Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.Esther, als sie Königin ward, eine bejahrte Frau gewesen sein; doch brauchen Ich füge hinzu, daß die ganze Entwicklung der Geschichte romanartig ist. Esther, als sie Königin ward, eine bejahrte Frau gewesen sein; doch brauchen Ich füge hinzu, daß die ganze Entwicklung der Geschichte romanartig ist. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0136" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/282933"/> <p xml:id="ID_417" prev="#ID_416"> Esther, als sie Königin ward, eine bejahrte Frau gewesen sein; doch brauchen<lb/> wir das Wort wohl nicht so streng zu nehmen, obgleich alte jüdische Erklärer<lb/> nicht vor der Lächerlichkeit zurückgescheut sind, sie vorher 7S Jahre im Hause<lb/> ihres Oheims wohnen zu lassen. Durchaus unwahrscheinlich ist es. daß die<lb/> Königin sich nicht einmal beim König anmelden lassen oder ihm wenigstens<lb/> eine schriftliche Botschaft übersenden durfte. Daß Esther zum zweiten Mal ihr<lb/> Leben in Gefahr begiebt, um dem König etwas mitzutheilen, was sie ihm gleich<lb/> selbst oder durch Vermittlung des inzwischen zur höchsten Macht gelangten<lb/> Mardochcii hätte sagen können, geschieht nur, um ihren Heldenmuth ins gehörige<lb/> Licht zu setzen, ist aber ebenso sehr gegen alle Wahrscheinlichkeit, wie daß sie<lb/> dem König nichts von ihrer jüdischen Abkunft sagen darf, ein Umstand, der<lb/> aber für den Erzähler nöthig war, um der Bitte Esthers für sich und ihr Volk<lb/> den nöthigen Effect zu geben. Man rühmt vielfach die genaue Kenntniß der<lb/> Sitten des persischen Königshofs, weiche das Buch enthalte, ohne zu bedenken,<lb/> daß die hier gegebne Schilderung, soweit sie geschichtlich ist, auf alle großen<lb/> Höfe des alten Asiens paßt, während so grobe Verstöße gegen das Costüm,<lb/> wie der fortwährende Verkehr des draußen sitzenden Juden Mardochai mit der<lb/> Königin im Serail, unbeachtet bleiben. Und so könnten wir noch mehre kleine<lb/> durchaus unhistorische Züge angeben; wir wollen uns aber mit der Hauptsache<lb/> begnügen: wenn schon der Befehl zur Ausrottung der Juden im ganzen Reich<lb/> undenkbar ist. wie kann man gar an einen solchen Unsinn glauben, daß es<lb/> den Juden verstattet sei, 75,000 Unterthanen des Königs niederzumachen?<lb/> Dieser Umstand, der doch die Pointe der ganzen Erzählung ist, entscheidet schon<lb/> hinlänglich für ihre Ungeschichtlichkeit.</p><lb/> <p xml:id="ID_418"> Ich füge hinzu, daß die ganze Entwicklung der Geschichte romanartig ist.<lb/> Jedes neue Moment muß gerade in dem Punkt eintreten, wo der Erzähler<lb/> es braucht. Trotz der genannten UnWahrscheinlichkeiten ist die Disposition und<lb/> die Darstellung in mancher Hinsicht gar nicht ungeschickt. So ist es z. B.<lb/> ganz fein, daß die Ehrenbezeugungen, welche Haman dem Mardochai zu er¬<lb/> zeigen gezwungen ist, die bevorstehende Umkehr der Verhältnisse als Omen<lb/> andeuten. Einige Scenen sind recht hübsch erzählt, namentlich das zweite<lb/> Gastmahl der Esther, in der Hamans Bosheit entdeckt und sofort bestraft wird.<lb/> Der Verfasser verläugnet übrigens seinen orientalischen Geschmack nicht. Die<lb/> für die Erzählung ziemlich gleichgiltige, Schilderung der Pracht des königlichen<lb/> Gelages, welche das Buch eröffnet, ist ihm eine wichtige Sache. Die orien¬<lb/> talische Freude an großen Zahlen, welche er auch sonst zeigt, tritt gleich hier<lb/> hervor: 180 Tage bewirthet der König die.Großen des Reichs und dann noch<lb/> 7 Tage die Bürger seiner Hauptstadt! Aehnlich ist es, wenn es heißt, daß die<lb/> Mädchen, welche zum König geführt werden sollen, sich 12 Monate vorher<lb/> schmücken müssen.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0136]
