hier seien fremde Bestandtheile eingeschoben. Die Abfassungszeit läßt sich nicht genauer augeben. Auf jeden Fall ist das Buch nach dem Untergang des persischen Reichs geschrieben, da auf dieses mit seinen 127 Provinzen, die sich von Indien bis Aethiopien (Luther: Mohren¬ land) ausdehnen, schon durchaus wie auf ein Reich der Vergangenheit hingewiesen wird. spätestens gegen Ende des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts ward das Buch ins Griechische übersetzt aus einer Handschrift, die vielerlei Verderbnisse zeigt, so daß sie von der UrHandschrift schon ziemlich weit abstehn mußte. Die Periode, in welche wir das Buch mit Wahrscheinlichkeit setzen können, begrenzt sich also ungefähr durch die Jahre 300 und 200 vor Chr. Geb. Die stark mit aramäischen Elementen versetzte Sprache paßt sehr gut zu dieser Bestimmung. Die hebräische Form ist L,eIia,goüvLi'Ü3eK, die persische VIrsewM'selia, woraus die Griechen Xei'xes gemacht haben. Der schwierige Amiant Llrsell wird auch in anderen persischen Wörtern von den Hebräern durch Vocaleinschiebung zu ^el^sen umgestaltet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/137>, abgerufen am 26.06.2024.