Esther, als sie Königin ward, eine bejahrte Frau gewesen sein; doch brauchen
wir das Wort wohl nicht so streng zu nehmen, obgleich alte jüdische Erklärer
nicht vor der Lächerlichkeit zurückgescheut sind, sie vorher 7S Jahre im Hause
ihres Oheims wohnen zu lassen. Durchaus unwahrscheinlich ist es. daß die
Königin sich nicht einmal beim König anmelden lassen oder ihm wenigstens
eine schriftliche Botschaft übersenden durfte. Daß Esther zum zweiten Mal ihr
Leben in Gefahr begiebt, um dem König etwas mitzutheilen, was sie ihm gleich
selbst oder durch Vermittlung des inzwischen zur höchsten Macht gelangten
Mardochcii hätte sagen können, geschieht nur, um ihren Heldenmuth ins gehörige
Licht zu setzen, ist aber ebenso sehr gegen alle Wahrscheinlichkeit, wie daß sie
dem König nichts von ihrer jüdischen Abkunft sagen darf, ein Umstand, der
aber für den Erzähler nöthig war, um der Bitte Esthers für sich und ihr Volk
den nöthigen Effect zu geben. Man rühmt vielfach die genaue Kenntniß der
Sitten des persischen Königshofs, weiche das Buch enthalte, ohne zu bedenken,
daß die hier gegebne Schilderung, soweit sie geschichtlich ist, auf alle großen
Höfe des alten Asiens paßt, während so grobe Verstöße gegen das Costüm,
wie der fortwährende Verkehr des draußen sitzenden Juden Mardochai mit der
Königin im Serail, unbeachtet bleiben. Und so könnten wir noch mehre kleine
durchaus unhistorische Züge angeben; wir wollen uns aber mit der Hauptsache
begnügen: wenn schon der Befehl zur Ausrottung der Juden im ganzen Reich
undenkbar ist. wie kann man gar an einen solchen Unsinn glauben, daß es
den Juden verstattet sei, 75,000 Unterthanen des Königs niederzumachen?
Dieser Umstand, der doch die Pointe der ganzen Erzählung ist, entscheidet schon
hinlänglich für ihre Ungeschichtlichkeit.
Ich füge hinzu, daß die ganze Entwicklung der Geschichte romanartig ist.
Jedes neue Moment muß gerade in dem Punkt eintreten, wo der Erzähler
es braucht. Trotz der genannten UnWahrscheinlichkeiten ist die Disposition und
die Darstellung in mancher Hinsicht gar nicht ungeschickt. So ist es z. B.
ganz fein, daß die Ehrenbezeugungen, welche Haman dem Mardochai zu er¬
zeigen gezwungen ist, die bevorstehende Umkehr der Verhältnisse als Omen
andeuten. Einige Scenen sind recht hübsch erzählt, namentlich das zweite
Gastmahl der Esther, in der Hamans Bosheit entdeckt und sofort bestraft wird.
Der Verfasser verläugnet übrigens seinen orientalischen Geschmack nicht. Die
für die Erzählung ziemlich gleichgiltige, Schilderung der Pracht des königlichen
Gelages, welche das Buch eröffnet, ist ihm eine wichtige Sache. Die orien¬
talische Freude an großen Zahlen, welche er auch sonst zeigt, tritt gleich hier
hervor: 180 Tage bewirthet der König die.Großen des Reichs und dann noch
7 Tage die Bürger seiner Hauptstadt! Aehnlich ist es, wenn es heißt, daß die
Mädchen, welche zum König geführt werden sollen, sich 12 Monate vorher
schmücken müssen.
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